Deutschland 2019 · 122 min. · FSK: ab 0 Regie: Vanessa Jopp Drehbuch: Jane Ainscough Kamera: Sten Mende Darsteller: Nora Tschirner, Alexander Fehling, Ulrich Thomsen, Ella Rumpf, Claudia Eisinger u.a. |
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Wie zwei Fake-Profile bei einem Datingportal... |
Daniel Glattauers Buch, das über 2,5 Millionen Mal gekauft und in 28 Sprachen übersetzt wurde, schreit geradezu nach einer Adaption. Und dann auch noch ein Liebesroman! Da er schon 2006 erschienen ist, wundert man sich, dass es 13 Jahre dauerte, bis der Film nun endlich in die Kinos kommt.
Emma (Nora Tschirner) und Leo (Alexander Fehling) sitzen vor ihren Monitoren und tippen Emails. Sie wissen nichts voneinander, das sorgt für den besonderen Kick. Für sie selbst und für alle Leser, die den Roman verschlungen haben. Eine weitere wichtige Prämisse: Beide sind nicht auf der Suche nach einer Beziehung, im Gegenteil. Emma ist glücklich verheiratet. Leo hängt an seiner Freundin, Marlene.
Bei der Partnersuche, beim Smalltalk auf einer Party oder beim Netzwerken zählen Attraktivität, Statussymbole, oder Erfolg im Beruf. – Bei Emma und Leo jedoch kommt es nur auf ihr Innenleben an. Ihre Charaktere und wie sie sich zu erkennen geben. Die entpuppen sich als wundervolle Schatztruhen: Neugier, Originalität, Ehrlichkeit, Scham, Unsicherheit, Spontaneität, Humor, Ironie und Respekt. Selbst, wenn sie unterschiedlicher Meinung sind. Kein Wunder, dass so ein lebendiger Austausch Sympathien auslöst und romantische Gefühle bis zur Email-Sucht. Plötzlich klingt das »Bling«, das eine Email im Postfach ankündigt, schöner als der Lieblingssong.
Aber kann man einen Email-Roman, in dem alles Interessante in der Fantasie und kaum etwas in der Realität passiert, überhaupt verfilmen? Wegen dieser Unvereinbarkeit galt Gut gegen Nordwind lange als unverfilmbar. Das Buch war wie ein randvoll mit Goldbarren beladenes Schiff, das auf dem Meeresgrund schlummert und das man nicht bergen kann. Bzw. NOCH NICHT, um genau zu sein. Oft, wenn Menschen etwas begehren, das sie nicht kriegen können, richten sich ihre
Hoffnungen auf den technischen Fortschritt. So auch in diesem Fall.
Dank Erfindung des Smartphones müssen Emma und Leo in der Verfilmung nicht mehr die ganze Zeit vor dem PC sitzen. Heutzutage kann man überall tippen. Leo verschickt sogar Sprachnachrichten per Mail.
Ein weiterer Trick, den die Drehbuchautorin, Jane Ainscough, und die Regisseurin, Vanessa Jopp, nutzen, ist, nicht nur »Gut gegen Nordwind« zu verfilmen, sondern im gleichen Streich auch noch die Fortsetzung, »Alle sieben Wellen«, der ebenso erfolgreich war.
Nun, selbst zwei großartige, originelle und fantasievolle Bestseller werden nicht zu einem sehenswerten Film, wenn man das Wichtigste weglässt. Nämlich Fantasie und Originalität. Die Macher des Films haben das Smartphone eingeführt, okay... Davon abgesehen ist ihnen wenig eingefallen. Leider haben sie bei der Adaption viel verloren. Zum Beispiel die wunderbaren Charaktere. In dem Roman sind Emma und Leo so glaubwürdig, humorvoll und authentisch, dass man sie sofort
kennenlernen möchte. Im Film sind sie austauschbare Klischees, die fast jede romantische Komödie bevölkern. Attraktiv, glatt, erfolgreich. Wie zwei Fake-Profile bei einem Datingportal.
Emma wohnt in der Villa ihres Mannes. Ein luxuriös renovierter, lichtdurchfluteter Altbau, was sonst. Leo residiert nicht weniger exklusiv in einer Dachgeschosswohnung mit Blick über die Stadt. Von seinem Gehalt als Uni-Dozent kann er sich so etwas nicht leisten... Es muss ja keine
runtergewohnte WG mit Wasserschaden und Schimmelpilzbefall sein. Aber ein bisschen mehr Glaubwürdigkeit hätte dem Film gutgetan.
Was man durchaus spürt, ist der Wunsch der Macher, unbedingt zu gefallen. Die Verfilmung wirft sich dem Zuschauer regelrecht an den Hals. Mit schönen Bildern, sowie seichter Musik mit einem Reigen bewährter Schnulzen. Doch was beim Kennenlernen gilt und beim Flirten, gilt auch fürs Filmemachen. Wenn ein Film keinen eigenen Charakter hat, fühlt man sich einfach nur dumm angemacht.