The Green Wave

Deutschland 2010 · 82 min. · FSK: ab 12
Regie: Ali Samadi Ahadi
Drehbuch:
Kamera: Peter Jeschke, Ali Samadi Ahadi
Schnitt: Barbara Toennieshen, Andreas Menn
Eine ungewöhnliche Dokumentation

Die Jugend der Twitterrevolution

»Diese Farbe ist ein Zeichen von Anwe­sen­heit«, sagt einer der jungen Leute, die hier zur Sprache kommen. – Grün, im Westen die Farbe der Hoffnung und der Umwelt, im orien­ta­li­schen Kultur­raum zunächst einmal mit dem Islam verbunden, hat sich dort längst von derar­tigen Konno­ta­tionen gelöst. Spätes­tens mit den mani­pu­lierten Präsi­dent­schafts­wahlen im Iran im Juni 2009 und der darauf folgenden »Grünen Bewegung«, die schnell zu einer Protest­be­we­gung und urbanen Revolte anwuchs, die das dortige Mullah-Regime massiv infrage stellte, ist die Farbe Grün zum poli­ti­schen Symbol des irani­schen Frei­heits­kampfes geworden und des anti­dik­ta­to­ri­schen Aufstandes, der derzeit im Mittleren Osten in vielen Staaten die System­frage stellt. Die Geschichte der irani­schen Wahl, der ihr folgenden Revolte und deren Unter­drü­ckung erzählt nun dieser überaus unge­wöhn­liche Doku­men­tar­film.

Wird sich im Iran etwas ändern? Die Doku­men­tar­mon­tage The Green Wave von Ali Samadi Ahadi zeigt gleich­zeitig, was dafür spricht, und was alles dagegen steht. Der Film ist ein Manifest der Vielen, die gegen das Regime der Mullahs aufbe­gehren, wie ein Dokument der brutalen Unter­drü­ckungs­me­cha­nismen der Diktatur. Und wenn wir heute nicht mehr viel hören über das, was im Iran geschieht, dann liegt das nur an perfider Unter­drü­ckung, und nicht daran, dass der Wider­stand der Bevöl­ke­rung erloschen wäre.

Von dem in Köln lebenden, aus einer exil­i­ra­ni­schen Familie stam­menden deutschen Regisseur Ali Samadi Ahadi hätten nur jene so einen Film nicht unbedingt erwartet, die vergessen hatten, dass Ahadi vor seiner überaus erfolg­rei­chen, in subtiler Weise auch sehr poli­ti­schen Inte­gra­tions- und Ostal­gie­komödie Salami Aleikum aus dem Jahr 2009, sich bereits in seinem Debüt Lost Children (2005) mit Kinder­sol­daten aus afri­ka­ni­schen Kriegs­re­gionen beschäf­tigt hatte. Lost Children war ein harter und emotional nahe gehender Film.

Das lässt sich auch über The Green Wave sagen – aller­dings ist der politisch wie ästhe­tisch noch um einiges unkon­ven­tio­neller und mutiger. Ahadi steigt direkt ein, und mischt Archiv­ma­te­rial mit State­ments von Zeit­zeugen und Anima­ti­ons­pas­sagen. Gerade der Einsatz von Animation macht The Green Wave zu etwas Beson­derem, und einem auch stilis­tisch sehr origi­nellen Doku­men­tar­film.

Er ist chro­no­lo­gisch erzählt, beginnt mit den Ereig­nissen vom Mai 2009, als der Wahlkampf von Mir Hossein Musawi zu einer Bewegung anschwoll. Man sieht den inzwi­schen berühmten Wahl­kampf­auf­tritt in einem Sport­sta­dion, der, wie man weiß, für viele Betei­ligte zu einem Initia­ti­ons­mo­ment wurde, und auch in Hana Makhmalbafs Doku­men­tar­film Green Days, der bereits im August 2009 fertig­ge­stellt wurde, zu sehen ist. Ahadi hat mehr Abstand, räumlich wie zeitlich, aber auch sein Film ist spürbar vom Eindruck der Ereig­nisse, von der poli­ti­schen Leiden­schaft, anfäng­li­cher Begeis­te­rung und radikaler Enttäu­schung geprägt.

Vor allem aber zeigt sein Film vieles, das in anderen Doku­men­tar­filmen zum Thema fehlt, denn Ahadi machte aus der Not des Doku­men­ta­risten eine stilis­ti­sche Tugend. Weil es natur­gemäß keine Bilder aus den irani­schen Folter­ge­fäng­nissen und Todes­kel­lern gibt, wurden diese nach den Erzäh­lungen von Augen­zeugen animiert. Das ist detail­ge­treu genug, und doch so verfremdet, dass der Eindruck eher noch stärker ist, weil ein Teil des realen Schre­ckens der Vorstel­lung des Betrach­ters über­lassen bleibt. Und weil dieje­nigen unter Irans Oppo­si­tio­nellen, die Haft und Folter überlebt haben oder unent­deckt geblieben sind, vers­tänd­li­cher­weise nicht nament­lich auftau­chen sollen, wurden ihre Zeugen­aus­sagen, vor allem aber die Erzäh­lungen und Kommen­tare von Bloggern, zu fiktiven, in ihren Erleb­nissen aber reprä­sen­ta­tiven Kunst­fi­guren montiert und gebündelt. Auf diese Weise gibt er dem Unsicht­baren ein Antlitz, dem Unsag­baren eine Stimme.

So erlebt man als Zuschauer die Ereig­nisse bis in den Herbst 2009, vor allem die Realität in den Gefäng­nis­an­stalten des Regimes, wo Folter, Verge­wal­ti­gung, Totschlag und Mord an der Tages­ord­nung sind – der Schrecken ist präsent und trotz allem gebannt. Auch das mit der Bewegung verbun­dene Pathos, ihre poli­ti­sche Moral und die grund­sätz­liche Bedeutung des irani­schen Wider­stands werden heraus­ge­ar­beitet. Unter den Zeit­zeugen und Experten, die die konkreten Erzäh­lungen grund­sätz­li­cher einordnen, sind die der Frie­dens­no­bel­preis­trä­gerin Shirin Ebadi, der schii­ti­sche Geist­liche Mohsen Kadivar, die Jour­na­listin Mitra Khalat­bari, der Menschen­rechts-Spezia­list Payman Akhavan und der heute exilierte Mussawi-Wahl­helfer Mehdi Mohseni. Sie trans­por­tieren auch die unmit­tel­bare Erfahrung der Iraner: »Die Menschen werden sich daran ihr Leben lang erinnern.« Überdies hat der Film das Verdienst, an einige verges­sene Tatsachen zu erinnern, und so das, was er erzählt, zu belegen.

The Green Wave ist ein überaus ambi­tio­nierter Film, und er löst diese Ambition weit­ge­hend ein: Ein poli­ti­sches Manifest, voller Anteil­nahme, voller – nicht nur aus der Herkunft des Regis­seurs vers­tänd­li­cher – Partei­lich­keit, voller Enga­ge­ment und zugleich eine präzise Doku­men­ta­tion.

The Green Wave ist auch ein Doku­men­tar­film, der in mehr­fa­cher Hinsicht über das, was er doku­men­tiert, hinaus­weist: Ästhe­tisch, indem er durch die Animation das Undo­ku­men­tier­bare ergänzt, was nicht nur das Problem löst, etwas darzu­stellen, zu dem es keine Bilder gibt, sondern zudem exzellent aussieht, und bei allem Furcht­baren den Film als Film zu einer ange­nehmen Erfahrung macht. Politisch, denn man kann ihn nicht sehen, ohne aufge­wühlt und wütend zu werden, ohne Teilnahme mit den Revol­tie­renden zu empfinden und Mitleid für Leiden und Opfer. Man kann ihn als Deutscher auch nicht sehen, ohne dass einem das Verhalten der Bundes­re­gie­rung in den Sinn kommt. Insofern ist dies auch eine Anklage, die nicht nur der Ignoranz des Westens gilt, sondern dessen Kompli­zen­schaft mit den irani­schen Behörden, dem kaum heim­li­chen Wider­spruch zwischen der in Pres­se­er­klä­rungen voll­mundig geübten Soli­da­rität mit der irani­schen Oppo­si­tion und der Absage an Wirt­schafts­boy­kotts und Sank­tionen. Ohne die Über­wa­chungs- und Abhör­tech­niken von Siemens und anderen deutschen Konzernen hätten die irani­schen Behörden den Aufstand ihrer Bürger kaum nieder­schlagen können. Daher gilt dieser Film auch der Situation hier­zu­lande: The Green Wave ist ein Film von Deutschen für Deutsche.