Das große Rennen von Belleville

Les Triplettes de Belleville

Frankreich/B/CDN 2003 · 81 min. · FSK: ab 6
Regie: Sylvain Chomet
Drehbuch:
Musik: Benoît Charest
Tour de France

Charmant und aus-gezeichnet

Dass Zeichen­trick­filme nur alberne Kinder­filme seien und Dialoge unver­zichtbar, ist so wahr, wie die Erde eine Scheibe ist. Einen wunder­baren Beweis dafür liefert Das große Rennen von Belle­ville, eine bezau­bernd animierte Phantasie in der Tradition höchster fran­zö­si­scher Komö­di­en­kunst á la Jacques Tati. Liebevoll gezeich­nete Charak­tere bewegen sich in einer Welt, wie wir sie ständig sehen könnte, würden wir nur aus dem richtigen Blick­winkel hinschauen.

Welch eine spannende Krimi­nal­ge­schichte: Ein Radfahrer wird von der Tour de France weg entführt, und seine Groß­mutter, die ihn allein aufge­zogen und aufop­fe­rungs­voll trainiert hat, setzt alles daran, ihn zurück­zu­holen. Wer hätte gedacht, dass die fran­zö­si­sche Wein-Mafia jenseits des großen Teiches brutale Fahrrad-Wetten veran­staltet? Madame Souza nimmt die Verfol­gung auf, zu Wasser und zu Land. Unter­s­tützt wird sie vom treuen Hund Bruno, der unter einem Kind­heits­trauma leidet (ein Zug ist ihm über den Schwanz gefahren ...) und vom tatkräf­tigen, wenn auch in die Jahre gekom­menen singenden Damentrio »Triplettes de Belle­ville«, das gewitzt und einsatz­freudig eine ganze Poli­zei­staffel ersetzen kann.

Was für Figuren: Die patente, uner­müd­liche Madame Souza, eine verhut­zelte Portu­giesin voller Energie. Das untröst­liche Muskel­paket Champion, ein erwach­sener kleiner Junge, der der Welt so defensiv gegenüber­steht. Bruno, der liebens­wer­teste sture Hund, den man sich denken kann. Und die Triplettes – vom Leben gezeichnet und dennoch nicht unter­zu­kriegen. Der Stil ist wenig disney­fi­ziert und sehr ironisch, die groteske Über­zeich­nung der Belle­ville-Bewohner lässt in fröh­li­chen Anti­ame­ri­ka­nismen schwelgen (keine Angst, auch die »Frosch­fresser« bekommen ihre Seiten­hiebe ab), und die »Statue of Liberty« ist einfach eine Wucht. Die Mafiosi und ihre finstere Welt sind ange­messen Furcht einflößend, und die Träume des Hundes Bruno bilden schwarz­weiße Ausflüge in char­manten Mini­ma­lismus.

Wunderbar die vielen Zitate und Anspie­lungen: Verweise auf Kunst, Kultur und Zeitgeist und immer wieder Jacques Tati. Neben den noch jungen Dril­lingen wird die musi­ka­li­sche Eröff­nungs­nummer von Django Reinhard, Josephine Baker und Fred Astaire bestritten, und der glamouröse Geist dieser Varieté-Tradition wird wieder wach, als Madame Souza mit den geal­terten Dril­lingen als Quartett auftritt. Die »Musik­in­stru­mente« dieses Auftritts sind den tatsäch­lich für die Filmmusik genutzten nach­ge­bildet, wie dem Staub­sauger »Mouf-Mouf« des Kompo­nisten Benoît Charest. Dem Moloch Paris kann man beim Wachsen zusehen, und die Stadt Belle­ville ist eine faszi­nie­rende Mischung aus Montreal und New York.

Sylvain Chomets Film bietet bei allem nost­al­gi­schen Charme bisher unge­se­henes. Der so rührend altmo­disch wirkende Zeichen­stil wird unauf­fällig unter­s­tützt von Pieter van Houtens compu­ter­ge­ne­rierter 3D-Technik – nur so ist es möglich, Massen­szenen wie die der Tour de France zu reali­sieren, ohne die Anima­teure über dem Zeichnen der Fahr­rad­spei­chen zur Verzweif­lung zu treiben. Auch bei Teilchen-Bewe­gungen (Feuerwerk, Schnee) oder Flächen wie Meer und Sumpf wurden digitale Effekte einge­setzt, die sich kaum merklich in das farblich die Mitte des 20. Jahr­hun­derts herauf­be­schwö­rende Gesamt­de­sign Evgeni Tomovs einfügen. Zu recht wurde das Gesamt­kunst­werk für den Anima­tions-Oscar nominiert.

Ein Rätsel bleibt aller­dings die Entschei­dung des deutschen Verleihs, den Film Das große Rennen von Belle­ville zu nennen – die Tour de France kann damit nicht gemeint sein. Ist das eine verrutschte Anspie­lung auf die abschließende Verfol­gungs­jagd, oder haben die Werbe­stra­tegen eher auf Zugkraft als auf Bezug zum Film geachtet? Ansonsten ist die PR-Arbeit jeden­falls dem Zauber des Films unan­ge­messen zurück­hal­tend.