Deutschland 2010 · 104 min. · FSK: ab 6 Regie: Philipp Stölzl Drehbuch: Philipp Stölzl, Christoph Müller, Alexander Dydyna Kamera: Kolja Brandt Darsteller: Alexander Fehling, Miriam Stein, Moritz Bleibtreu, Volker Bruch, Burghart Klaußner u.a. |
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Statt Goethe Knutschen bei Gewitter |
Wenn man diesen Film richtig einschätzen will, muss man ihn nur einmal Joann Sfars Gainsbourg (Vie héroïque) vergleichen, der ebenfalls an diesem Donnerstag ins Kino kommt. Man könnte auch, wenn einem das nicht zu anstrengend ist, Heinrich Manns Essay über Voltaire und Goethe lesen: Frankreich gegen Deutschland, Lebenskunst gegen Behäbigkeit, Pop-Radikalität gegen Pop-Behauptung, Revolution gegen Reaktion, Sexyness gegen »Sturm und Drang«, und so weiter und so fort, das Match geht so ungefähr 7-0 aus, und auch der leider unumgängliche Vergleich dieser beiden Filme.
Denn man will ja gnädig sein, nett, freundlich, auch wenn Gnade wahrscheinlich das Letzte ist, was sich die Macher wünschen können. So gilt hier wieder mal: Wer hat Angst vorm klugen Mann? Niemand! Denn wenn er kommt, dann laufen wir! Neuestes Beispiel: Goethe! Das Wichtigste an diesem Film ist sowieso das Ausrufezeichen. Hinter dem Titel. Eigentlich sagt es schon alles. Die Angeberei, das Auftrumpfende, mit dem dieser Film vermarktet wird, zugleich auch die Anbiederung ans Zielpublikum im Teenie-Alter: Goethe! Goethe halt!! Ey Goethe!!!
Also heißt es nun statt Deutschland gegen Türkei wie letzte Woche nun in der bevorstehenden: Goethe gegen Gainsbourg. Ob das Ganze 3-0 ausgehen wird, muss man mal abwarten. Nach Baby und Nordwand nimmt sich der dritte Film von Philip Stölzl jetzt einer der bedeutendsten Figuren der deutschen Literatur an: Goethe! bietet mehr Dichtung als Wahrheit, und macht aus dem klassischen Dichterfürsten einen Literaturhelden, eher John Dubbleju als Johann Wolfgang von Goethe.
Im Buchmarkt gibt es Sie ja schon länger, diese Bücher wie »Nietzsche zur Einführung«, »101 Fragen an Thomas Mann«, »Proust für Eilige« und »Shakespeare für Dummies«. Vielleicht ist gegen all dies ja auch wirklich nichts zu sagen, und vielleicht ist es wirklich besser, man liest den Werther, als die Bravo. Das Problem daran ist nur, dass es, wenn Goethe erstmal aufs Niveau der Bravo heruntergestutzt wurde, irgendwann auch keinen Unterschied mehr macht, und die Bravo dann zumindest ehrlicher ist.
Was man auf der Leinwand sieht sind die Jugendjahre eines Menschen, der erst später berühmt werden wird: Glaubt man Philip Stölzl, der mit Videoclips für Madonna und die umstrittene Rockband Rammstein berühmt wurde, später dann diverse Opern inszenierte, und zwei Spielfilme, dann war Goethe eigentlich ein echt saucooler Typ, der aber keinen Plan hat, und deswegen sein Unistudium schleifen lässt und lieber mit ein paar geilen Chicks abhängt. Ein geiler Rocker halt, der gut drauf ist und lieber Party machen will.
Erzählt wird die Liebe Goethes (eindrucksvoll: Alexander Fehling), der gerade durch sein Jura-Examen gefallen ist, und sich als Möchtegern-Popliterat betätigt, zur hübschen Lotte Buff (Miriam Stein). Die ist aber einem anderen versprochen, was immerhin die gute Wirkung hat, dass Goethe seinem Liebeskummer in Form von Literatur sublimieren muss, und ihm so sein Debütroman Die Leiden des jungen Werther einfällt.
Statt nun zu versuchen, etwas über einen Künstler und künstlerisches Schaffen zu erzählen, bietet Stölzl lieber billige Schmonzette und seichte Abenteuer. Geknutscht wird zum Gewitter, gefummelt bei Kerzenlicht. Weil alles modernisiert ist, darf man Goethe auch nackt sehen und beim »ersten Mal« zugucken, obwohl längst jeder wissen kann, dass Goethe höchstwahrscheinlich erst mit 39 Jahren zum ersten Mal Sex hatte, und auch die Mädchen seiner Zeit recht zurückhaltend waren – nicht aus Tugend, sondern aus Angst vor Syphillis – haben die Macher wohl wie wir auch erst aus der FAS erfahren. Manche Dialoge sind in gekünsteltem Schwurbeldeutsch gehalten, der Nichtsahnenden »historisch« vorkommt, ansonsten ist dieser Goethe im ganzen Habitus ein moderner Jüngling, rebellenhafter als wahrscheinlich das historische Vorbild. Er geht seinen eigenen Weg, und verspottet die Tradition.
Aber all das ist nur Fassade. Nicht für Goethe, aber für den Film und seinen Regisseur. Der nämlich ist auch insofern zeitgemäß, dass er alles wirklich Rebellische, also Sperrige, Unkonventionelle, Antiautoritäre aus dem Film getilgt hat. Dieser Goethe ist kein Revolutionär, auch kein konservativer, er ist kein künstlerischer Avantgardist, sondern einer von uns, nur ein bisschen fescher. Zu Ufa-Zeiten hätte Hans Albers so einen gespielt, der die Tiefe eines Zahnputzbechers hat, den nichts erschüttern kann, weil am Ende die Mädchen auf ihn fliegen – und nur dazu ist natürlich die Dichtung gut. Goethe als flatternd fröhlicher Hedonist – dies ist die unglaublich biedere – und ganz bestimmt zeitgemäße – Substanz dieses Films. Darin erinnert dieser Goethe mehr an den »Kurier der Kaiserin« als dem in den 70er-Jahren Klausjürgen Wussow die Herzen zuflogen, als an einen Mann, der altgriechische Versdramen schrieb, und dessen Kunst, wie der Film nahelegt, vor allem aus Enttäuschung kam: Weil er sein Mädchen nicht bekam, musste er dichten, so die etwas überraschende, aber auch altbackene Moral des Films.
Stilistisch ist Goethe! ein aufwendiges Kostümfilm-Liebesdrama, das in bombastisch tuender, dann aber doch brav-konventioneller Fernsehfilm-Ästhetik – co-finanziert hat Pro7/Sat-1 – gedreht und sehr aufdringlich mit klassizistischen Musiktönen unterlegt wurde, und sich eindeutig vor allem an ein jugendliches, jedenfalls ein unbedarftes Publikum wendet. Je weniger man von Goethe weiß, um so besser.
Gegen all dies wäre nun noch nicht mal viel zu sagen, würde der Film nicht so tun, als ginge es um Goethe. Die Haupt-Frage ist ja eigentlich nur, warum man einen Film über Goethe macht, wenn man sich nicht für Goethe interessiert. Die Antwort liefert Co-Produzent Bully Herbig: Goethe sei »zum ersten Mal ... mainstreamtauglich« wird er zitiert. Na dann!