Deutschland 2010 · 81 min. · FSK: ab 0 Regie: Katja Fedulova Drehbuch: Ulrike Zinke Kamera: Michael Kotschi, Jenny Lou Ziegel Schnitt: Sylke Rohrlach |
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Russisches Matriarchat: Die Musiklehrerin und ihre Mutter |
»Damals hat dieses schreckliche Leben begonnen. St. Petersburg war voller Verbrecher.« Das schreckliche Leben in Russland, nach der Perestroika: Russland gerät aus den Fugen. Kleinkriminalität passiert, die Russen-Mafia macht sich breit. Das Leben wird schwer, vor allem für Frauen. Übergriffe ereignen sich, die so traumatisch sind, dass nur noch eins bleibt: der Weg ins Ausland.
Die Filmemacherin Katja Fedulova hat diesen Weg beschritten. Sie wurde Opfer sexueller Gewalt, ebenso ihre Schwester. Katja geht ins Ausland, nach Deutschland. Beginnt ihr Studium und trifft dort bald auf andere Russinnen, die das Schicksal mit ihr teilen. Dreizehn Jahre später macht sie die Bestandsaufnahme: Was ist in der Zwischenzeit passiert? Konnten ihre Weggefährtinnen von damals ihre Träume verwirklichen?
Katja Fedulova porträtiert ihre fünf russischen Freundinnen und zieht selbst Bilanz. Kurz vor der Ausweisung – ihr Arbeitsvisum war abgelaufen – erkennt sie: sie muss heiraten, sich einen Mann suchen, der ihr biografische Stabilität geben kann. Sie bekommt zwei Kinder und beginnt ein Studium an der Filmhochschule in Berlin. Ihre Schwester Olga hat sich nach Italien geflüchtet, übt sich in der Rolle einer italienischen Mama. Bloß nicht zurückkehren müssen, in dieses Russland, das ihnen fremd geworden ist. Mit den neu-russischen Kriterien, es nur dann geschafft zu haben, wenn ein gesellschaftlicher Stand erreicht wurde, können sie nichts anfangen: Wohnung, Auto und Kleidung sind ihnen egal. In den Augen der Russen sind sie Loser. So lautet das vernichtende Urteil, das in den Gesprächen mitschwingt über die, die aus der Chance, im Ausland zu leben, nichts gemacht haben.
Glücksritterinnen, so der etwas irreführende Titel der Dokumentation, die so wenig von »Rittertum« hat, bringt die Generationen zusammen: die Mütter von heute mit ihren Müttern, die Mütter mit den Töchtern. Gleichzeitig bringt die Regisseurin aber auch zwei unterschiedliche Welten zusammen: die des post-kommunistischen, pseudo-demokratischen und elitär-kapitalistischen Russlands, und die sich hinterfragenden Selbstfindungsbiographien des alten Europa.
Da prallt dann einiges aufeinander: Russische Mütter sind fordernd, das sehen wir am Beispiel von Ilona, die in makellosem Deutsch Jugendlichen Musikunterricht erteilt. Wieso ist sie in Deutschland geblieben, herrscht ihre Mutter sie an. In Russland wäre sie gesellschaftlich längst weiter mit dem Studium, das sie hat, und nicht nur Pädagogin wie jetzt. Kulturministerin, das solle sie werden, dann hätte sie es geschafft.
Glücksritterinnen ist ein Dialog der Generationen, über Versäumnisse, Zugeständnisse und die Schwierigkeit, einen eigenen Weg zu gehen. Die russische Frage tritt dabei in den Hintergrund. Viel stärker ist die Befragung, wie die Generationen zusammenhalten, sich kritisieren, auseinanderdriften, sich fremd werden: Deutlich werden die Missverständnisse, die unverstanden Fragen und die absolute Liebe, die eine Mutter für ihre Tochter entgegenbringen kann. Eine einfühlsame Begegnung von Müttern und Töchtern, in einem Europa, das sich nicht mehr versteht.