USA 2001 · 98 min. · FSK: ab 18 Regie: John Carpenter Drehbuch: John Carpenter, Larry Sulkis Kamera: Gary B. Kibbe Darsteller: Natasha Henstridge, Ice Cube, Pam Grier |
Es beginnt mit den Bildern einer unheilvollen Heimkehr. Der Zug fährt ein. Ghost Train. Keine Seele an Bord. Zurückgekehrt von einer Fahrt durch die kleinen Siedlungen in den Grenzgebieten. Dann findet man Lt. Melanie Ballard in einem der Waggons, angekettet, mit den letzten Resten des Stoffs der vergangenen Nacht im Blut. Ein Geheimnis. Am nächsten Morgen ein Verhör und die Überlebende beginnt zu erzählen von dem leeren Fleck, der dem Zuschauer geblieben ist.
John Carpenter begibt sich auf die Reise. Ghosts of Mars, der Titel gibt den Ort vor. 2176 a.D. in den Weiten des Universums, mittlerweile ist der rote Planet bevölkert, mit einer Atmosphäre versehen. Science-Fiction, möchte man meinen. Und hat damit schon verloren. Carpenter hat einen reinen, wenn auch futuristischen Western in Szene gesetzt. Was eine Bewegung nach vorne in der Zeit vermuten lässt, greift immer wieder nach dem Dahinter. Die Narration ist verschachtelt, es gibt wohl keinen Film, in dem die Figuren so oft in flashbacks erzählen, was sie erlebt haben. Zunächst ist da die Erinnerungsstruktur Ballards, später vermischt mit den Subgedächtnissen der Charaktere, die sie auf ihrem Weg trifft. Viele kleine Fragmente, die langsam das Puzzle zusammensetzen, die Geschichte erzählbar machen. Von der Gegenwart in die Vergangenheit in die Zeit davor und noch ein Stück zurück. Und es wird klar, dass es hier nicht um den Traum von der Eroberung des Mars geht, sondern den Rückzug an die frontier, zum zähen Kampf der weißen Siedler irgendwo in der Steppe des Wilden Westen. Beginnend mit dem Zug, Zeichen für die Eroberung des Territoriums, die Zivilisation, die Urbarmachung des wilden, chaotischen Landes. History repeating.
Ballard wurde mit ihrer Truppe losgeschickt, um den Schwerverbrecher Desolation Williams aus dem Gefängnis von Shining Canyon abzuholen und zu überführen. Schon als die Polizisten in dem Goldgräberstädtchen ankommen ist nichts so, wie sie es erwartet hätten. Links und rechts flache Häuser, in der Mitte die breite, staubige Straße, Westernidyll, nur nirgends ein Mensch zu sehen, was wiederum auf ein anderes Genre hindeutet. Ghost town. Hier beginnt das Leben jenseits der Bahngleise. Das Andere. Das Chaos. Die Figuren arbeiten sich vor in die Innereien der Stadt, finden Leichen, unzählige, verstümmelte Leichen, ein paar Zombies im Hospital. Und schließlich Desolation Williams, in der Zelle des örtlichen Gefängnisses, zusammen mit seinen Freunden Uno Dos und Tres, dem Chino und dem Quotenindianer. Eine merkwürdige Szene, die weißen Cops auf der einen Seite der Zelle, Amerikas Minderheiten auf der anderen Seite. Und alle müssen zusammenarbeiten, Freunde werden, weil sie sonst der Gefahr, die vor den Mauern, in der roten Wüste des Aussen lauert, nicht trotzen können. Eine unglaubliche Klaustrophobie der Stadt, wenn die Weite des unentdeckten Landes auf ein paar Quadratmeter Gefängnisboden zusammenschrumpft.
Die Ursachen der Gefahr liegen noch ein paar Zeitzonen tiefer. Noch eine Erzählung. Ghosts of Mars vergräbt sich in Mythen. Die Urbewohner des Mars, vom Archäologen Mensch freigesetzt aus einem alten Stollen, schweben sie jetzt als namenlose Geister, als unsichtbarer Nebel ohne Sprache, der die Körper seiner Opfer besetzt, die Kontrolle übernimmt, frei durch die Räume. Die Identitäten beginnen zu fluktuieren. Das Böse ist Struktur, nicht Gestalt. Keine Männchen mit grünen Masken, nein, frei nach Freud entsteht das Unheimliche in den menschlichen Körpern, die uns so vertraut schienen und aus denen jetzt das Animalische, Mordlustige herausbricht. Die Besessenheit. Gegner, die einen Exorzismus nötiger hätten als den Tod. Sich Nadeln durch die Haut ziehen, sich entstellen. Die Bewohner von Shining Canyon eine verwilderte, archaische Masse. Ihr erster Auftritt, begleitet von dröhnenden Gitarren, gleicht einem musikalischen Zwischenspiel. Mit Lanzen und Schwertern kämpfen sie dann gegen das Kollektiv Ordnung, angeführt von Desolation Williams und der blonden Melanie Ballard. Im Anschlag die Waffen des Cowboys, Pistole und Gewehr. Als Ballard, dem Tode nahe, sich doch noch auf die plumpen Annäherungsversuche ihres großmäuligen Gehilfen Jericho einlässt, da wird das sich entwickelnde Liebesspiel unterbrochen durch Schüsse aus dem Nebenraum. Ballard ist dann ganz Held, verlässt die Lust und kehrt zurück zum Gesetz, das die Waffe in ihrer Hand manifestiert. Genre eben.
Und doch entdeckt man immer wieder Neues. Im ersten Teil ist Ghosts of Mars der wunderschöne Kampf zweier Gesichter. Auf der einen Seite Pam Grier, zu neuen Ehren gekommen seit Tarantinos Jackie Brown. Ein Gesicht das altmodisch wirkt, die Züge der 70´er Jahre, voluminös. Bei den Großaufnahmen ihres Gesichtes, mit Handkamera geschossen, ein bisschen Unscharf, scheint der Film sich selbst zu verlassen. Ganz Erinnerung an eine andere Zeit. Und im Gegenschuss das 90´er Jahre Modelgesicht von Natascha Henstridge. Synthetisch, scharf geschnitten. Willkommen zurück. Die Handkamera, die Unschärfen verleihen Ghosts of Mars mitunter »wahre« Momente, weil nichts klinisch ist, einige Einstellungen wirken als hätte der Regisseur schon »Cut« gerufen, als könnte man in die Gesichter hinter den Gesichtern der Schauspieler sehen.
Der Schnitt setzt Wischblenden statt harter Schnitte, eine Technik die (abgesehen von Tykwers Lola rennt) allenfalls noch im Bereich der Komödie zu finden ist. Carpenter blendet innerhalb einer Szene die Bilder vom Gang einer Figur ineinander. Soderbergh hätte Jump-Cuts gesetzt. Aber Carpenter steht einem Howard Hawks und Rio Bravo sicher näher als Soderbergh oder Rodriguez und seiner Faculty. Alles scheint todernst und bewegt sich auf einem schmalen Grat zum Lächerlichen. Desolation Williams, der zugibt, dass er lieber im Kampf als auf der Flucht sterben will. Wer traut sich das schon noch so in einem Film zu sagen? Carpenters Umgang mit Waffen ist obsessiv, die Sprengung eines Atomkraftwerkes bedeutet am Ende die Rettung der Protagonisten. Und das nach dem Kalten Krieg, nach der Ökobewegung. Die Explosion wird lustvoll gezeigt mit einem Blick aus den Sternen auf die Oberfläche des Mars.
Und auf die Frage in einem Interview, ob Carpenter denn keine Angst gehabt hätte, nach den Flops von Mission to Mars und Red Planet noch eine Marsfilm in die Kinos zu bringen, antwortete der: »I am not scared of anything, man.« Ohne Zweifel muss man ihm das so glauben, wenn man seine Figuren auf dem Weg zu ihrem nächsten Gefecht sieht.
Der im Vorspann genannte vollständige Titel des Films lautet: Carpenter’s Ghosts of Mars. Da bürgt einer mit seinem guten Namen für Qualität und zwar so, wie auf dem Rummelplatz der Schausteller sich neben der phantasievollen Bezeichnung seines Geschäfts namentlich verewigt. Die willkürlich aufeinanderfolgenden Schockeffekte einer Geisterbahn, die grellen Farben hinter Trockeneisnebel, die Freakshow: Nicht zum ersten mal offenbart Carpenter auch in seinem neuen Werk den wahren Ursprung der Filmkunst in der Jahrmarktsunterhaltung.
Andererseits versichert uns der Namen im Titel, dass dort wo Carpenter draufsteht, auch Carpenter drin ist. Das trifft in mehrfacher Hinsicht zu. Denn Ghosts of Mars ist gewissermaßen ein Selbstzitat unter äußerster Reduktion der Mittel: ein Destillat aus The Fog, Assault on Precinct 13 und The Thing, zielgenau auf den Mutterplaneten des Weltraumtrashs geschossen.
Dabei hat Carpenter hier nicht nur sein eigenes Werk geplündert. In wahrhaft postmoderner Manier präsentiert sich der Film als wildes Konglomerat von Genrestereotypen aus Horror- und SciFiFilmen und aus der Popkultur: Texas Chainsaw Massaker und Night of the Living Dead; Army Of Darkness, Mad Max und Invasion of the Body Snatchers; aber auch Michael Jacksons »Thriller« und die Postpunkallüren eines Marilyn Manson; die Hardcoreästhetik einschlägiger Comics und selbst Computerspiele wie der Zombieshooter »Resident Evil« dienten hier als Requisitenkammern.
Im Grunde seines Plots aber bleibt Ghosts of Mars ein klassischer Western. Daß der Film auf dem Roten Planeten handelt, ist nur Zufall. Die Kulisse könnte ebenso gut eine heruntergekommene Goldgräbersiedlung im alten Wilden Westen sein. (Und tatsächlich wurde der Film in einer Gipsmine in New Mexico gedreht). Der Verbrecher »Desolation« Williams soll aus dem Knast der Minensiedlung Shining Canyon in die Hauptstadt überführt werden. In Shining Canyon sind jedoch nur noch Williams und einige Mitgefangene am Leben, denn die Ureinwohner des Mars haben begonnen, sich gegen die Conquista der Menschen zu wehren. Da müssen sich die Hüter des Gesetzes mit den Verbrechern verbünden, um gegen die Übermacht des unmenschlichen Gegners den letzten Zug in die rettende Stadt zu erreichen.
Pam Grier führt diese Polizeitruppe an. Doch das Vergnügen ihrer schauspielerischen Präsenz wird uns leider nur zehn Filmminuten lang gegönnt, dann steckt ihr Kopf auch schon auf einer Stahlstange im Marswüstensand. Natasha Henstrige übernimmt als Lt. Ballard ihre Position und über diese Wendung im Drehbuch ist man doch einigermaßen betrübt. (Umso mehr, wenn man weiß, dass Courtney Love diese Rolle im letzten Moment abgelehnt hat). So kann man den Rest des Films damit verbringen, die zwei oder drei mimischen Varianten von Frau Henstridge zu bewundern und begeistert festzustellen, dass auch nach dem übelsten Gemetzel der blonde Pferdeschwanz nie aus der Fasson gerät. Die unvermeidlichen statischen Close-ups in den Schuß/Gegenschuß Orgien der verbal recht unergiebigen Dialoge bieten dazu mehr als ausreichend Gelegenheit. Dazu passt es ganz ausgezeichnet, dass Ice Cube den Gangster Desolation Williams gibt. Die meist Zeit blickt er wie ein überraschtes Riesenbaby in die Gegend, und reduziert seine darstellerischen Aktivitäten konsequent auf die pure und etwas plumpe körperliche Anwesenheit. Das einzige, was ihn in dieser Rolle noch retten könnte, ist sein Hip-Hop gestählter Amislang, den die Synchronisation freilich gelöscht hat, um ihn durch das übliche deutsche Halbstarkengestammel solcher Figuren zu ersetzen. Daß er ständig mit »Däsoleischen« angesprochen wird, unterstreicht aber durchaus die subtile dadaistische Komik seines Auftritts.
Seltsame Gebinde aus spitzen und scharfen Gegenständen hängen im Bergarbeitercasino von Shining Canyon von den Decken. Daß solche putzigen Zeichen nichts gutes verheißen, ist seit Blair's Hexe jedermann klar. Diesmal sind’s die Insignien einer marsianischen Geisterhorde, die von einem gewissen Big Daddy Mars auf ihren Feldzug gegen die bösen Erdlinge geführt wird. Big Daddy’s Erscheinung und Outfit ist eine Mischung aus Marilyn Manson und Gene Simmons und das Gehabe seiner Truppe gleicht auch dem etwas übertriebenen ekstatischen Gehampel von Death Metal Fans vor der Bühne ihrer Idole. Wenn die Geister von den Menschen Besitz ergreifen, beginnen diese sich nach Art der New Primitives auf jede erdenkliche Weise zu verstümmeln, um dann als erschröckliche Wiedergänger einer inzwischen schon etwas angestaubten Jugendkultur ihre Gewaltorgien abzufeiern. Ausgerüstet mit primitiven, doch stets äußerst scharfen und spitzen Gegenständen ziehen sie, Unverständliches heulend und stammelnd, in den Kampf gegen die verbliebenen Menschen.
Die haben sich im Knast verschanzt, wo sich neben den Gefangenen auch drei von Desolation Williams Kumpanen eingefunden haben. Von dort wird nun unter Lt. Ballards strenger Aufsicht der eine oder andere, stets verlustreiche Ausbruchsversuch in Richtung Zug gestartet. Kommt’s zum Gemetzel, setzt immer der gleiche hämmernde Simpeltechno ein und spielt auf zum Tanz der Teufel. Das sieht dann aus, als hätte man Kurosawas Schlachtengetümmel in die Playstation eingespeist. Weil die Marszombies zwar grausam aber dämlich sind, ist ihr Bodycount, selbst nach den üblichen Standards des Genres, am Ende immer gewaltig. Schließlich entkommen nur Lt. Ballard und Desolation, doch leider auch die immer zahlreichere Truppe der mutierten Hardrock Fans.
Die Geschichte wird in Rückblenden erzählt, während Lt. Ballard nach ihrer Rückkehr vor einem Untersuchungsausschuß über die Ereignisse Auskunft geben muß. Dieser Spannungskiller Nr. 1 nimmt viel von dem Vergnügen, das man sich – die rechte geistige Verfassung intellektueller Unvoreingenommenheit immer vorausgesetzt – mit diesem Machwerk zwischen Trash und potentiellem Kult ohne Weiteres gönnen kann. Aber wenn man dann sieht, wie Carpenter seine subtilen Ironiesignale setzt und es sich – alter Hippie der er ist – nicht verkneifen kann, den halluzinogenen Drogen mit viel Liebe ein feines Plätzchen in seinem Film zu verschaffen, kann man ihm doch nicht böse sein. Und spätestens das Schlusswort in seiner herzerfrischenden Tiefsinnigkeit versöhnt uns dann mit allen Unzulänglichkeiten dieser marsianischen Rocky Horror Picture Show: »Die Flut kommt. Zeit zum Überleben. Lass uns ein paar Ärsche aufreißen«