Deutschland/Österreich 2013 · 139 min. · FSK: ab 6 Regie: Dominik Graf Drehbuch: Dominik Graf Kamera: Michael Wiesweg Darsteller: Hannah Herzsprung, Florian Stetter, Henriette Confurius, Claudia Messner, Ronald Zehrfeld u.a. |
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Der Film könnte ewig dauern; man möchte nicht, dass er zu Ende geht... |
»Die an sich schon abscheuliche Frage, was uns Schiller heute zu sagen hat, sollte mit der Gegenfrage erwidert werden, was haben wir Heutigen Schiller zu sagen?«
Theodor W. Adorno
»Ein schöner Satz machte die Gefühle noch schöner.«
Dominik Graf über »Geliebte Schwestern«
Man könnte natürlich fragen: Was braucht Deutschland noch einen Film über Schiller? Aber diese Frage ist ziemlich großer Unsinn, egal, aus welcher Perspektive man hinschaut, und wenn man dann erstmal nachdenkt und vielleicht mal wieder liest, merkt man leicht, dass Schiller besser, klüger und vor allem viel zeitgemäßer schreibt als Goethe, der Rockstar der literarischen Klassik.
Man versteht dann auch schnell, dass Schiller ein großer Denker war, ein ernsthafter Historiker.
Goethe hingegen oft doch nur ein eitler Staatsliterat und Salonlöwe. Was man ihm ja auch gar nicht verdenken will. Ist vielleicht die bessere Strategie, wenn es um ein schönes Leben geht. Aber diese ganzen Fragen stellen sich gar nicht in diesem Fall. Denn Historisches kommt zwar schon vor, aber wie jedes gutes Kostümdrama, ist dies ein vollkommen aktueller Film: Über uns, über Sex und Pop und Celebrity-Kultur und eine Medienrevolution.
Wie soll man sich zwischen Weisheit und Glut entscheiden können? Das ist die Frage. Sie müssen beide gleich faszinierend gewesen sein, schön und klug, charmant und leidenschaftlich, diese beiden Schwestern Charlotte und Caroline von Lengefeld. »Weisheit« und »Glut« waren die freundschaftlichen Code-und Kosenamen, die ihnen immerhin kein Geringerer gab, als der Dichter Friedrich Schiller, als er sie im stürmischen vorrevolutionär gärenden Sommer 1788 kennenlernte und sich Hals
über Kopf in sie verliebte – in sie beide. Das war aus vielerlei Gründen problematisch: Schiller war nicht nur ein rebellischer Pop-Autor seiner eigenen Zeit, ein nach aufrührerischen Theater-Sensations-Erfolgen wie »Die Räuber« und »Kabale und Liebe« den Autoritäten überaus verdächtiger politischer Unruhestifter.
Sondern vor allem war er ein armer Poet, der den Fräulein von Stand ganz und gar nicht das bieten konnte, was in puncto materielle Sicherheit erwartet wurde,
erst recht in diesem Fall eines verarmten Adelshauses. Zudem war Caroline bereits verheiratet, wenn auch unglücklich; Charlotte, die Jüngere, die als Hofdame in Weimar engagiert war, sollte eigentlich eine bessere Partie machen. Trotzdem wurde sie dann 1790 Schillers Frau, nachdem der als Geschichtsprofessor in Jena nun auch immerhin über ein festes Einkommen verfügte.
Die geliebten Schwestern heißt der neue Film von Dominik Graf, in dem der Regisseur, der hier auch das Drehbuch schrieb, die Geschichte dieser Liebe zu dritt erzählt, und eine Form von Zwischenmenschlichkeit, von geselligem Austausch wiederauferstehen lässt, der in seiner Andersartigkeit so fremd ist, wie bezaubernd: Männer dürfen weinen und Menschen sind so leidenschaftlich, dass man als Zuschauer nur neidisch werden kann auf das Fühlen und Leben um 1800.
Graf, erfahren in Kino wie Fernsehen, ist allemal einer der besten deutschen Regisseure. In diesem Werk erweist er sich auch als ein sinnlicher Filmemacher, der eine historische Epoche derart zum Leben erweckt, dass sie nicht steril, nie als »Kostümfilm«, sondern immer ganz von hier und heute wirkt.
Alles ist aber im Wesentlichen historisch verbürgt, Graf nimmt sich nur in den Details Freiheiten. Daraus ist ein hochspannender, emotional mitreißender und vor allem absolut moderner Film geworden, der gleichermaßen von der Liebe erzählt, wie von der Kunst. Denn Graf nimmt die ganze Epoche um 1800 in den Blick: Er zeigt, wie Goethe, als »Gigant von Weimar« gewissermaßen schon der alternde Rock-Star aus den Jugendtagen der Vierzigjährigen erstmals auf den jungen aufstrebenden Glam-Helden Schiller trifft, den er schätzt, neben dem er aber auch irgendwie endgültig von gestern aussieht. Er zeigt, wie beide Literaten für ihre Zeitgenossen Celebritys waren, deren Anwesenheit für Menschenaufläufe und spontane Nervenkrisen sorgte: Frauen fielen beim Anblick der Poeten in Ohnmacht oder im Einzelfall sogar aus dem Fenster.
Die geliebten Schwestern ist ein wunderbares, faszinierendes, sehr authentisches Zeitbild, in dessen Hintergrund die Französische Revolution tobt, sich aber auch eine Medienrevolution ereignet: Gipsplatten machen plötzlich Massenbuchdruck möglich: Die moderne Zeitung wurde erfunden. Auch etwas Analoges zur E-Mail und SMS-Kommunikation gab es schon um 1790: Der Postillon kam bis zu zwölf Mal am Tag, und so schmierte und kleckste man laufend das Büttenpapier voll, parfümierte seine intimen »Noten« noch höchst passioniert, und schickte sie versiegelt von Haus zu Haus, Straße zu Straße.
Graf zeigt diesen rasanten, so knappen wie pathetischen Austausch immer wieder in Großaufnahme: Kaum leserlich, doch aus der Schrift kommt die Emotion – manchmal überschlägt sich diese Kommunikation, es wird durcheinandergeschrieben, durcheinandergeredet, und Graf montiert diesen wilden Austausch zu einem virtuosen Taumel der Worte.
Im Zentrum steht aber das Verhältnis der Schwestern zueinander und zu Schiller und in alldem eine überaus progressive Liebesutopie: Die »Menage a trois«. Trotz aller Zwänge erscheinen diese Menschen auch im Vergleich zur Gegenwart überaus frei und innerlich unabhängig. Durchweg überzeugen auch die Darsteller: Hannah Herzsprung und Henriette Confurius – die große Entdeckung des Films! – als Schwestern sind so bezaubernd wie intensiv wie eindringlich. Florian Stetter
als junger Schiller verbindet Ernst und Idealismus mit eleganter Leichtigkeit.
Filmisch orientiert sich Graf erkennbar an französischen Vorbildern, besonders Francois Truffaut: Die zwei Mädchen aus Wales und die Liebe zum Kontinent hieß Truffauts ähnliche Geschichte; klarererweise denkt man auch an Jules und Jim und Das grüne Zimmer. Dies ist das Gegenteil allen gediegenen Historienkinos – irgendwann dann ist der Punkt erreicht und der Film könnte ewig dauern; man möchte nicht, dass er zu Ende geht, so wie man auch nicht möchte, dass das Leben und die Liebe zu Ende gehen.