Deutschland 2019 · 98 min. · FSK: ab 12 Regie: Ziska Riemann Drehbuch: O'Neil Sharma, Ziska Riemann, Madeleine Fricke Kamera: Hannes Hubach Darsteller: Jascha Baum, Luissa Cara Hansen, Bjarne Meisel, Benny Opoku-Arthur, Emma-Katharina Suthe u.a. |
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Entspannt, unvoreingenommen, korrekt |
»Wie fühlst du dich? Nichts los. Nirgendwo läuft was. Ich fühl mich beschissen. Man kann sich auch suhlen in Einsamkeit und Langeweile. Geh raus! Tritt dir mit dem Absatz in den Hintern. Unternimm was. ... Kino? Nein! Diskothek? Nein! Ausstellung? Nein! Irgendein Spiel? Nein! Jugendzentrum? Nein! Dann hol dir einen runter! Hast du schon?« – Günter Amendt, Das Sex-Buch (1979)
Dass in der Erziehung unseres Nachwuchses mehr und mehr der »leichteste« Weg gegangen wird, Eltern genauso wie große Unternehmen ihre Verantwortlichkeiten zunehmend »outsourcen«, davon können ErzieherInnen in Kindergärten und LehrerInnen an Schulen ein Lied singen. Mit der Sexual-Erziehung sieht es allerdings ein wenig anders aus, da setzen Eltern Lehrer zunehmend unter Druck, gerade nichts zu tun, das doch bitte sein zu lassen, um ihre Kinder nicht zu traumatisieren.
Was dann noch bleibt für unsere Kinder, ist das, was ist, nämlich Porno. Der ja nicht grundsätzlich zu verteufeln ist, der auch früher in schmutziger Heftform ein echter Segen war, um endlich einmal darüber zu sprechen (und sich einen runterzuholen), worüber sonst alle schwiegen. Aber als Aufklärungs-Monopol? Geht gar nicht. Nicht allein schon wegen der abstrusen »Körper-Moden« oder der dominierenden »gender-hierarchisierenden Sex-Praktiken«. Aber was tun, wenn die Eltern keine Schul-Aufklärung mehr wollen, aber Internetzugriffe genauso wenig abstellen können wie das Unter-dem-Tisch-Herumreichen von Porno-Heftchen in früheren Zeiten? Da Aufklärungsbücher wie Günter Amendts legendäres Sex-Buch (1979) zwar weiterhin erscheinen – ich denke da vor allem an Ann-Marlene Hennings sehr gutes »Make Love – Ein Aufklärungsbuch« (2012) –, aber halt Bücher sind (die kaum mehr gelesen werden), bleibt nur der Film.
Und zwar nicht die »schmutzige« Porno-Spielart, sondern die leichte, intelligente, deutsche Komödie. Mit einer Regisseurin wie Ziska Riemann, die erst vor ein paar Wochen mit ihrem tollen Film Electric Girl gezeigt hat, wie gut sie generations-übergreifende Konflikte und Identitätskrisen filmisch aufbereiten kann und die sich dann noch die oben schon erwähnte Psychologin und Sexologin Ann-Marlene Henning beratend zur Seite genommen hat, um damit das Aufklärungsbuch zum Film zu machen und der Porno-Industrie nicht das ganze Feld zu überlassen.
Gelingt das? Vermutlich weniger im Kino als im Klassenraumunterricht, wo der Film sehr wahrscheinlich sehr schnell sehr dankbar angenommen werden wird. Vom Lehrpersonal wie von Schülern. Die einen werden kaum so viel und so leicht in so kurzer Zeit über Beziehungen und Sex erzählen können und die anderen werden selten so unpeinlich über dieses Thema informiert werden, ohne gleich daran denken zu müssen, sich einen runterzuholen. Denn Riemann erzählt hier eine Geschichte über ein paar Jugendliche, die ihre Sommerferien bei einer Tante (von Beruf Sexologin) auf einer Nordseeinsel verbringen, so entspannt und unvoreingenommen, als ob sie eben mal bei den Muria in Vorderindien vorbeigeguckt hätte, in deren Ghotul, dem Kinder- und Jugendhaus der Muria, ja geradezu sexueller Kommunismus herrscht. Wie bei den Muria wird auch bei Tante Ellen (Palina Rojinski) jeder dazu animiert, endlich seine Unschuld zu verlieren und dabei auch noch sich selbst (und seine Andersartigkeit) zu entdecken.
Als Kinofilm dürfte Get Lucky allerdings nicht ganz so viele Chancen haben, denn wer will sich schon gerne freiwillig aufklären lassen, wo er doch vermeintlich eh schon alles weiß? Denn bei allen Erzählkünsten, die der Film über das ja durchaus spannende und unkonventionelle Narrativ deutscher Jugendkomödien wie Bibi & Tina versucht einzubinden, bleibt der pädagogische Zeigefinger unserer gegenwärtig so wichtigen politischen Correctness doch immer klar sichtbar und deutlich erhoben: Hautfarbe, sexuelle Ausrichtung und Rollenmodelle, Fetischisierungen und vertrackte Ängste, eigentlich gibt es kaum etwas, dem kein Raum gegeben oder was gar ausgegrenzt wird. Kein übler Witz, nichts Schmutziges, nichts Böses, alles wird und kann bewältigt werden – kein guter Nährboden für eine wirklich gute Komödie.
Aber das will Get Lucky wohl auch nicht sein, denn dabei kann gerade in Bezug auf Sexualität einfach zu viel schiefgehen. Get Lucky will Mut machen (und natürlich aufklären). Und das: macht er richtig gut.