Großbritannien 2005 · 85 min. · FSK: ab 6 Regie: Julian Fellowes Drehbuch: Julian Fellowes Kamera: Tony Pierce-Roberts Darsteller: Tom Wilkinson, Emily Watson, Hermione Norris, John Warnaby, Rupert Everett u.a. |
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Emily Watson und Tom Wilkinson |
Sie führen eine perfekte Ehe, der vielbeschäftigte Londoner Anwalt in den sogenannten besten Jahren namens James und sein hübsche, um einiges jüngere Frau Anne. Trotz der wundervollen Stadtwohnung haben sie sich vor Kurzem erst entschlossen, ihren Lebensmittelpunkt in das Anwesen auf dem Land zu verlegen, um der Hektik der Stadt zu entfliehen. Leider gelingt James diese Flucht sehr viel seltener, als es seiner nicht berufstätigen Frau lieb ist. Und es gibt da den Nachbarn Bill, der sehr charmant ist.
Doch unvermittelt wird das Idyll überschattet: der Mann der Haushälterin wird überfahren. Und James stößt bei seinen Nachforschungen auf Unvermutetes. Was als Versuch beginnt, einen schrecklichen Unfall aufzuklären, stellt den Mann vor die bittere Frage, ob er es sich letztendlich leisten kann, auf sein bisheriges Leben zu verzichten.
Vorhersehbare Komplikationen? Nicht ganz. Was an diesem stilsicheren, durch und durch britischen Upperclass-Melodram überrascht, ist nicht die allmähliche Enthüllung eines Geheimnisses, das mehr ist als ein Seitensprung, oder das genaue Portrait einer sich in Auflösung befindenden Ehe beides Sujets, die hier interessant umgesetzt sind.
Fesselnd ist vor allem die Haltung der Figuren: insbesondere der von Tom Wilkinson verkörperte Anwalt James ist geradezu erstarrt in einem System der Verhaltensregeln, die ihm auch in den absurdesten Situationen wie der Aussprache zwischen seiner Gattin (Emily Watson) und deren Liebhaber (Rupert Everett) Contenance auferlegen. Gespannte Zurückhaltung aller Gefühlsäußerungen bestimmt sein Leben. Wilkinsons gebremster Ausdruck spricht Bände.
Konsequent wird die Geschichte ganz aus James' Perspektive erzählt. Was ist es, dass Anne weg von ihrem Mann, in die Arme des Liebhabers treibt? Ebenso wenig wie James können wir es sehen, Regisseur Julian Fellowes enthält uns hier die Ein-Sicht in die Romanze vor. Ein paar dürre Worte Annes müssen uns genügen: er bietet ihr die Anerkennung, die bedingungslose Akzeptanz, die sie bei James mit seiner starren Haltung nicht finden kann. Oder täuscht sie sich in ihrem Ehemann?
Lügen werden ausgesprochen, hinterfragt und gestanden, und die Geständnisse werfen für die Protagonisten oft genug die Frage auf, ob es nicht besser gewesen wäre, die Fassade unangetastet zu lassen. Man offenbart sich und wird von den Reaktionen überrascht. Geheimnisse drängen ans Licht, und sei es durch die Furcht, dass spätere Entüllung noch vernichtender wäre als das, was sich jetzt an Konsequenzen ergibt. Und die mitunter so eisig wirkende Haltung lässt Raum für neue Perspektiven.
Regisseur Julian Fellowes, der den Drehbuch-Oscar zu Robert Altmans Gosford Park bekam, adaptiert in seinem Regiedebüt den Roman Elf Jahre und ein Tag von Nigel Balchin und aktualisiert behutsam die aus den 50er Jahren stammende Vorlage. Die atmosphärischen Bilder dazu liefert Tony Pierce-Roberts, der als Kameramann inniger Merchant/Ivory-Filme (Zimmer mit Aussicht, Howards End) prädestiniert scheint für das gediegene britische Landleben.
Der Film, der streckenweise zur geheimnisvollen Kriminalgeschichte mutiert, wenn wir mit James dem Geheimnis um Bill und Anne und einen schrecklichen Unfall auf die Spur kommen, ist durchweg ruhig und unaufgeregt erzählt und um so genauer in seinen Beobachtungen, als er sich Zeit lässt. Und die aufgeworfenen Fragen nach Schuld, Verantwortung, Liebe und Verlustangst gehen weit über das hinaus, was die Polizei beschäftigen würde.