Der geheime Garten

The Secret Garden

Großbritannien/F 2020 · 100 min. · FSK: ab 6
Regie: Marc Munden
Drehbuch:
Kamera: Lol Crawley
Darsteller: Dixie Egerickx, Colin Firth, Edan Hayhurst, Julie Walters, Amir Wilson u.a.
Geheimnis – wo bist du?
(Foto: STUDIOCANAL)

Neu gegen alt

Die vierte Verfilmung des Kinderbuchklassikers verdrängt durch ihre Perfektion den Zauber der Vorlage und fällt erst recht gegen Agnieszka Hollands Version aus dem Jahr 1993 ab

Mary Lennox (Dixie Egericks) wuchs in Indien, im wohl­ha­benden Milieu ihrer engli­schen Eltern auf, wurde aber nicht sonder­lich von ihnen beachtet, statt­dessen von Bediens­teten verwöhnt. Dieses Leben hat für die Zehn­jäh­rige ein plötz­li­ches Ende, als ihre Eltern sterben und Mary nach England, in das abge­le­gene Land­schloss ihres Onkels Lord Craven, gebracht wird. Dort herrscht eine düstere Atmo­s­phäre. Die unfreund­liche Mrs. Medlock (Julie Walters) führt Mary in die strengen Regeln ihres neuen Wohnorts ein, ansonsten ist das Haus­mäd­chen Martha (Isis Davis) für sie zuständig. Ihren Onkel (Colin Firth) sieht sie kaum, er sorgt aber dafür, dass Mary alles bekommt, was sie braucht. Trotz Verbots streift Mary in dem riesigen menschen­leeren Gebäude umher und lernt bald ihren Cousin Colin (Edan Hayhurst) kennen, der niemals sein Zimmer verlässt, weil er denkt – und auch von seinem Vater und Mrs. Medlock so behandelt wird – todkrank zu sein. Für Mary, robust und uner­schro­cken, gilt das nicht, sie sagt ihm ihre Meinung und erkundet neugierig das riesige Gelände draußen. Dort lernt sie den Nach­bars­jungen Dickon (Amir Wilson) kennen und entdeckt schließ­lich, geleitet von einem Rotkehl­chen, einen versteckten, präch­tigen Garten.
Die Handlung führt nun gera­de­wegs zur Freund­schaft der drei Kinder. Mary und Dickon können den sich zunächst vehement sträu­benden Colin von der Schönheit des „geheimen Gartens“ über­zeugen und bald kommen sie auch hinter das Geheimnis dieses Ortes. Hier hat Colins Vater, Lord Craven, seine schönste Zeit mit seiner Frau – Zwil­lings­schwester von Marys Mutter – verbracht und seit ihrem frühen Tod den Garten nie wieder betreten. Die Kinder sind es nun auch, die diesen Bann lösen und Lord Craven aus seiner Trauer holen. Doch bevor es soweit ist, muss noch ein fulmi­nantes Ereignis in Szene gesetzt werden.

Aber so ist das mit Neuver­fil­mungen, da wird alles gezeigt und insze­niert, was die tech­ni­schen Möglich­keiten hergeben – von der akribisch-stil­vollen Kleidung bis zur opulent über­bor­denden Blüten­pracht des geheimen Gartens und schließ­lich noch einem spek­ta­ku­lären Brand im Schloss ist der Film von einer Perfek­tion, die den Zauber der Erzählung verdrängt. Zudem wurde die Geschichte, die eigent­lich in der vikto­ria­ni­schen Zeit ange­sie­delt ist, ins Jahr 1947 verlegt, womit eine zeit­ge­schicht­liche Ebene ins Bild rückt, die nicht so recht zur Handlung passt.
In der Film­kritik von Britta Schmeis in epd Film 10/2020 heißt es hierzu: »Marc Munden (Regie) will sich auf die Kraft der Bilder und der Anima­tionen verlassen, über­frachtet aber die Geschichte über Freund­schaft und Familie, den Umgang mit Tod und Verlust sowie die Suche nach dem eigenen Platz im Leben mit visuellen Effekten. Die sind zwar hübsch anzusehen, verflüch­tigen sich aller­dings ähnlich schnell wie die sich im Wind verfär­benden Halme im geheimen Garten.«

Diese Version ist die vierte (Kino-)Verfil­mung des Kinder- und Jugend­ro­mans von Frances Hodgson Burnett, der unter dem Titel „The Secret Garden“ 1911 erstmals veröf­fent­licht wurde. Ausgangs­punkt ist hier eine Cholera-Epidemie in Indien, in deren Folge sowohl Marys Eltern als auch ihr Kinder­mäd­chen sterben und Mary zu ihrem Onkel und jetzigem Vormund Mr. Archibald Craven auf dessen Gut „Misselthwaite“ in England gebracht wird.

Die erste Verfil­mung (USA 1919) ist ein Stummfilm; dreißig Jahre später, 1949, entstand ebenfalls in den USA ein Spielfilm, wobei die Szenen im blühenden Garten in Farbe und der Rest des Films in Schwarz-Weiß gedreht wurde (Regie: Fred M. Wilcox). Es folgten mehrere britische Fern­seh­se­rien zwischen 1960 und 1987 sowie eine japa­ni­sche Anima­ti­ons­serie 1991. Danach widmete sich die polnische Regis­seurin Agnieszka Holland dem „geheimen Garten“ und diese Kopro­duk­tion von USA/Groß­bri­tan­nien 1993 war auch hier­zu­lande im Kino zu sehen. Im Übrigen wurde „Der geheime Garten“ 1991 auch als Musical adaptiert, das am Broadway zwischen 1991 und 1993 über 700 Auffüh­rungen erlebte.

Die aktuelle Film­ver­sion motiviert, sich die zauber­hafte Verfil­mung aus dem Jahr 1993 noch einmal anzusehen, die ich noch in sehr guter Erin­ne­rung habe und die ja glück­li­cher­weise als DVD verfügbar ist.
Hier, in Agnieszka Hollands Der geheime Garten, ist alles anders. Mary Lennox, ein hübsches, verwöhntes Kind, streckt die Arme von sich, lässt sich unbe­wegten Gesichts von Dienst­boten ankleiden, gibt Befehle, und findet das ganz normal. Die ersten Film­szenen geben Einblick in das luxuriöse Leben reicher Engländer in Indien Anfang dieses Jahr­hun­derts. Marys Eltern haben mit dem gesell­schaft­li­chen Leben unter engli­schen Kolo­ni­al­of­fi­zieren offen­sicht­lich mehr zu tun als mit ihrer kleinen Tochter. Mary versteckt sich unter einem Bett, beob­achtet das Treiben der Erwach­senen und das ihrer Eltern, die inein­ander verliebt sind.
Und dann bebt die Erde. Schnitt. Ein Ozean­dampfer stampft durch graue, sturm­ge­peitschte Wellen Richtung England, mit an Bord die durch die Natur­ka­ta­strophe zu Waisen gewor­denen Kinder, die von ihren engli­schen Verwandten sehn­suchts- wie liebevoll beim Anlegen in Empfang genommen werden. Nicht Mary. Einsam sitzt sie in der düsteren Halle und wartet, bis eine ältliche, hart­her­zige Frau auf sie zukommt: Mrs. Medlock (Maggie Smith), Wirt­schaf­terin von Marys Onkel, die sie mitnimmt auf ein riesen­großes, ungast­li­ches Herren­haus im engli­schen Hochmoor. … Mary wandert trotz Verbots durch die Räume, durch die Land­schaft, die das Haus umgibt, und entdeckt verborgen hinter Hecken einen verwil­derten Garten, findet auch den Schlüssel dazu. Dickon, ein natur­ver­bun­dener Junge, der die Tiere kennt wie die Pflanzen, wird ihr Komplize und Spiel­ge­fährte. Sie bringen Leben in den geheimen Garten.
Abends hört Mary immer wieder klagende Laute. Neugierig geht sie ihnen nach, kommt in ein verdun­keltes Zimmer, in dem sich ein Junge ihres Alters voller Pein im Bett windet. Mary erfährt, dass es ihr kranker Cousin Colin ist, der nicht laufen kann, nicht ans Licht darf und überhaupt hyper­sen­sibel reagiert auf alles, was von außen kommt. Sie akzep­tiert seine Empfind­lich­keit nicht, setzt sich über alle Verbote hinweg und nimmt ihn mit hinaus in den Garten. … Die drei Kinder werden Freunde, verbringen den Tag in dem verwun­schenen Garten, der ebenso erblüht wie der blasse Colin. (zit. aus der Film­be­spre­chung von Gudrun Lukasz-Aden in „Kinder- und Jugend­film Korre­spon­denz“ Nr. 58/2’1994)

Der gravie­rende Unter­schied zur aktuellen Version und zugleich das zentrale Motiv der Film­ge­schichte, ist der „Geheime Garten“: Während in der Neuver­fil­mung der Garten, den Mary heimlich zum ersten Mal betritt, gleich mit einer magischen Blüten­pracht beein­druckt, ist der geheime Garten in der 1993er Fassung wirklich seit ewigen Zeiten nicht betreten worden und entspre­chend verwil­dert. Dieser geheim­nis­volle Ort wird erst durch Mary und den Nach­bars­jungen Dickon wieder zum Leben erweckt, bepflanzt und zum Blühen gebracht. An die Bilder dieser schritt­weisen Verwand­lung zum Früh­lings­blü­ten­garten konnte ich mich auch nach fast dreißig Jahren noch gut erinnern. Dass zudem possier­liche Lämmchen und allerlei andere junge Tiere durch die Szenerie springen, mag heute nahe am Gefühls­kitsch erscheinen, wirkt aber im Gesamt­kon­zept stimmig.
Agnieszka Holland (geboren 1948 in Warschau) studierte Filmregie an der Prager FAMU, war zunächst Regie­as­sis­tentin von Krzysztof Zanussi und Andrzej Wajda, für den sie auch einige Dreh­bücher schrieb, ging 1981 (kurz vor Verhän­gung des Kriegs­rechts in Polen) nach Paris, wo sie bis heute lebt. Ihr mehrfach ausge­zeich­neter und in Deutsch­land bekann­tester Film ist Hitler­junge Salomon. Ab 1993 arbeitete sie auch in den USA, nachdem Francis Ford Coppola ihren Film Der geheime Garten produ­zierte.
Die renom­mierte Regis­seurin hat diese märchen­hafte Geschichte spannend, mit drama­ti­scher Musik, sowie farben­prächtig insze­niert, und hat auch Anspie­lungen ans Horror­genre einbe­zogen. Sie bleibt aber konse­quent bei den Kindern, die sich von diesem unheim­li­chen Ort nicht beein­dru­cken lassen, sondern Stärke und Kraft entwi­ckeln und durch ihre Freund­schaft die leidvolle Welt der Erwach­senen verändern. Auch die Kraft der Natur spielt eine große Rolle in diesem Film, in dem der verwahr­loste Garten im Frühling zu einem Paradies erblüht, das nicht nur die Kinder und schließ­lich auch die Erwach­senen im Film bezaubert, sondern auch die Zuschauer vor der Leinwand.
Brisant und über­ra­schend aktuell, ja geradezu sprachlos machend – und von seiner­zeit wohl unge­ahnter Wirkung beim Wieder­sehen des Films im Jahre 2020 – sind die Szenen, als das gesamte Haus­per­sonal mit „Mund-Nasen-Bedeckung“, angeführt von der verbit­terten wie bösar­tigen Mrs. Medlock (eine großar­tige Rolle für Maggie Smith), im Zimmer des für todkrank gehal­tenen Jungen Colin erscheint. Er darf angeblich auf keinen Fall mit Sporen, die in der Luft herum­fliegen und über­tragen werden könnten (!), in Berührung kommen »Und das wird ausgiebig zele­briert.
Alles in allem ein unge­wöhn­li­cher Film, der alle in seinen Bann zieht und der wohl eher die Erwach­senen etwas verwirrt entlässt als die Kinder.« (KJK 58/2’1994) Der sich aber nach­haltig einprägt, besonders die Szenen, wie der geheime Garten entdeckt und dann zum Blühen gebracht wird – ein unver­gess­li­cher Zauber…