Deutschland 2018 · 83 min. · FSK: ab 0 Regie: Benedikt Schwarzer Drehbuch: Benedikt Schwarzer Kamera: Julian Krubasik Schnitt: Natascha Cartolaro |
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Mit dem BMW nach Bonn, zu Wein, Weib und Politik |
»Mama, wie war Opa eigentlich?«
Irgendwann ist der Moment gekommen und die eigenen Kinder fragen nach der Familiengeschichte. Manch einer würde lieber vergessen, kaum einer erzählt bereitwillig über dunkle Kapitel der Vergangenheit. Nicht so bei Benedikt Schwarzer, Absolvent der Münchner Filmhochschule und Regisseur von Die Geheimnisse des schönen Leo. Er lässt sich nicht abwimmeln, fragt nach. Und erhält unbequeme Antworten, die er sich nicht hat
träumen lassen.
Im seinem Dokumentarfilm begibt er sich auf die Spuren seines Großvaters: Leo Wagner. Er war ein CSU-Politiker der Bonner Republik und in der Öffentlichkeit bekannt für seinen ausschweifenden Lebensstil. Schwarzer hat ihn nie kennengelernt, die einzige Ähnlichkeit ist die Brille, die beide tragen, das gleiche Gestell. Was verbirgt sich aber hinter dem »schönen Leo«, dem Politiker und Salonlöwen? Wer war Leo Wagner?
Schwarzers Suche führt ihn zu verschiedenen Stationen im Leben seines Großvaters. Von der alten Wohnung in Günzburg bis zum Rotlichtviertel in Bonn mit Wagners berühmt-berüchtigtem Stamm-Etablissement »Chez nous«, in dem er sich fast täglich aufhielt. Schwarzer arbeitet gründlich. Er folgt den Spuren der Geldgeschäfte, führt Interviews mit Mitarbeitern der Stasi, zu denen Leo Wagner Kontakt hatte, und spricht mit Zeitzeugen, ehemaligen Kollegen und zahlreichen Geliebten. Seine Nachforschungen führen ihn zur sprichwörtlichen Büchse der Pandora, bei der es besser ist, sie nicht zu öffnen. So deckt er einen der größten politischen Skandale der Bonner Republik auf: Sein Großvater soll beim Misstrauensvotum gegen den damals amtierenden Kanzler Willy Brandt seine eigene Partei verraten haben. Dabei spielte nicht die politische Überzeugung eine Rolle, sondern Wagners permanente Geldnöte, die ihn dazu bewegten, im Gegenzug zu seiner Stimme Geld von der Stasi anzunehmen. Neben ihm wurde ein weiterer Politiker von der Stasi bestochen, um das Absetzen Brandts zu verhindern.
Hinter der öffentlichen Fassade: die Familie. Hell ertönt ein Kinderlachen, ein Mädchen spielt mit seinem Vater im Schnee. Es wirkt unbeschwert, fast könnte man alles vergessen, was in dieser Familie schief läuft, wenn Leo mit seiner Frau durch die Natur spaziert und seine Tochter herumtollt. Heile Welt in Schwarzweiß. Fotos zeigen eine perfekte Familienidylle.
Ruth Schwarzer hingegen, Leos Tochter, zeichnet ein anderes Bild von der Vergangenheit, im Hier und Jetzt und in Farbe. Sie erzählt von schmerzlichen Erinnerungen an eine Familie, die nur als Fassade diente, die als »Parkgelegenheit« genutzt wurde, wie sie sagt. Immer wieder kontrastiert der Regisseur die Aussagen seiner Mutter mit Fotos und alten Filmaufnahmen aus ihrer Kindheit und macht deutlich, wie weit Schein und Sein auseinander liegen.
Bonbonfarbene Super-8-Aufnahmen zeigen Leo Wagner oft im Auto. Das gleiche Auto, ein alter BMW, in dem sich sein Enkel nun auf seine Spuren begibt. Es ist das Bindeglied zwischen damals und heute, das Vehikel seiner Zeitreise, vielleicht das einzige Vermächtnis des Großvaters und gleichzeitig Sinnbild der Bewegung und der Suche.
Während der Regisseur im Voice-Over versucht, seine Vermutungen, Gedanken und Entdeckungen zu ordnen, behauptet die ruhige Kamera von Julian Krubasik, dass alles klar auf der Hand liegt. In Wirklichkeit aber zerfällt, je näher Schwarzer der Wahrheit kommt, das ganze Lebenskonstrukt. Wie ein Kriminalkommissar hat er sich auf die Suche nach den wahren Begebenheiten gemacht und kommt dabei dunklen Geheimnissen auf die Spur. So wird sein Dokumentarfilm zum spannenden Krimi. Als es bereits so scheint, als wären die Ermittlungen abgeschlossen und die Akte beiseitegelegt, nehmen die Ereignisse noch eine Wendung, mit der niemand gerechnet hat.