USA 2000 · 102 min. Regie: Stephen Kay Drehbuch: David McKenna Kamera: Mauro Fiore Darsteller: Sylvester Stallone, Miranda Richardson, Rachael Leigh Cook, Michael Caine u.a. |
Es liegt kein Kohlenstaub in der Luft von Seattle.
Als Jack Carter noch Michael Caine hieß, da schien jedes Bild getränkt von Dreck, von Finsternis. Da klebte das Schwarz in jeder Pore. Carter trug den Tod nach Newcastle, in diese uralte Kapitale der Industrie, wo alles zu riechen schien nach dem dunklen Brennstoff, den man dort aus dem Boden schürfte. Und Carter, auf der Spur der Mörder seines Bruders, musste herausfinden, dass da noch ganz andere, noch dunklere Geschäfte liefen,
dass der wahre Rohstoff für gnadenlosen Kapitalismus der Mensch ist.
Fast genau dreißig Jahre später kommt ein anderer Jack Carter in die Hauptstadt einer anderen Art von Industrie – nach Seattle, der Hochburg für Software und High-Tech. The more things change, the more they stay the same – die »New Economy« ist die »Old Economy« mit Webadresse. Auch in Seattle ein toter Bruder, auch in Seattle finstere Machenschaften. Die Kinderpornos sind jetzt auf Discs statt auf Super 8
– that’s all.
Aber es liegt kein Kohlenstaub in der Luft von Seattle.
Die Fassaden sind glatt und modern, und weil auch dieser neue Get Carter sich die Düsternis nicht nehmen lassen will, müssen die Regenmaschinen Überstunden machen und Carter seine Runden meistens nachts drehen.
Das eine Jahr, das der Film gebraucht hat, um nach seinem Misserfolg an amerikanischen Kinokassen doch noch den Weg auf deutsche Leinwände zu finden, hat ihn schon fast zu einem Historienfilm werden lassen. Und es ist schon eine Leistung, dass er nicht insgesamt lächerlich wirkt, obwohl seine Fantasie vom unbegrenzt mächtigen und reichen Internet-Startup-Chef nach dem Zusammenbruch der Neuen Märkte schon anmutet wie ein komischer Traum, aus dem wir alle erwacht sind.
Das
verdankt Get Carter nicht zuletzt seiner Besetzung. Keinen Besseren als Sylvester Stallone hätte es geben können für diese Rolle. Es ist irgendwann in den ‘80ern Mode geworden, Stallone zu unterschätzen, ihn zur Witzfigur zu erklären. Dabei ist er einer der letzten großen, wahren amerikanischen Männer-Schauspieler, einer, der die Fahne eines Mitchum, eines jungen Eastwood hochhält. Einer, der pure Präsenz, pure Physis an Stelle mimischer Vielfalt setzt. Er
war immer die Antithese zu Schwarzenegger, der Cyborgs, Klone, Comicfiguren spielte – Stallones Körper war Natur-Körper gegenüber Arnolds Kunst-Leib. Und als die Action-Helden zunehmend in virtuellen Räumen zu operieren hatten, sank Stallones Stern – sein Sieg über die Mensch-Maschine Ivan Draco in Rocky V war schon nur noch nostalgischer Wunschtraum.
Wer besser also als er, dessen adernübersäte Oberarme dauernd aus dem Designer-Sakko zu platzen
drohen, wer besser als dieses geballte Paket reiner Fleischlichkeit, um in das digitale Babylon von Seattle hereinzufahren in heiligem Zorn, aufzuräumen im virtuellen Sündenpfuhl. Und welch eine Freude, ihn dann auch noch in Konfrontation zu sehen zu einem anderen dieser Testosteron-Gesteine, zu Mickey Rourke.
Es ist fast immer unfair, Remakes am Original zu messen. Es muss erlaubt sein, Geschichten wieder, neu, anders zu erzählen. Aber dieser Get Carter macht es einem – obwohl er sich offiziell nur auf den Roman beruft, nicht auf Mike Hodges Klassiker – so verdammt schwer, das Vorbild nicht stets auch mitzusehen. Das beginnt bei der Musik, die das Hauptthema der britischen Version aufgreift um es mit elektronischen Beats fortzuspinnen: Schon im Vorspann
wird der Wahrnehmungsprozess so zu einem des ständigen Vergleichens, der unablässig präsenten Differenz zu etwas anderem statt der Konzentration auf etwas Eigentliches. Von den weiteren Parallelen ist die Besetzung Michael Caines in einer Nebenrolle nur die offensichtlichste.
Wer so bewusst und stetig den Vergleich aufmacht zu einem anderen Film-Text, der sollte dann aber auch etwas Ebenbürtiges zu bieten haben. (Tim Burton beispielsweise gelingt das in Planet of the Apes deutlich besser.) Dieser neue Get Carter aber begnügt sich mit einer dauernd zur Schau gestellten Modernität, die keine Tiefe hat, die geschmäcklerische Oberfläche bleibt. An den entscheidenden Punkten öffnet er stets nur interessante Perspektiven, verfolgt sie aber nie konsequent genug. Da wird bereits zu Beginn auf dem Soundtrack minutenlang Moby gedudelt,
ob’s passt ist gleichgültig, Hauptsache es ist aus den Charts und klingt nach »heute«. (Was es, das ist die Gefahr dabei, aber kaum länger als ein paar Monate tun wird.) Da wird mit jump cuts und verschiedenen hintereinandermontierten Takes der selben Einstellung gehubert, weil’s hip aussieht. Aber es wird nie zu Ende gedacht, was es bedeutet, in Seattle statt Newcastle zu sein, wirken die Unterschiede der Orte, Länder, Zeiten eher wie zu bewältigende und auf das
Bekannte zurückzuführende Störfaktoren denn als produktive Denkanstöße.
Dieser Get Carter ist selbst zu sehr schon Produkt, Produkt einer Unterhaltungs-Industrie, die in ihren schwächsten Momenten stets nur auf Konsens-Lösungen aus ist. Der britische Get Carter hatte eine wortlose, mythische Klarheit und Größe, war gemeißelt wie griechische Tragödie, auswegs- und kompromisslos. Der amerikanische bemüht sich nun doch, alles wieder ins Private,
Konkrete, Gewohnte zurückzuholen, muss aus dem Protagonisten doch wieder eine Sympathiefigur machen – da braucht dann auch ein Jack Carter eine Vergangenheit, rührende Gespräche über eine gescheiterte Ehe. Irgendwie ist halt doch immer eine schwere Kindheit an allem schuld.
Eine einzige Träne gab es 1971. Und was sie so bitter machte war, dass die Wut und Trauer über die Welt, aus der heraus Michael Caine sie vergoss, eigentlich kein Mitleid mit den Opfern dieser Welt kannte,
dass es letzlich eine ganz und gar egoistische Träne blieb, die ihm nur das Blutbad rechtfertigen sollte, das er dann folgen ließ.
2000 stehen nun Carter und seine missbrauchte Nichte auf einem Dach in Seattle und quatschen eine tränenerstickte Szene zu Tode, die uns zu sagen hat, dass eben doch alles gut wird: Carter als mitfühlender Therapeut, und der alte amerikanische Traum, dass es nichts gibt, was man nicht überwinden könnte; dass auch vergewaltigte Kinder noch etwas
gewinnen können aus ihrer Erfahrung, wenn sie sie nur richtig verarbeiten.
Am Ende von Mike Hodges Get Carter-Version wurde der Protagonist (der nie ein Held war) selbst zum Abfallprodukt eines Industrieprozesses. No exit, no redemption.
»Sure it does,« sagt Sly Stallone auf den Vorwurf »revenge doesn’t work,« und das wäre ein wunderbarer Film-Dialog, wenn er nicht dienen würde, ein viel feigeres, viel langweiligeres Ende zu rechtfertigen. Im Jahr 2000 in
Amerika glaubt man wieder daran, dass einzelne Personen schuld sind am Schlechten in der Welt und nicht das System. Dass einer kommen kann und gezielt ein paar Menschen erschiessen und alles wird gut, weil das Symptom auch immer schon gleich die Krankheit selbst ist.
Man kann den Dreck abwaschen, fortspülen, kann auf den Morgen warten und die Regenmaschinen abstellen, und es wird die Sonne scheinen und alles glänzen.
Denn es liegt kein Kohlenstaub in der Luft von Seattle.
»Glaub mir’s: Rache funktioniert nicht.« – »Klar tut sie’s.« – Im Kino ist das ein Lacher, erst recht, wenn es Sylvester Stallone ist, zwischen dessen Zähnen die Replik cool und knapp herausgeschossen kommt. Aber dem von ihm verkörperten Titelhelden seines neuesten Films ist es bitter ernst.
Es gab schon einmal, 1971 einen Film, der Get Carter hieß. Er stammt von Mike Hodges und erst kürzlich wählte ihn, der bei uns zunächst als »Schund« verachtet wurde und nun regelmäßig in den Programmkinos läuft, die britische Filmkritik zum besten britischen Gangsterfilm aller Zeiten: Eine harte, tiefdüstere Rachegeschichte. Bei aller Tristesse erfüllt sie zugleich der Humor, den viele britische Filme haben: sarkastisch, zugleich überdreht, zudem mit mehr als einem Hauch von jenen wilden Pop-Phantasien der Filme Richard Lesters. Get Carter, dessen Remake nun in die Kinos kommt, handelt von einem Gangster, der in die Stadt seiner Kindheit heimkehrt, die er einst auf Nimmerwiedersehen verließ. Sein Bruder wurde getötet, und die Schuldigen zu finden, das macht dieser Carter zu seiner Herzenssache, dem Ziel, für das er alles andere bereit ist zu opfern. Offenbar will er so auch etwas gutmachen an dem Toten. Auf dem Weg dahin ist er nicht gerade zimperlich, auch nicht mit seiner Familie, die er nach Jahren wiedertrifft. Im Gegenteil: Wie ein Bulldozer bricht dieser Fremdkörper ins Leben seiner Mitmenschen ein, reißt alles mit, was sich ihm in den Weg stellt. Damals spielte ihn Michael Caine, mit seiner einmaligen Mischung aus Eleganz und Proletariertum, seinem Können, das untrennbar ist von den Erinnerungen an eine Kindheit in den Vierteln der working class.
Die Herkunft aus kleinen Verhältnissen teilt Stallone mit Caine, und wenn sonst auch nichts, verbindet doch dies den Hauptdarsteller des Remakes mit seinem Vorgänger. Zugleich garantiert diese Wahl, dass es sich hier nicht einfach um eine Nachahmung handelt, sondern um einen eigenständigen Film, in ganz eigenem zeitgemäßen Stil, der den Spuren des früheren Films oft folgt, sie aber noch öfter verlässt.
Es konnte nicht gut ausgehen, damals Anfang der 70er, als solche Gangsterhelden immer auch ein wenig Klassenkämpfer waren im europäischen Kino. Dass solche Typen dort heute nicht mehr oft zu finden sind, sagt einiges – und nichts Gutes – über seinen Zustand aus. Um so bemerkenswerter, dass ein Remake nun aus Amerika zu uns kommt, das zumindest den Geist des Originals in unsere Zeit überführt, seine schlichte archaische Klarheit und die Selbstverständlichkeit des Geschehens aufgreift.
Einer wie Carter ist auch heute ein Fremdkörper, denn genau das, was allen anderen am Herzen liegt, das eigene Überleben, scheint ihn nicht zu interessieren. Und was Stallone in all seiner Lakonie aus diesem Typen macht, der nur nach dem Prinzip von trial and error funktioniert, ist bemerkenswert. Neben ihm trifft man viele gute Schauspieler: Rachel Leigh Cook, Miranda Richardson, Rhona Mitra, Mickey Rourke. Und vor allem Michael Caine, diesen ganz Großen, wieder in einer ziemlich zentralen Rolle. Auch eine Erinnerung. Aber viel mehr als das.