Frankreich 2014 · 99 min. · FSK: ab 6 Regie: Anne Fontaine Drehbuch: Pascal Bonitzer, Anne Fontaine Kamera: Christophe Beaucarne Darsteller: Gemma Arterton, Jason Flemyng, Fabrice Luchini, Elsa Zylberstein, Edith Scob u.a. |
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Experimentell und unterhaltsam zugleich |
Als frustrierter Intellektueller, der zwischen Fiktion und Realität verloren geht, war der französische Charakterdarsteller Fabrice Luchini bereits 2012 in François Ozons kunstvoll arrangiertem Psychodrama In ihrem Haus zu sehen. Einem hintersinnigen Erzählpuzzle, das sich mit großem Eifer dem voyeuristischen Charakter fiktionaler Texte – seien es nun Romane oder Filme – widmete. Um den neugierigen Blick in ein fremdes Leben und das Spiel mit der Fantasie geht es auch in Luchinis neuestem Film, einer Adaption der von Posy Simmonds verfassten Graphic Novel Gemma Bovery, die Gustave Flauberts weltbekannten Gesellschaftsroman „Madame Bovary“ durchaus gewitzt in die Gegenwart transportiert.
Anne Fontaine erzählt in ihrer Comic-Verfilmung vom Ex-Bohemien Martin Joubert (Fabrice Luchini), der nach dem Scheitern seiner Pariser Lektoren-Karriere eher widerwillig die väterliche Bäckerei in der Normandie übernimmt und fortan mit dem eintönigen Landleben zu kämpfen hat. Als jedoch die hübsche Engländerin Gemma Bovery (Gemma Arterton) und ihr Ehemann Charlie (Jason Flemyng) ins Nachbarhaus ziehen, hat die Langeweile schlagartig ein Ende. Nicht nur das bezaubernde Aussehen der jungen Frau hat es Martin angetan. Auch ihr vertraut klingender Name und das schon bald losbrechende Liebeschaos zwischen ihr und einem jungen Adligen lassen den kauzigen Bäcker nicht mehr los. Da er fest davon überzeugt ist, eine moderne Reinkarnation von Flauberts Romanheldin Emma Bovary vor sich zu haben, setzt er irgendwann alles daran, Gemma das Schicksal zu ersparen, das ihr literarisches Pendant erleidet.
Ein Mann im fortgeschrittenen Alter verfällt einer attraktiven, deutlich jüngeren Frau – man kennt diese Konstellation. Aus der Literatur, aber auch aus dem Kino, das alleine über die Anordnung von Blicken erotisches Interesse greifbar machen kann. Fontaine und Koautor Pascal Bonitzer belassen es jedoch nicht beim bloßen Auswalzen einer Standardsituation, sondern spinnen rund um Martins (unerwidertes) Begehren ein Netz an amüsanten Verweisen auf Flauberts Roman und die nach wie vor stark männlich geprägte Sicht vieler Filme. Einerseits ist Joubert ein waschechter Voyeur, der heimlich in das Leben seiner neuen Nachbarin eintaucht (so wie der Kinogänger an den Abenteuern fiktiver Personen auf der Leinwand partizipiert), den Zuschauer über Voice-Over-Kommentare an seinen Gedanken teilhaben lässt, seine Sehnsüchte Gemma gegenüber aber nicht offen eingestehen kann. Andererseits schwingt er sich mit zunehmender Dauer allerdings auch zu einem Gestalter der filmischen Narration auf. Einer Instanz, die, wie er selbst bemerkt, einem Regisseur ähnelt, der die Handlungen seiner Figuren lenkt und ihnen bestimmte Worte in den Mund legt.
Immer wieder überschneiden sich derartige Meta-Reflexionen mit den vordergründigen Elementen des Plots, der an entscheidenden Stellen die zentralen Wendungen aus „Madame Bovary“ aufgreift. Die offensichtlichen Parallelen wiederum veranlassen den obsessiven Martin zu kleineren Manipulationen, schließlich will er um jeden Preis verhindern, dass Gemma ein solch schreckliches Ende findet wie die Protagonistin des Romans. Ironischerweise sind es gerade seine Eingriffe, die überhaupt zu einer Verschärfung der Lage führen. Ein facettenreiches Spiel mit unterschiedlichen Fiktionsebenen, das auch ohne Kenntnis des zugrunde liegenden Klassikers stets verständlich bleibt.
Jenseits dieser selbstbezüglichen Erzählexperimente funktioniert Gemma Bovery aber auch als leichtfüßig inszenierter Unterhaltungsfilm, der romantische Stimmungen mit absurd-komischen Szenen und etwas abgründigeren Momenten verbindet. Häufig sucht der Kamerablick die ansehnliche Erscheinung von Hauptdarstellerin Gemma Arterton, kann sich glücklicherweise aber von allzu billiger Körperschau freimachen. Vielmehr setzt Fontaine auf eine sinnliche, fast schon verklärte Inszenierung der jungen Engländerin, die in luftigen Sommerkleidern durch eine hell erleuchtete Landkulisse wandelt. Was kitschig und überzuckert anmutet, ist freilich bewusstes Regiekonzept, da wir Martins Projektionen, seiner extrem subjektiven Perspektive auf die junge Nachbarin beiwohnen.
Ärgerlich gestaltet sich lediglich die gegen Ende recht banale Handlungszuspitzung, die an schablonenhafte TV-Schmonzetten erinnert. Dass die anspielungsreiche Tragikomödie ihren Charme dennoch beibehalten kann, liegt vor allem an Fabrice Luchini, der die Kreuzung aus schwärmerischem Intellektuellen und verschrobenem Stalker durchweg mit großer Spielfreude und der nötigen Portion Sarkasmus verkörpert. Ihm könnte man weiterhin zuschauen. Auch nach den amüsanten Schlusseinstellungen, die noch einmal die Kraft der Imagination augenzwinkernd beschwören.