Franz K.

Franz

CZ/D/PL/F 2025 · 128 min. · FSK: ab 16
Regie: Agnieszka Holland
Drehbuch:
Kamera: Tomasz Naumiuk
Darsteller: Idan Weiss, Jenovéfa Boková, Maria Schrader, Ivan Trojan, Josef Trojan u.a.
Franz K.
Zum Bildnis stilisiert
(Foto: X Verleih)

Das Leben als Karussell

Agnieszka Holland kapituliert in ihrem Film »Franz« vor dem »Kafka-Komplex« und zerkaut ihn zu Konsumgut

»Wenn man doch ein Indianer wäre, gleich bereit, und auf dem rennenden Pferde, schief in der Luft, immer wieder kurz erzit­terte über dem zitternden Boden, bis man die Sporen ließ, denn es gab keine Sporen, bis man die Zügel wegwarf, denn es gab keine Zügel, und kaum das Land vor sich als glatt­ge­mähte Heide sah, schon ohne Pfer­de­hals und Pfer­de­kopf.«
– Franz Kafka, »Wunsch, Indianer zu werden«, 1912

Dieser Film ist nichts für Kafka-Anfänger, denn ein bisschen Vorwissen ist dringend vonnöten, um sich in diesem Labyrinth nicht gleich ganz zu verirren. Er ist aber auch nichts für Lite­ra­tur­wis­sen­schaftler oder Menschen, die an der Kultur­ge­schichte der ersten Jahr­zehnte nach 1900 inter­es­siert sind. Dies ist auch kein Kafka für die Gen-Z, auch wenn er hier manchmal als wunder­li­cher, über­spannter Gesund­heitshipster wirken könnte und Milena kitschige Pflanzen-Tattoos am Arm hat. Dafür ist das alles zu bieder, zu gediegen, zu Euro­pud­ding. Und auch nicht »queer«.
Aber so ein richtiges klassisch-episches Biopic für Bildungs­bürger ist Franz K. schon gar nicht.

Was ist er dann? Oder anders gefragt: Wer war nochmal Franz Kafka?

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Ein Versi­che­rungs­an­ge­stellter, der Probleme mit seinem Vater hatte. Und mit Frauen. Und ein recht konfuses Liebes­leben: Bordell­be­suche, zwei Verlo­bungen, die schnellst­mög­lich wieder gelöst wurden. Zwei weitere Frau­en­be­zie­hungen, die aber jeweils nicht mehr als ein knappes Jahr dauerten, trotzdem aber vermut­lich wichtiger waren als die Verlo­bungen.

Ach, ja und ein paar sonder­bare Geschichten hat der Mann vermut­lich auch noch geschrieben... Zumindest kann man das nach diesem Film vermuten.

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Nein – man versteht wirklich nicht, was die polnische Regis­seurin Agnieszka Holland geritten hat, um diesen Film zu machen, der allem Anschein nach auch zu spät fertig wurde. Jeden­falls hat man das Kafka-Jubiläum 2024 um fast zwei Jahre verpasst, erst im San-Sebastián-Wett­be­werb vor vier Wochen auszeich­nungslos Premiere gehabt und darum das Pech, der vierte Film zum 100. Todestag dieses Groß­schrift­stel­lers zu sein, nach zwei besseren und vor allem nach der heraus­ra­genden sechs­tei­ligen ORF/ARD-Serie des Öster­rei­chers David Schalko.

Solche Jubiläen sind eine merk­wür­dige Sache: Sie infor­mieren über Neben­säch­lich­keiten und schieben die Haupt­sache an den Rand. Wir wussten schon vor 2024 alles Mögliche über Kafka und Milena, und über Kafka und Felice, und über Kafka und Dora Diamant, und über Kafka und die Huren, über seinen Vater sowieso und viel­leicht auch über die drei Schwes­tern, die alle von den Deutschen im KZ ermordet wurden. Und natürlich über Max Brod.
Ein Kafka aus Scho­ko­lade oder aus Marzipan ist mir noch nicht begegnet, gibt es aber sicher auch.

Es ist hierbei zumindest zu bemerken, dass Kafka das Kino und einige ziemlich gute Regis­seure gefesselt hat, ganz im Gegensatz zu anderen Schrift­stel­lern des 20. Jahr­hun­derts, die es genauso oder viel­leicht noch mehr verdient hätten... – aber das ist ein anderes Thema.

So wissen wir ziemlich viel Unwich­tiges und Unin­ter­es­santes, aber auch allerlei Inter­es­santes und Wichtiges wie etwa Kafkas Beziehung zum Kino, seine Beziehung zum Sport und die Tatsache, dass Kafka studierter Jurist war, Versi­che­rungs­an­ge­stellter und sogar in Vertre­tung für seinen Vater eine ganze Weile Unter­nehmer. Ja, es gibt tatsäch­lich ein Buch über »Kafka als Unter­nehmer« und manche haben sogar seine Tuber­ku­lose-Krankheit damit in Verbin­dung gebracht, dass Kafka als eben dieser Unter­nehmer eine Asbest­fa­brik geleitet hat.

Aber all das ist sekundär! Es geht und sollte gehen um Kafka als Schrift­steller. Denn es ist ja was in seinen Texten. Man muss Kafka nicht lieben, um zu konsta­tieren, dass seine Texte einen einma­ligen Ton haben. Insbe­son­dere die Minia­turen und Kurz­ge­schichten. Je kürzer, desto besser. Sie können verzücken und können erschre­cken.
Aber was ist das für ein Schrecken? Und woher kommt er?

War Kafka ein Autor, der vor allem den bizarren, den »schrägen« Charakter der Wirk­lich­keit aus dieser heraus­ar­beitet? Oder ist er ein früher Exis­ten­tia­list, der die Entfrem­dung des modernen Menschen zum Thema macht und dafür mehr ironische Metaphern gefunden hat als andere? War viel­leicht nicht alles ganz so schlimm im Leben von Franz K.? Oder ist er ein Seis­mo­graph des Apparats, der das moderne Indi­vi­duum zunehmend in eiserne Knecht­schaft zwängt, der Behör­den­willkür, der Mach­t­an­maßung und Demü­ti­gung, die wir Menschen selbst in Demo­kra­tien erleben? Oder gar ein Prophet der Gefan­gen­nahme, des Mordes und der Folter? Des Kontroll­re­gimes des Faschismus?

Fragen, die man in einem Kafka-Film, wenn schon nicht beant­worten, dann doch so stellen könnte, dass man sie versteht, und zum Selbst­denken angeregt wird.

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Will das Agnieszka Holland? Oder was will sie dann mit diesem Film?

Gerade der Vergleich mit der erwähnten David-Schalko-Serie enthüllt, was Agnieszka Hollands Franz K. fehlt: Schalko versuchte es über­zeu­gend mit sechs unter­schied­li­chen Perspek­tiven auf den Mensch Kafka und mit sehr dezenten Werk­ver­weisen die Komple­xität seines Gegen­standes zu zeigen und dabei aber zu durch­dringen, zu orga­ni­sieren.

Holland ist sich dieser Komple­xität ohne Frage auch bewusst, aber sie kann sie nicht bewäl­tigen. Sie stellt ihre Haupt­figur zum Beispiel vor einen Schmink­spiegel, worauf er dann in drei Perspek­tiven gleich­zeitig zu sehen ist – irgendwie kafkaesk vermut­lich.

Jens Hinrichsen macht im »Tages­spiegel« denselben Vergleich und kommt auch zum selben Schluss: »Es ist ein Spiel mit Biografie, Rezeption und Kafka-Kuriosa, bei der die Haupt­figur bald ins Hinter­treffen gerät. Franz wird uns egal. Während man sich in der inhalt­lich vergleich­baren, weit intel­li­genter gemachten Miniserie ›Kafka‹ regel­recht in den Prot­ago­nisten verliebt.
Sicher, Daniel Kehlmann und David Schalko hatten für den Sechs­teiler mit seinen an Wes Anderson erin­nernden Tableaus und der ausge­klü­gelten Drama­turgie mehr Erzähl­zeit. Aber im Schnell­durch­lauf ist Kafka eben nicht zu haben.«

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Viel­leicht ist der Kafka-Komplex wirklich unver­filmbar, will man nicht einfach das Leben des Mannes brav und bieder nach­er­zählen – dieses Leben ist aber ja nicht wirklich der Grund, warum wir uns für Kafka inter­es­sieren.

Und das, was Kafkas Literatur einmalig macht, der surreale, schräge – wie man so sagt: »kafkaeske« – Blick auf die Welt ist womöglich nicht in einem einzigen Film über­zeu­gend zu fassen.

Hinzu kommt auch noch, dass Franz Kafka Geschichten erzählt, von denen man manche, bei all ihrem Humor und Märchen­cha­rakter, aber losgelöst von der Weihe des Klas­si­kers, nüchtern und mit heutigem Blick betrachtet, als »paranoid« oder »verschwörungs­my­thisch« im Quer­den­ker­spek­trum einordnen könnte.
Aber auch darüber gibt es heute lieber Still­schweigen, denn man möchte dem armen Franz ja nichts antun. Dabei wäre genau dieser Bezug inter­es­sant: Was ist heute an Kafka unver­mit­telbar? Was ist sperrig, »umstritten« und »streitbar« wie die verklemmten Begriffe der Gegenwart für das lauten, das man am liebsten totschweigen möchte?

Statt­dessen schwa­dro­nieren einzelne deutsche Film­kri­tiker – bei anderen habe ich es zumindest nicht gelesen – über Kafka in Zeiten der »Partei­dik­tatur« (gemeint ist der Staats­so­zia­lismus in Polen), und wie wahn­sinnig provo­kativ er ja damals wohl gewesen ist.
Das mag ja auch alles stimmen. Aber die Partei­dik­tatur, die ist ja nun mal 35 Jahre her, also fast so lange, wie sie überhaupt existiert hat. Deswegen sollten wir doch nicht nur alte Kalte-Kriegs-Nost­al­gien pflegen, und uns über Frei­heits­kämpfe gegen das »natio­na­lis­ti­sche, bornierte, verhär­tete, korrupte Polen« auslassen, sondern viel­leicht eher nach der real-exis­tie­renden Konsum­dik­tatur unter kapi­ta­lis­ti­schen Verhält­nissen fragen. Entspricht der Schrift­steller Franz Kafka denn dieser? Oder ist er hier viel­leicht genauso wenig gelitten, oder nur als Kafka-Burger und Kafka-Handtuch – um mal zwei mäßig subtile Scherze aus Agnieszka Hollands Film zu erwähnen?

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Weil es sehr schwer ist, Kafka zu verfilmen, haben selbst große Regis­seure wie Orson Welles (Der Prozeß), Jean-Marie Straub (Amerika) oder Michael Haneke (Das Schloß) sich weise, aber keines­wegs immer erfolg­reich, auf eine der vielen Erzäh­lungen beschränkt, und nicht versucht, den ganzen Kafka in einen Film zu pressen. Genau das tut jetzt aber Agnieszka Holland – darum lässt sie die Literatur im Großen Ganzen einfach weg, und versucht dafür, das Leben Kafkas »kafkaesk« zu erzählen.

Das Ergebnis ist ein völlig miss­glückter Film, irgendwo zwischen Expe­ri­ment, Kabarett und post­mo­derner Revue. Dies ist ein vor allem pompöses Biopic, das durch eine Überfülle erzäh­le­ri­scher und visueller Allüren geprägt ist und alles in allem ange­be­risch wirkt. Ein wirres Thea­ter­spiel, unglaub­lich über­frachtet, konzen­triert auf biogra­phi­sche Anekdoten, die angeteast, aber nicht einmal zuende erzählt werden.

Die Erzählung springt unab­lässig und nach keinem erkenn­baren Konzept in der Zeit­chro­no­logie hin und her, bis sie gele­gent­lich sogar in die Gegenwart gelangt, um vermeint­lich bissige Kommen­tare über den touris­ti­schen Blick auf diesen Schrift­steller und auf unser kultu­relles Gedächtnis einzu­fügen. Soll womöglich »Dekon­struk­tion« sein.
Figuren aus der Fiktion wenden sich direkt in die Kamera, um zu uns, den Zuschauern, durch »die vierte Wand« hindurch über den Prot­ago­nisten zu sprechen; die Kamera kreist unauf­hör­lich um alle Figuren herum – als handele es sich um ein ausge­stelltes Karussell; drama­ti­sche, histo­risch veran­kerte Momente wechseln sich mit schau­rigen, traumähn­li­chen »Insze­nie­rungen« einiger kurzer Text­frag­mente, vor allem aus der »Straf­ko­lonie« ab, ohne sie in einen Kontext zu stellen.
Am Ende ist Kafka recht zeit­geistig auch noch ein »Opfer« (so nicht der Rezensent, sondern die Max-Brod-Figur im Film).

Idan Weiss als Kafka sieht zwar aus, als sei sein Gesicht direkt nach alten Foto­gra­fien model­liert worden, aber schau­spie­le­risch bleibt er eine spre­chende Büste. Schmerz, Unsi­cher­heit und Genia­lität brechen nie durch – man hat eher den Eindruck, Franz entwickle eine ernst­hafte psychi­sche Störung. Peter Kurth als Vater hingegen scheint in einem völlig anderen Film mitzu­spielen – einem Horror­film über häusliche Tyrannei, in dem Gänse­keule und Gebrüll die Haupt­re­qui­siten sind. Und die Frau­en­fi­guren um Kafka? Sie huschen durchs Bild, damit man sie abhaken kann – nicht als echte Menschen.

Alles will »größer als das Leben« erscheinen in einem Film, der sich selbst als wichtig und ambi­tio­niert versteht, voller Anspie­lungen und gespickt mit histo­ri­sie­renden Refe­renzen – das Ergebnis ist ein hyper­bo­li­scher Kultu­ra­lismus, eine Tour de Force aus Forma­lismus, Geschrei und riesiger Leere.

Viel Lärm um nichts. Weder inter­es­sant noch lehrreich – eher eine unglück­liche (Selbst-)Parodie.