From Hell

USA 2001 · 121 min. · FSK: ab 16
Regie: Albert Hughes, Allen Hughes
Drehbuch: ,
Kamera: Peter Deming
Darsteller: Johnny Depp, Heather Graham, Robbie Coltrane, Ian Holm u.a.
Die seltsamen Methoden des Inspektor A.

Oscar Wilde sagt: »Wir liegen alle in der Gosse aber einige von uns blicken auf zu den Sternen.« Diese Frau zum Beispiel, um die sich hier die Neugie­rigen und Sensa­ti­ons­lüs­ternen scharen. Nur eben...
Wieder ein Leichen­fund, murder most foul im Londoner East End. Der ermit­telnde Inspektor Fred Abberline schließt der Toten die Augen. Legt zwei Münzen auf ihre Lider. Der Obolus für den Fährmann, sagt er, die Überfahrt ins Jenseits will bezahlt sein...Nichts ist umsonst in dieser Welt und an ihrer Peri­pherie.

London, 1888. Ein heißer Sommer, ein mörde­ri­scher Sommer. Das Britische Empire ist auf dem Höhepunkt vikto­ria­ni­scher Kolo­ni­al­herr­lich­keit. Der Absturz ist nahe. Es ist eine Zeit der Phantome, der über­hitzten Fantasien, der Untoten. Nur wenig später wird ein tran­sil­va­ni­scher Graf Angst und Schrecken verbreiten in der Stadt und selbst der Inbegriff uner­bitt­li­cher Aufklä­rung, Sherlock Holmes, schmaucht gerne mal sein Opiumpfeif­chen.
Ein Schlitzer geht um im Osten der Metro­polis, in der Gegend von White­chapel und Spital­field. Fünf Frauen, Prosti­tu­ierte allesamt, fallen dem Killer zwischen August und November zum Opfer. Grausig vers­tüm­melt die Leichen, Frau­en­körper, aufge­schnitten und ausge­weidet, die Organe teilweise entnommen. Der Killer, ein Metzger, ein Mediziner? They say I’m a doctor now, ha ha.

Jack the Ripper ist sicher nicht der erste Seri­en­killer der Geschichte. Unstreitbar aber der erste, der es zum Comic- und Roman­helden, zum Filmstar gebracht hat. Eine Popikone, angetan mit wallend schwarzem Cape und steifem Zylinder, so streicht er durch die nebligen, gaslicht­schum­me­rigen Gassen unserer Vorstel­lung. In London selbst geht er heute noch um. Täglich kann man sich auf die Spuren des Phantoms begeben – gegen bare Münze versteht sich, denn nichts ist umsonst, siehe oben. Der Jack-the-Ripper-Walk ist der Hit unter den orga­ni­sierten Stadt­rund­gängen und man hat sogar den Star­au­toren unter den Rippe­ro­lo­gists gewonnen als Tourguide, Donald Rumbelow. Im Dungeon, dem Londoner Horror­mu­seum, ist die Jack-the-Ripper-Expe­ri­ence zwar nicht ganz so shocking wie die Eintritts­preise aber immerhin... Und dann natürlich: Bücher, Bücher, Bücher. Mit schöner Regel­mäßig­keit präsen­tieren selbst­er­nannte Ermittler ihre »final solutions«. Bis heute wird es der Exekutive irgendwie verübelt, dass man den Fall nicht aufge­klärt hat, damals. Jetzt hat, jüngstes Opfer der Ripper-Mania, Best­sel­ler­au­torin Patricia Cornwell gerade den Ripper endgültig und absolut narren­si­cher iden­ti­fi­ziert. Irrtum ausge­schlossen. Letztes Wort. Näheres demnächst in Ihrer Buch­hand­lung.

»Truth is, this has never been about the murders, not the killer nor his victims. It’s about us. About our minds and how they dance.« So sehen Eddie Campbell und Alan Moore die ganze Schose, sie sind damit scheinbar die Einzigen, die kapiert haben was Sache ist. »From Hell«, ihr Comic-Meis­ter­werk, ist inzwi­schen fast so kultig wie saucy Jack himself. Und jetzt natürlich Film­vor­lage für Albert und Allen Hughes, die bisher auf der anderen Seite des Atlantik geguckt haben, was die bessere Gesell­schaft an öffent­li­chen Ärger­nissen so umtreibt. Mit Menace II Society sind sie bekannt geworden, die Dead Presi­dents haben sie gemacht und auch eine Doku über einen eher anrüchigen Berufs­stand, The American Pimp. Jetzt sind sie nur scheinbar auf fremdem Terrain im vikto­ria­ni­schen England, denn auch die Ripper-Story begreifen sie vor dem Hinter­grund des Ghet­to­all­tags.

Machen wir uns nichts vor: Das Elend der anderen hat immer etwas Deko­ra­tives. Mitleid sei das Laster der Könige, so hat das Aleister Crowley prokla­miert, ein Zeit­ge­nosse des Rippers und eine Art Caglio­stro des später 19. Jahr­hun­derts. Natürlich hat er das bei Nietzsche stibitzt und etwas leichter verdau­lich nach­ge­textet, dieser große Schar­latan. Allein, die Tatsache, dass dieser Satz noch heute evan­ge­li­schen wie katho­li­schen Sekten­be­auf­tragten den Schaum vor den Mund treibt, besagt doch einiges über den unlieb­samen Wahr­heits­ge­halt. Wir können, wenn wir ehrlich sind, den Ripper – längst eine mythische Gestalt – gar nicht anders als roman­tisch wahr­nehmen. Wenn wir heute, wie auch immer, uns in sein London begeben, ist das Gaslicht-Geis­ter­bahn, Grand Guignol. Immerhin, auch 1888 war das East End bereits ein beliebtes Ausflugs­ziel für die reichen Jungs aus sogenannt gutem Hause: Let’s go slumming! Natürlich waren die Huren nicht wirklich pretty women, wie jetzt auf der Leinwand und die Spelunken nicht ganz so pittoresk. Der Himmel über dieser vikto­ria­ni­schen Hölle ist blut­glutrot. Ein Post­kar­ten­idyll, ein bisschen schrill, ein bisschen über­zeichnet. Spontan würde man sagen: comichaft und damit einfach mal so tun, als gäbe es da ein einheit­li­ches Erschei­nungs­bild. Natürlich machen es Moore und Campbell den Regis­seuren auch nicht eben leicht. »From Hell«, das Comic, ist reine Schwarz-Weiß-Malerei und es stellt sich ange­sichts der kunter­bunten Film­ver­sion ein Gefühl ein, wie es der Kino­gänger der 50er Jahren gehabt haben mag. Da war das Tech­ni­color noch ganz frisch und kurz­zeitig dem Phan­tas­ti­schen vorbe­halten. Schwarz­weiß kam irgendwie realer rüber, härter. Aber: das Irreale, das Wahnhafte hat System bei den Hughes, spiegelt zugleich unseren Zugang zu dem Mythos als auch die Verfas­sung der Haupt­figur (besser: der wich­tigsten Neben­figur).

In einer Opium­höhle treffen wir ihn zuerst an, den Inspektor Fred Abberline, der es zu tun bekommt mit dem Frau­en­mörder von White­chapel. Johnny Depp hatte in Sleepy Hollow schon schlechte Erfah­rungen gemacht mit der reinen Logik, der Wissen­schaft. Hat gelernt, dass dem Grauen from hell mit Vernunft nicht gut beizu­kommen ist. So sind es nicht die kleinen grauen Zellen, die ihn den Täter entlarven lassen, sondern das Bauch­ge­fühl, die Intuition. Ein Hell­sich­tiger im perma­nenten Drogen­rausch, ein bisschen Fear and Loathing in London. Fred Abberline ist ein Ritter von trauriger Gestalt in dieser Version der Ripper-Saga, ein Geset­zes­hüter, der quasi vorab resi­gniert hat. Mit einer großen Müdigkeit umgibt sich Johnny Depp hier, als wüsste er, dass die Cops nicht ankommen gegen den Glamour des Robber in diesem sehr spezi­ellen Fall. Auch wenn der Ripper am Ende demas­kiert, die Motivlage erläutert wird. Wenn der Täter der Gerech­tig­keit zugeführt wird auf der Leinwand, hat sich Jack schon wieder verflüch­tigt, sich davon gemacht in unserer Fantasie. Jack ist nicht Jack ist nicht Jack. Catch me when you can.

Ein bisschen Verschwö­rung und Geheim­bund ist da mit von der Partie, ein wenig Mysti­zismus. Das was damals durchaus en vogue, man denke eben an Crowleys Hermetic Order of the Golden Dawn, an Madame Blavatsky, an Sata­nismus und Okkul­tismus. Der Flirt mit den heid­ni­schen Göttern und Götzen mag auf den ersten Blick anachro­nis­tisch erscheinen, in einer Epoche zumal, da Indus­tria­li­sie­rung und Kapi­ta­lismus allmäh­lich so richtig in Fahrt kommen. Und ist doch ganz folge­richtig zu verstehen als Hilferuf, als Lebens­lüge, da alle längst ahnen, dass allzu bald nur mehr ein Gott regieren wird: der Mammon. Und der wiederum wird sich nicht mehr bannen oder beschwören lassen mit Räucher­werk und Krei­de­kreis.

One measures a circle beginning anywhere. Dieses Zitat haben Campbell/Moore ihrem ehrgei­zigen, durchaus philo­so­phi­schen Comic als Motto voran­ge­stellt. Man darf keines­falls dem Irrtum erliegen, die präsen­tierte Lösung des Falles als krimi­no­lo­gi­sche Wahrheit zu nehmen. Hinter der Maske des Ripper haben sich durch die Jahr­zehnte allerlei Proto­typen verborgen: der Metzger, der Jude, der Schau­spieler, der Prinz, der Arzt. Bei den Hughes gibt es nun aber kein Ringel­pietz der üblichen Verdäch­tigen, keine Poli­zei­ar­beit – nur die Vision, die Wahrheit des Ordnungs­hü­ters. Und die hat ihm wohl die grüne Fee einge­flüs­tert.

»Eines Tages wird man sagen, dass ich das 20. Jahr­hun­dert eingeläutet habe«: der entschei­dende Satz kommt aus dem Mund des Ripper – und was für ein Jahr­hun­dert ist das, das dem Einzelnen nur die Wahl lässt zwischen Bezahlung und Betäubung...