Die Fremde

Deutschland 2009 · 123 min. · FSK: ab 12
Regie: Feo Aladag
Drehbuch:
Kamera: Judith Kaufmann
Darsteller: Sibel Kekilli, Derya Alabora, Blanca Apilanez Fernandez, Tamer Yigit, Florian Lukas u.a.
Der Patriarch und das Mädchen

Familie kann brutal sein

Der Mann geht fremd. Der Mann prügelt. Der Mann verge­wal­tigt. Mit »andere Länder, andere Sitten« oder »isla­mi­scher Tradition« hat das nichts mehr zu tun – es ist keine Frage, dass Umay gute Gründe hat, um ihren Ehemann zu verlassen. Die junge Frau ist gar nicht mal besonders modern und progressiv, sie ist einfach ganz normal in ihren Bedürf­nissen und Wünschen, in der Hoffnung auf ein kleines alltäg­li­ches Fami­li­en­glück.

Aber Familie ist kein Ort des Glücks und der Harmonie in Feo Aladags Debütfilm. Familie kann brutal sein, kann unter­drü­cken, ausgrenzen, quälen. So wird Umay »die Fremde« in der Welt, aus der sie stammt, und es ist das größte Verdienst dieses Films, dass die Regis­seurin unmiss­ver­s­tänd­lich klar macht, dass der Wunsch nach einem selbst­be­stimmten und unab­hän­gigen Leben oft nur die Folge des Verhal­tens von Mitmen­schen ist, die einem das Leben zur Hölle machen. Man will frei sein, weil einen die anderen anketten wollen.

Berückend und voller Inten­sität, zunehmend schmerz­haft, aber immer auch packend für den Zuschauer spielt Sibel Kikeli diese Rolle einer Frau, die aus Schwäche zur Stärke findet, und zeigt damit, wie schon in ihrem Debüt mit der Hauptolle in Fatih Akins Gegen die Wand, dass sie in ihrer Verbin­dung aus Verletz­lich­keit und Stand­haf­tig­keit, in der verbor­genen Härte, die doch nie mit Gefühl­lo­sig­keit zu verwech­seln ist, einfach zu den besten deutschen Darstel­le­rinnen ihrer Gene­ra­tion gehört.

Umay ist in Berlin aufge­wachsen, aber in einer eher tradi­tio­nell lebenden Familie, und die zeigt sich, als sie vor dem brutalen Gatten mit ihrem kleinen Sohn Cem ins Eltern­haus flüchtet, alles andere als begeis­tert. Als Versöh­nungs­ver­suche nichts helfen, die Trennung feststeht hat das in dem tradi­tio­nellen Milieu Folgen für die ganze Familie: Die Brüder gelten als »Schwäch­linge«, die bevor­ste­hende Hochzeit der Schwester ist gefährdet, weil sie eine »Deutschhure« zur Schwester hat. Manches, was Aladag erzählt mag man kaum glauben, es kommt einem klischee­haft über­zeichnet vor, zumindest erscheint alles über­frachtet in seiner Masse an Themen und Figuren – aber es hat sich ja auch schließ­lich viel aufge­staut in der deutschen Debatte über Inte­gra­tion und Toleranz, über die angeb­liche »Leit­kultur« und jene »Paral­lel­ge­sell­schaften«, die sogar vor so genannten »Ehren­morden« nicht zurück­schre­cken. So über­deut­lich manche Dialoge, und auch die stim­mungs­ma­chende Musik, so fein und diffe­ren­ziert sind die Bilder und das Spiel der Darsteller, so direkt und energisch ist die Regie.

Die Fremde zeigt, dass es die von Testo­steron gesteu­erte Welt der Männer nicht nur unter Deutsch­türken von Sprach­lo­sig­keit geprägt ist, dass von hier nicht gelernt hat, Probleme mit Worten zu lösen. Wem nichts mehr einfällt, der spricht dann von »Ehre«. Der Film macht auch klar, dass es die tradi­tio­nellen Werte sind, die der Familie wie der mancher Teile der Gesell­schaft, die Inte­gra­tion so schwer und Bluttaten möglich machen. Der Riss zwischen den zwei Kulturen der Türkei, zwischen der modernen »weißen« und der tradi­tio­na­lis­ti­schen »schwarzen« Türkei geht mitten durch eine Figur: Die von Umays Vater, den Settar Tanriögen eindring­lich spielt, zwischen Vater-Liebe und Patri­ar­chen-Gewalt. Die Tragödie eines Mannes.