USA 2025 · 150 min. · FSK: ab 16 Regie: Guillermo del Toro Drehbuch: Guillermo del Toro Kamera: Dan Laustsen Darsteller: Jacob Elordi, Oscar Isaac, Mia Goth, Christoph Waltz, Lars Mikkelsen u.a. |
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Die Geburt der Wissenschaft aus dem Monster | ||
(Foto: La Biennale di Venezia · Guillermo del Toro) |
Es gibt Stoffe, die sind wie Sedimente des kollektiven Bewusstseins. Man kann sie nicht neu erfinden – nur neu beleben. Und wer wäre dafür geeigneter als Guillermo del Toro, der große Restaurator der Monster, der Anthropologe des Andersseins? Schon bei seinem Pinocchio (2022) fragte man sich, warum es eine weitere Version dieses totinszenierten Märchens braucht – bis del Toro uns eines Besseren belehrte. Nun also Frankenstein. Ein Motiv, das wie kein anderes erschöpft, überinszeniert, zitiert und parodiert scheint. Und doch gelingt del Toro etwas sehr Überraschendes: Er reanimiert nicht nur das Monster, sondern den Mythos selbst.
Über hundert filmische Adaptionen zählt die Filmgeschichte, von der ersten, kaum zwölf Minuten langen Edison-Version aus dem Jahr 1910 über James Whales kanonische Frankenstein-Verfilmung von 1931 mit Boris Karloff als ikonischem Geschöpf bis zu Kenneth Branaghs barocker, hyperventilierender Mary Shelley’s Frankenstein-Adaption von 1994. Dazu die britische Hammer-Ära mit Peter Cushing und Christopher Lee, Mel Brooks’ bizarre Parodie Frankenstein Junior (1974) und die unzähligen Travestien, Remakes und Animationen, die bis zu Tim Burtons melancholischem Frankenweenie reichen. Selbst Yorgos Lanthimos’ Poor Things hat, mit seiner grotesken Emanzipationsparabel, dem Frankenstein-Mythos zuletzt noch einmal ein feministisches Update verpasst. Man hätte also meinen können, der letzte Sargnagel sei eingeschlagen.
Aber del Toro hat Geduld. Seit 2007 träumte er davon, Shelleys Roman zu verfilmen. Er wartete auf die »richtigen Umstände«, auf das reife Werk, auf die notwendige emotionale Dringlichkeit. Jetzt, fast zwei Jahrzehnte später, ist dieser Traum Wirklichkeit geworden. Und wie schon Pinocchio bei del Toro keine Kinderbuchadaption mehr ist, so ist del Toros Frankenstein kein Horrorfilm im klassischen Sinne mehr, sondern eine Milton’sche Tragödie, wie del Toro selbst sagt – ein religiöses, zutiefst persönliches Bekenntniswerk über Schöpfung, Schuld und Scham.
Oscar Isaac spielt Victor Frankenstein als manisch-sensiblen Demiurgen, der nicht die Welt verändern, sondern den Tod besiegen will. Sein Labor ist Kathedrale und Folterkammer zugleich, ein Ort der Transzendenz, an dem der Mensch Gott spielt bzw. ihn herausfordert. Christoph Waltz verkörpert Heinrich Harlander, den reichen Gönner, der Frankensteins Experimente finanziert – ein kalter Zyniker mit jener unerschütterlichen Selbstgewissheit derer, die meinen, ihr Geld könne Unsterblichkeit kaufen. Del Toro schlägt hier eine erstaunlich gegenwärtige Brücke: Harlander ist der Prototyp des Musk’schen Silicon-Valley-Milliardärs, der sich im Labor seine eigene Zukunft züchten lässt. Künstliche Intelligenz wird so zur moralischen Fortsetzung von Frankensteins Hybris – der alte Traum vom ewigen Leben in der digitalen Variante. Doch natürlich sind das nur Momente, kehrt del Toro genauso schnell aus der Zukunft zurück, um wieder in seiner manisch-depressiven, ja fast schon dark-romance-artig ausgeleuchteten Vergangenheit des mittleren 19. Jahrhunderts zu landen, die sich natürlich auch erzählerisch genauso weit vom Original entfernt, wie er es in Pinocchio getan hat.
Das Monster – Jacob Elordi, mit fast biblischer Anmut – ist kein bloßes Ungeheuer, sondern ein empfindsames Wesen, das seine eigene Entstehung als metaphysisches Trauma erlebt. Seine Geburt ist eine Kreuzigung, sein Erwachen ein Auferstehungsmoment: zwischen Christus-Pose, Blitzlicht und Maschinengewitter. Del Toro choreografiert diesen Moment als sakrales Spektakel. Während draußen das Gewitter tobt, hebt sich der Körper in einer Choreografie aus Schmerz und Licht – ein makabrer, zugleich zärtlicher Tanz des Lebens.
Später folgt der vielleicht stärkste Teil des Films: das zweite Erwachen des Monsters vor dem Spiegel, seine Menschwerdung. Ein stiller Moment, eine Art Spiegelstadium nach Lacan – das Geschöpf erkennt sich erstmals als Einheit, als Selbst, als Körper. Hier zitiert del Toro nicht nur die Psychoanalyse, sondern die Geburtsstunde des Bewusstseins selbst. Und mit einem Schlag begreift man, dass dieses Monster nicht nur ein Opfer, sondern auch ein Subjekt ist – fähig zur Liebe, zum Denken, zur Trauer.
Wie schon Mary Shelley in ihrem Roman, verwebt del Toro religiöse und mythische Schichten mit der Dialektik von Schöpfer und Geschöpf. In den Dialogen hallen Zeilen aus John Miltons Paradise Lost wider, jenem Werk, das Shelley selbst inspirierte: »The horror of the truth – to be not of the same nature as men.« Die Kreatur ist gefallener Engel, Luzifer und Adam zugleich, Rebell und Sohn, der sich nach dem Vater sehnt. Del Toro übersetzt Miltons Themen – Rebellion, freier Wille, Wissen und Schuld – in eine filmische Theologie.
Visuell ist Frankenstein überwältigend: das neblige, von Sturmlichtern durchzuckte Europa; die Blut- und Leichenschauplätze der Schlachtfelder, wo Frankenstein seine Rohstoffe findet – begleitet von der unheimlichen, einlullenden Eleganz eines Walzers, der über die Leichen tanzt. Man spürt hier del Toros Obsession für Körper und Materialität, für das Gewicht von Fleisch und Metall, für die Schnittstellen zwischen Eros und Thanatos.
Doch trotz all dieser düsteren Schönheit wird Frankenstein im letzten Teil von del Toros Adaption auch eine Liebesgeschichte – zwischen Schöpfer und Geschöpf, Vater und Sohn, Opfer und Täter. Wenn Elordi und Isaac einander gegenüberstehen, im Eis (und später auf dem Schiff), umgeben vom unendlichen Weiß, dann wird aus der metaphysischen Jagd plötzlich ein ergreifendes Melodram. Hier schließt sich del Toro an Melvilles Moby Dick an – Frankensteins Jagd auf sein Geschöpf spiegelt Ahabs Jagd auf den Wal: ein Duell mit dem eigenen Schatten, das sich nur im Tod auflösen kann. Ein literarisches Motiv, das übrigens fast genau zur gleichen Zeit erschienen ist wie del Toro den Zeitrahmen für seine Geschichte setzt.
Lars Mikkelsen als Captain Anderson rahmt die Geschichte mit einer Expedition in die Arktis ein, jenem Ort der Leere, an dem der Mensch an seine Grenzen stößt. Del Toro nutzt diese Rahmenerzählung überzeugend und äußerst elegant: Das Schiff, eingefroren im Eis, wird zur Bühne des Endes, aber auch der Vergebung. Wenn das Monster im letzten Licht der Sonne steht, Tränen über das Gesicht laufen, dann ist das nicht mehr Karloffs stumme Trauer aus den Dreißigern, sondern eine Reinkarnation – eine Erinnerung daran, dass selbst das Ungeheuer Mensch ist und damit eine Zukunft hat. Die Selbstzerstörung ist nicht mehr notwendig.
Mia Goth als Elizabeth Lavenza – die zugleich Claire Frankenstein spielt – verleiht dem Film eine doppelte feminine Perspektive. Sie ist Geliebte, Mutter, Echo, Geist. In ihr verschmelzen die Themen Geburt und Tod, Liebe und Opfer. Del Toro, der immer schon die Frauenfiguren seiner Filme als Bewahrende und Wissende inszenierte, macht aus ihr das emotionale Zentrum – ein leises Gegenbild zu Viktors männlicher Hybris.
Dass del Toro Shelleys Text als »Religion« bezeichnet, ist keine Pose. Man spürt in jeder Einstellung seine Ehrfurcht vor dem Ursprung, seine Liebe zu jenen Geschichten, die das Kino überhaupt erst möglich gemacht haben. Frankenstein ist deshalb kein Revival, sondern ein Sakrament: ein Ritual der Wiederbelebung – des Mythos, des Genres, des Glaubens an die Empathie des Monsters, das sich ja letztendlich in jedem von uns befindet.
Was bei Branagh noch in barocker Überhitzung verpuffte, findet bei del Toro immer mehr zu einer fast liturgischen Ruhe. Er inszeniert zwar mit Pathos, aber einem Pathos der Ernsthaftigkeit, nicht des Kitsches. Wenn am Ende Sonne und Eis, Tod und Träne ineinanderfallen, ist das vielleicht del Toros ehrlichster Moment: Das Monster weint – und mit ihm darf auch der Zuschauer endlich weinen. Denn in diesem Augenblick erkennt auch der Betrachter, dass Frankenstein kein Horrorfilm ist, sondern ein Film über das Menschsein selbst. Guillermo del Toro entreißt Frankenstein dem Schauerhaften, dem Horror und schafft stattdessen eine Auferstehungsgeschichte. Eine über die Schöpfung und ihre Einsamkeit, über Schuld und Erlösung, über die Macht des Mitgefühls im Angesicht der Finsternis. Ein Film, der das, was totgeglaubt war, mit elektrischer Wucht zurückholt – auch das inzwischen von vielen totgesagte Kino.
»I slept, indeed, but I was disturbed by the wildest dreams..., I started from my sleep with horror; a cold dew covered my forehead, my teeth chattered, and every limp became convulsed: when, by the dim and yellow light of the moon, as it forces its way through the window shutters, I beheld the wretch – the miserable monster whom I had created.«
– »Frankenstein« von Mary Shelley»Man kann nur sagen, was neuartig ist, wird leicht schreckhaft und unheimlich; einiges Neuartige ist schreckhaft, durchaus nicht alles. Zum Neuen und Nichtvertrauten muß erst etwas hinzukommen, was es zum Unheimlichen macht.«
– Sigmund Freud
Wenn nächste Woche mit Bugonia wieder ein neuer, sehr sehr anspielungsreicher und angemessen sadomasochistisch-feministischer Emma-Stone-Film vom griechisch-britischen Arthouse-Liebling Yorgos Lanthimos ins Kino kommt, sollte man an diesen Film denken. Intelligent und virtuos sind beide Filme. Aber wo Lanthimos einmal ein sehr sehr zeitgeistgerechtes, eiskalt kalkuliertes, affektiertes Kunsthandwerkskino präsentiert, ist Guillermo del Toros Frankenstein eine romantische Oper, pulsierend und wagemutig, und damit auch ein zwingender Gegenentwurf zum Lanthimos-Kino. Im Gegensatz zum sehr erfolgreichem Poor Things des Griechen, der seit einigen Jahren die Arthouse-Szene spaltet, fast zur gleichen Zeit spielt und auch einen Wissenschaftler zeigt, der Leichenteile zum Leben erweckt, nimmt del Toro die Monster und die Menschen ernst. Er liebt sie, nicht nur sich selbst.
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Zugleich ist Frankenstein auch eine intelligente Modernisierung des Romans von Mary Shelley voller Liebe und Respekt vor deren ursprünglicher Fassung.
Im ewigen Eis des Nordmeers beginnt dann dieser Film – wie die Vorlage. Regisseur Guillermo del Toro lässt sich Zeit für die Exposition; er lässt die Zuschauer mit viel Freude am Detail teilhaben an der Mühsal einer Schiffsreise durch das Polarmeer, den Mühen der Mannschaft, die ein
festgefrorenes Schiff wieder freischaufeln und -hacken muss. Nur die Filmmusik lässt schon schlimmere Gefahren ahnen...
Dann beschleunigen sich die Ereignisse, es gibt eine nächtliche Explosion, die den Kapitän und einen Trupp seiner Männer hinaus aufs Eis lockt. Dort treffen sie auf die Titelfigur des Films, Victor Frankenstein (Oscar Isaac), und wenig später auf jenes monströse Wesen, das er erschaffen hat. Das »Geschöpf«, wie die namenlose Kreatur im Roman heißt, ist weder Mensch noch Biest und hat seinen Schöpfer aus der Zivilisation bis ans Ende der Welt gejagt.
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Mehr als ein Dutzend Mal wurde »Frankenstein« seit der ersten Adaption aus dem Jahr 1910 fürs Kino verfilmt, und so – besonders durch James Whales Version aus dem Jahr 1931, verkörpert von Boris Karloff –, zu einer der ikonischen Figuren des Kinos. Warum es sich trotzdem lohnt, diese Geschichte wieder zu erzählen, beweist der Mexikaner Del Toro (Pans Labyrinth) schon in den ersten Minuten seiner großartigen Neuinterpretation. Frankenstein ist ein Herzensprojekt des Regisseurs seit mindestens 20 Jahren. Wenn man diesen Film jetzt kennt, kann man feststellen, dass die Spuren dieses Stoffes eigentlich bereits in fast jedem früheren Del-Toro-Film zu finden sind.
Del Toros Version erinnert vor allem daran, dass der Romantitel, mit dem man reflexartig Monströses assoziiert, ja keineswegs den gruseligen künstlichen Menschen bezeichnet, sondern den menschlichen Wissenschaftler, der dieses Wesen erschafft. In diesem Sinn wurde die Metapher »Frankenstein« vom Kino-Publikum oft missverstanden. Victor Frankenstein ist selber bei weitem kein Monster, sondern eine zerrissene, traumatisierte Figur. Das Kind in ihm lebt immer noch: Einerseits in den hybriden Träumen des Wissenschaftlers, der seine Zunft und die Naturgesetze selbst herauszufordern sucht, andererseits im fortdauernden Leiden um den zu frühen Tod der innig geliebten Mutter – Del Toros Frankenstein ist auch ein psychisch gequälter Charakter und damit ein Fall für den Psychoanalytiker, ein »Frankenfreud«.
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»A human being in perfection ought always to preserve a calm and peaceful mind, and never to allow passion or a transitory desire to disturb his tranquillity.«
– Victor Frankenstein in: »Frankenstein«, von Mary Shelley
Die Idee eines künstlichen Menschen, die Vorstellung, den Tod zu besiegen, aus unbelebtem Material etwas Lebendiges zu erschaffen, faszinierte die Menschen schon lange vor dem Verfassen des Romans im frühen 19. Jahrhundert durch Mary Shelley – dessen Entstehungsgeschichte im Sommer 1816 am Genfer See Ken Russells ganz großartiger Gothic 1985 einprägsam schilderte.
Die britische Romantikerin Shelley war in ihrem Buch gerade nicht an modischem, postmodern-»achtsamem« Verständnis oder gar am heute so zeitgeistgerechten »Mitleid mit dem Monster« interessiert, sondern an der modernen Wissenschaft und ihren zwei Seiten, an der Spannung dieser modernen Wissenschaft – und »modern« heißt in diesem Fall kurz nach 1800 – zwischen Fortschritt, Fortschrittsglauben und der ständigen Bestätigung dieses Fortschrittsglaubens durch die realen objektiven Geschehnisse einerseits, und der Hybris der Selbstüberhöhung, der Übertreibung der Wissenschaft.
Shelley machte aus der Figur des künstlichen Menschen, die zuvor in Form von Homunculi, Golems und Automatenmenschen durch Sagenwelt und Literaturgeschichte geisterte, eine Metapher für die Wissenschaft ihrer Zeit und deren Dialektik.
Für beides steht dieser Victor Frankenstein: Ein rationaler Wissenschaftler, kühl und ruhig, aber auch leidenschaftlich; ein genialer Arzt, der vor allem im Leben dienen möchte, aber indem er den Tod besiegt. Dieser Mensch steht im Zentrum des Films: Del Toros Frankenstein ist selber traumatisiert. Er baut an diesem künstlichen Wesen letztendlich wahrscheinlich vor allem deshalb, weil er unter dem als Kind hautnah erlebten frühen Tod seiner Mutter so sehr gelitten hat, dass er Ähnliches ein für allemal verhindern will. Als er dann begreift, dass seine Schöpfung dem Ziel zuwider läuft und dass er dieses Wesen bald nicht mehr kontrollieren kann, und auch die übrigen Schattenseiten dieser Schöpfung erkennt, will er sie zerstören. Nur ist es dafür vielleicht schon zu spät.
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Del Toro hat die Vorlage an einigen Stellen behutsam und geradezu zärtlich, voller Skrupel verändert, ebenfalls ohne sie zwanghaft und zeitgeisthörig zu »aktualisieren«. Es geht ihm nicht um oberflächlich naheliegende Diskurse zu KI oder über Biotechnologie; dafür ist del Toro selbst zu romantisch veranlagt.
Trotz del Toros wohlbekannter Liebe zu Monstern handelt es sich hier auch nicht um die klassische Konfrontation zwischen Schöpfer und Geschöpf; del Toro interessiert vielmehr der Schöpfungsprozess an sich und der Akt der Überschreitung, den er mit einem Liebeswalzer unterlegt.
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Oscar Isaac spielt den genialen Doktor. Der Film macht deutlich, dass Frankenstein ein wissenschaftlicher Außenseiter ist. Keiner glaubt an seine Forschungen, manche Kollegen spotten über sie, andere wenden sich angeekelt ab, finden es »pervers« oder »obszön«, dass Victor danach strebt, tote Körper mittels Elektrizität neu zu beleben.
Weil dieser Außenseiter Geld braucht, um seine Forschungsarbeit zu finanzieren, schließt er gewissermaßen einen Teufelspakt: einen Pakt der
Wissenschaft mit der weltlichen Instrumentalisierung der Forschung, in diesem Fall durch die Kriegswirtschaft. Christoph Waltz verkörpert diese dunkle Seite des »modernen Prometheus«, einen deutschen Munitionsfabrikanten, der seine ganz eigenen Interessen verfolgt. Diese Figur kommt im Roman nicht vor; dass er zum Finanzier der wissenschaftlichen Forschung eines verkannten Genies wird, hat ebenfalls persönliche Gründe – das stellt sich allerdings erst später im Lauf
der Handlung heraus: Er ist todkrank und will sich selber das ewige Leben sichern.
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Jacob Elordi als »Kreatur« ist dagegen zu schön, zu mild und auch zu nett, um auf Augenhöhe mit der Hauptfigur zu agieren. Als harmloses Unschuldswesen gleicht dieses Geschöpf eher einem »edlen Wilden« à la Jean-Jacques Rousseau, als dass er uns ängstigen kann. Elordi verfügt nicht über die Ambivalenz, die nötig wäre, um beide Seiten dieses Monsters auszuspielen, um die Monster-Figur wirklich zu einem angemessenen Antagonisten zu machen; er reicht an keiner Stelle an die ikonische Monster-Figur des berühmten Boris Karloff heran.
Mia Goth spielt eine Doppelrolle: Sie spielt Elizabeth, in diesem Fall die Verlobte von Frankensteins Bruder, die hier den Gefühlskern des Films verkörpert, bevor sie dann auch ein Opfer des Monsters wird. Die Schauspielerin tritt aber in einigen frühen Szenen des Films auch als die Mutter Frankensteins auf, eine Entscheidung, die erkennen lässt, dass der Regisseur hier auch eine psychoanalytische Interpretation der Frankenstein-Figur vornimmt. Er setzt sehr stark auf die
Lesart, dass Menschen ihre Liebespartner nach elterlichen Vorbildern orientiert wählen.
Im Roman ist Elizabeth dagegen die halbwüchsige Cousine von Victor Frankenstein, ein Kind, keine junge Frau.
Hier aber liebt Frankenstein sie insgeheim, weil er in ihr die einzige ihm intellektuell Ebenbürtige erkennt, eine utopisch und wagemutig denkende, kluge Frau, die ihn versteht. Und damit endlich einen Menschen, von dem er selber auch geliebt werden möchte.
Auch Elizabeth liebt Frankenstein heimlich, zieht aber andere Konsequenzen aus dieser Tatsache. Sie ist nämlich keine Romantikerin, sondern realistisch und verkörpert damit das neue 19. Jahrhundert, das Jahrhundert der Industrialisierung und Explosion technischen Fortschritts. Darum verabschiedet sie sich konsequent von der Möglichkeit, mit Victor Frankenstein eine Beziehung einzugehen. Sie sagt ihm einfach ins Gesicht: »Das Wesen des Menschen ist, dass er frei ist und wählen kann. Ich habe gewählt.« Aus Pragmatismus.
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Eine besondere Stärke des Films liegt in der Musik von Alexandre Desplat; nicht nur ihre Komposition, aber auch, wie sie eingesetzt wird. Etwa das Walzerstück, das man zum ersten Mal hört, als Frankenstein mit Elizabeth im Café sitzt und tanzt. Man hört es dann wieder in der Phase an der Arbeit am künstlichen Menschen, der aus Leichenteilen zusammengebastelt und mittels elektrischer Stöße belebt wird. Hier hebt der Film ab und verwandelt sich mit seinen Maschinen, Funken und hochhausgroßen Apparaten für fünf lange Minuten in eine Steampunk-Vision des 19. Jahrhunderts. Wenn es so etwas geben sollte wie eine romantische Wissenschaft, dann wäre sie in diesem Victor Frankenstein verkörpert.
Was dagegen immer schon ein vergleichsweise langweiliger, und unterkomplexer Aspekt des »Frankenstein«-Themas war, ist die auch hier wieder extravagant inszenierte Weinerlichkeit des Monsters, und das Leiden dieses Monsters darunter, dass er Monster ist – das ist nicht nur ein »ausgeleiertes« Erzähl-Klischee, es ignoriert auch die Tatsache, dass wir im Publikum dieses Monster nur angenehm finden können, wenn wir entweder über alles Mögliche hinwegsehen, was es im Film tut. Oder noch schlimmer: wenn man es identitätspolitisch begreift und mit der Begründung entschuldigt, dies sei nun mal eben alles seine Natur. Das was zivilisierten europäischen Menschen nicht erlaubt ist, sei den Monstern sehr wohl gestattet. Solche Monsterbilder unterfordern die Intelligenz des Publikums.
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Man kann an diesem Film auch bemängeln, dass ihm gelegentlich die Konsequenz fehlt. Dass der Film manchmal zu wenig herausarbeitet, was er will. Dass er manchmal zu sehr Konzessionen an den Zeitgeist macht.
Nach den ersten drei wagemutigen Akten wird das letzte Drittel des Films, das nun, wie im Buch aus der Perspektive des Monsters erzählt wird, zu schnell und vor allem zu konventionell erzählt und vieles gewissermaßen »abgehakt«. Der Film verschenkt zudem einige seiner besten Einfälle. Etwa in den Szenen, in der die Christoph-Waltz-Figur darum bittet, mit dem Monster zu verschmelzen. Es wäre eine tolldreiste, wundervolle Idee gewesen, wenn diese vorher schon negativ besetzte Figur jetzt plötzlich Teile ihres Körpers und seines Bewusstseins mitnähme in die Verwandlung in das Monster, und als solches wieder auferstehen würde, wenn Frankensteins Geschöpf also ein deutscher Waffenfabrikant gewesen wäre – hätte sich del Toro dazu entschlossen, dann wäre diese Monsterfigur auch insofern zeitgemäß und aktualisiert gewesen, weil man sie als Kommentar auf die »Tech-Bros« à la Elon Musk hätte verstehen können.
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Doch auch ohne ein solches Finale ist Guillermo del Toro eine moderne, stellenweise auch originelle Neuinterpretation der »Frankenstein«-Geschichte gelungen, die auf hohem Niveau unterhält.
Dies ist ein Film, der von wunderbarem Production-Design lebt, der großen Spaß dadurch macht, wie kreativ und liebevoll er mit dem 19. Jahrhundert umgeht.
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»Der Schlaf der Vernunft gebiert Monster« hatte nach Goyas berühmter Zeichnung schon ganz zu Anfang die Titelsequenz verkündet.
Natürlich weiß del Toro auch, dass das Goya-Zitat »El sueño de la razón produce monstruos«, mit dem er den Film eröffnet hatte, auch auf andere Weise übersetzt werden kann: Nicht nur der »Schlaf«, sondern auch der »Traum« der Vernunft gebiert Monster. Hierin liegt die ganze Ambivalenz der Aufklärung, die dieser Regisseur nicht verraten, sondern romantisch
erweitern will.