Frankenstein

USA 2025 · 150 min. · FSK: ab 16
Regie: Guillermo del Toro
Drehbuch:
Kamera: Dan Laustsen
Darsteller: Jacob Elordi, Oscar Isaac, Mia Goth, Christoph Waltz, Lars Mikkelsen u.a.
Frankenstein
Die Geburt der Wissenschaft aus dem Monster
(Foto: La Biennale di Venezia · Guillermo del Toro)

Ein Ritual der Wiederbelebung

Guillermo del Toros Frankenstein-Adaption ist keine Schauergeschichte, sondern eine Wiederauferstehungsgeschichte über Schöpfung und Einsamkeit, Schuld und Erlösung und über die Macht des Mitgefühls im Angesicht der Finsternis

Es gibt Stoffe, die sind wie Sedimente des kollek­tiven Bewusst­seins. Man kann sie nicht neu erfinden – nur neu beleben. Und wer wäre dafür geeig­neter als Guillermo del Toro, der große Restau­rator der Monster, der Anthro­po­loge des Anders­seins? Schon bei seinem Pinocchio (2022) fragte man sich, warum es eine weitere Version dieses totin­sze­nierten Märchens braucht – bis del Toro uns eines Besseren belehrte. Nun also Fran­ken­stein. Ein Motiv, das wie kein anderes erschöpft, über­in­sze­niert, zitiert und parodiert scheint. Und doch gelingt del Toro etwas sehr Über­ra­schendes: Er reani­miert nicht nur das Monster, sondern den Mythos selbst.

Über hundert filmische Adap­tionen zählt die Film­ge­schichte, von der ersten, kaum zwölf Minuten langen Edison-Version aus dem Jahr 1910 über James Whales kano­ni­sche Fran­ken­stein-Verfil­mung von 1931 mit Boris Karloff als ikoni­schem Geschöpf bis zu Kenneth Branaghs barocker, hyper­ven­ti­lie­render Mary Shelley’s Fran­ken­stein-Adaption von 1994. Dazu die britische Hammer-Ära mit Peter Cushing und Chris­to­pher Lee, Mel Brooks’ bizarre Parodie Fran­ken­stein Junior (1974) und die unzäh­ligen Traves­tien, Remakes und Anima­tionen, die bis zu Tim Burtons melan­cho­li­schem Fran­ken­weenie reichen. Selbst Yorgos Lanthimos’ Poor Things hat, mit seiner grotesken Eman­zi­pa­ti­ons­pa­rabel, dem Fran­ken­stein-Mythos zuletzt noch einmal ein femi­nis­ti­sches Update verpasst. Man hätte also meinen können, der letzte Sargnagel sei einge­schlagen.

Aber del Toro hat Geduld. Seit 2007 träumte er davon, Shelleys Roman zu verfilmen. Er wartete auf die »richtigen Umstände«, auf das reife Werk, auf die notwen­dige emotio­nale Dring­lich­keit. Jetzt, fast zwei Jahr­zehnte später, ist dieser Traum Wirk­lich­keit geworden. Und wie schon Pinocchio bei del Toro keine Kinder­buch­ad­ap­tion mehr ist, so ist del Toros Fran­ken­stein kein Horror­film im klas­si­schen Sinne mehr, sondern eine Milton’sche Tragödie, wie del Toro selbst sagt – ein reli­giöses, zutiefst persön­li­ches Bekennt­nis­werk über Schöpfung, Schuld und Scham.

Oscar Isaac spielt Victor Fran­ken­stein als manisch-sensiblen Demiurgen, der nicht die Welt verändern, sondern den Tod besiegen will. Sein Labor ist Kathe­drale und Folter­kammer zugleich, ein Ort der Tran­szen­denz, an dem der Mensch Gott spielt bzw. ihn heraus­for­dert. Christoph Waltz verkör­pert Heinrich Harlander, den reichen Gönner, der Fran­ken­steins Expe­ri­mente finan­ziert – ein kalter Zyniker mit jener uner­schüt­ter­li­chen Selbst­ge­wiss­heit derer, die meinen, ihr Geld könne Unsterb­lich­keit kaufen. Del Toro schlägt hier eine erstaun­lich gegen­wär­tige Brücke: Harlander ist der Prototyp des Musk’schen Silicon-Valley-Milli­ar­därs, der sich im Labor seine eigene Zukunft züchten lässt. Künst­liche Intel­li­genz wird so zur mora­li­schen Fort­set­zung von Fran­ken­steins Hybris – der alte Traum vom ewigen Leben in der digitalen Variante. Doch natürlich sind das nur Momente, kehrt del Toro genauso schnell aus der Zukunft zurück, um wieder in seiner manisch-depres­siven, ja fast schon dark-romance-artig ausge­leuch­teten Vergan­gen­heit des mittleren 19. Jahr­hun­derts zu landen, die sich natürlich auch erzäh­le­risch genauso weit vom Original entfernt, wie er es in Pinocchio getan hat.

Das Monster – Jacob Elordi, mit fast bibli­scher Anmut – ist kein bloßes Ungeheuer, sondern ein empfind­sames Wesen, das seine eigene Entste­hung als meta­phy­si­sches Trauma erlebt. Seine Geburt ist eine Kreu­zi­gung, sein Erwachen ein Aufer­ste­hungs­mo­ment: zwischen Christus-Pose, Blitz­licht und Maschi­nen­ge­witter. Del Toro choreo­gra­fiert diesen Moment als sakrales Spektakel. Während draußen das Gewitter tobt, hebt sich der Körper in einer Choreo­grafie aus Schmerz und Licht – ein makabrer, zugleich zärt­li­cher Tanz des Lebens.

Später folgt der viel­leicht stärkste Teil des Films: das zweite Erwachen des Monsters vor dem Spiegel, seine Mensch­wer­dung. Ein stiller Moment, eine Art Spie­gel­sta­dium nach Lacan – das Geschöpf erkennt sich erstmals als Einheit, als Selbst, als Körper. Hier zitiert del Toro nicht nur die Psycho­ana­lyse, sondern die Geburts­stunde des Bewusst­seins selbst. Und mit einem Schlag begreift man, dass dieses Monster nicht nur ein Opfer, sondern auch ein Subjekt ist – fähig zur Liebe, zum Denken, zur Trauer.

Wie schon Mary Shelley in ihrem Roman, verwebt del Toro religiöse und mythische Schichten mit der Dialektik von Schöpfer und Geschöpf. In den Dialogen hallen Zeilen aus John Miltons Paradise Lost wider, jenem Werk, das Shelley selbst inspi­rierte: »The horror of the truth – to be not of the same nature as men.« Die Kreatur ist gefal­lener Engel, Luzifer und Adam zugleich, Rebell und Sohn, der sich nach dem Vater sehnt. Del Toro übersetzt Miltons Themen – Rebellion, freier Wille, Wissen und Schuld – in eine filmische Theologie.

Visuell ist Fran­ken­stein über­wäl­ti­gend: das neblige, von Sturm­lich­tern durch­zuckte Europa; die Blut- und Leichen­schau­plätze der Schlacht­felder, wo Fran­ken­stein seine Rohstoffe findet – begleitet von der unheim­li­chen, einlul­lenden Eleganz eines Walzers, der über die Leichen tanzt. Man spürt hier del Toros Obsession für Körper und Mate­ria­lität, für das Gewicht von Fleisch und Metall, für die Schnitt­stellen zwischen Eros und Thanatos.

Doch trotz all dieser düsteren Schönheit wird Fran­ken­stein im letzten Teil von del Toros Adaption auch eine Liebes­ge­schichte – zwischen Schöpfer und Geschöpf, Vater und Sohn, Opfer und Täter. Wenn Elordi und Isaac einander gegen­ü­ber­stehen, im Eis (und später auf dem Schiff), umgeben vom unend­li­chen Weiß, dann wird aus der meta­phy­si­schen Jagd plötzlich ein ergrei­fendes Melodram. Hier schließt sich del Toro an Melvilles Moby Dick an – Fran­ken­steins Jagd auf sein Geschöpf spiegelt Ahabs Jagd auf den Wal: ein Duell mit dem eigenen Schatten, das sich nur im Tod auflösen kann. Ein lite­ra­ri­sches Motiv, das übrigens fast genau zur gleichen Zeit erschienen ist wie del Toro den Zeit­rahmen für seine Geschichte setzt.

Lars Mikkelsen als Captain Anderson rahmt die Geschichte mit einer Expe­di­tion in die Arktis ein, jenem Ort der Leere, an dem der Mensch an seine Grenzen stößt. Del Toro nutzt diese Rahmen­er­zäh­lung über­zeu­gend und äußerst elegant: Das Schiff, einge­froren im Eis, wird zur Bühne des Endes, aber auch der Vergebung. Wenn das Monster im letzten Licht der Sonne steht, Tränen über das Gesicht laufen, dann ist das nicht mehr Karloffs stumme Trauer aus den Dreißi­gern, sondern eine Reinkar­na­tion – eine Erin­ne­rung daran, dass selbst das Ungeheuer Mensch ist und damit eine Zukunft hat. Die Selbst­zer­störung ist nicht mehr notwendig.

Mia Goth als Elizabeth Lavenza – die zugleich Claire Fran­ken­stein spielt – verleiht dem Film eine doppelte feminine Perspek­tive. Sie ist Geliebte, Mutter, Echo, Geist. In ihr verschmelzen die Themen Geburt und Tod, Liebe und Opfer. Del Toro, der immer schon die Frau­en­fi­guren seiner Filme als Bewah­rende und Wissende insze­nierte, macht aus ihr das emotio­nale Zentrum – ein leises Gegenbild zu Viktors männ­li­cher Hybris.

Dass del Toro Shelleys Text als »Religion« bezeichnet, ist keine Pose. Man spürt in jeder Einstel­lung seine Ehrfurcht vor dem Ursprung, seine Liebe zu jenen Geschichten, die das Kino überhaupt erst möglich gemacht haben. Fran­ken­stein ist deshalb kein Revival, sondern ein Sakrament: ein Ritual der Wieder­be­le­bung – des Mythos, des Genres, des Glaubens an die Empathie des Monsters, das sich ja letzt­end­lich in jedem von uns befindet.

Was bei Branagh noch in barocker Über­hit­zung verpuffte, findet bei del Toro immer mehr zu einer fast litur­gi­schen Ruhe. Er insze­niert zwar mit Pathos, aber einem Pathos der Ernst­haf­tig­keit, nicht des Kitsches. Wenn am Ende Sonne und Eis, Tod und Träne inein­an­der­fallen, ist das viel­leicht del Toros ehrlichster Moment: Das Monster weint – und mit ihm darf auch der Zuschauer endlich weinen. Denn in diesem Augen­blick erkennt auch der Betrachter, dass Fran­ken­stein kein Horror­film ist, sondern ein Film über das Mensch­sein selbst. Guillermo del Toro entreißt Fran­ken­stein dem Schau­er­haften, dem Horror und schafft statt­dessen eine Aufer­ste­hungs­ge­schichte. Eine über die Schöpfung und ihre Einsam­keit, über Schuld und Erlösung, über die Macht des Mitge­fühls im Angesicht der Fins­ternis. Ein Film, der das, was totge­glaubt war, mit elek­tri­scher Wucht zurück­holt – auch das inzwi­schen von vielen totge­sagte Kino.

Frankenstein wird »Frankenfreud«

His Dark Materials: Guillermo del Toro neue »Frankenstein«-Verfilmung hat wenig Mitleid für das Monster und ist eine Ehrenrettung für die Figur des genialen Wissenschaftlers

»I slept, indeed, but I was disturbed by the wildest dreams..., I started from my sleep with horror; a cold dew covered my forehead, my teeth chattered, and every limp became convulsed: when, by the dim and yellow light of the moon, as it forces its way through the window shutters, I beheld the wretch – the miserable monster whom I had created.«
– »Fran­ken­stein« von Mary Shelley

»Man kann nur sagen, was neuartig ist, wird leicht schreck­haft und unheim­lich; einiges Neuartige ist schreck­haft, durchaus nicht alles. Zum Neuen und Nicht­ver­trauten muß erst etwas hinzu­kommen, was es zum Unheim­li­chen macht.«
– Sigmund Freud

Wenn nächste Woche mit Bugonia wieder ein neuer, sehr sehr anspie­lungs­rei­cher und ange­messen sado­ma­so­chis­tisch-femi­nis­ti­scher Emma-Stone-Film vom grie­chisch-briti­schen Arthouse-Liebling Yorgos Lanthimos ins Kino kommt, sollte man an diesen Film denken. Intel­li­gent und virtuos sind beide Filme. Aber wo Lanthimos einmal ein sehr sehr zeit­geist­ge­rechtes, eiskalt kalku­liertes, affek­tiertes Kunst­hand­werks­kino präsen­tiert, ist Guillermo del Toros Fran­ken­stein eine roman­ti­sche Oper, pulsie­rend und wagemutig, und damit auch ein zwin­gender Gegen­ent­wurf zum Lanthimos-Kino. Im Gegensatz zum sehr erfolg­rei­chem Poor Things des Griechen, der seit einigen Jahren die Arthouse-Szene spaltet, fast zur gleichen Zeit spielt und auch einen Wissen­schaftler zeigt, der Leichen­teile zum Leben erweckt, nimmt del Toro die Monster und die Menschen ernst. Er liebt sie, nicht nur sich selbst.

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Zugleich ist Fran­ken­stein auch eine intel­li­gente Moder­ni­sie­rung des Romans von Mary Shelley voller Liebe und Respekt vor deren ursprüng­li­cher Fassung.
Im ewigen Eis des Nordmeers beginnt dann dieser Film – wie die Vorlage. Regisseur Guillermo del Toro lässt sich Zeit für die Expo­si­tion; er lässt die Zuschauer mit viel Freude am Detail teilhaben an der Mühsal einer Schiffs­reise durch das Polarmeer, den Mühen der Mann­schaft, die ein fest­ge­fro­renes Schiff wieder frei­schau­feln und -hacken muss. Nur die Filmmusik lässt schon schlim­mere Gefahren ahnen...

Dann beschleu­nigen sich die Ereig­nisse, es gibt eine nächt­liche Explosion, die den Kapitän und einen Trupp seiner Männer hinaus aufs Eis lockt. Dort treffen sie auf die Titel­figur des Films, Victor Fran­ken­stein (Oscar Isaac), und wenig später auf jenes monströse Wesen, das er erschaffen hat. Das »Geschöpf«, wie die namenlose Kreatur im Roman heißt, ist weder Mensch noch Biest und hat seinen Schöpfer aus der Zivi­li­sa­tion bis ans Ende der Welt gejagt.

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Mehr als ein Dutzend Mal wurde »Fran­ken­stein« seit der ersten Adaption aus dem Jahr 1910 fürs Kino verfilmt, und so – besonders durch James Whales Version aus dem Jahr 1931, verkör­pert von Boris Karloff –, zu einer der ikoni­schen Figuren des Kinos. Warum es sich trotzdem lohnt, diese Geschichte wieder zu erzählen, beweist der Mexikaner Del Toro (Pans Labyrinth) schon in den ersten Minuten seiner groß­ar­tigen Neuin­ter­pre­ta­tion. Fran­ken­stein ist ein Herzens­pro­jekt des Regis­seurs seit mindes­tens 20 Jahren. Wenn man diesen Film jetzt kennt, kann man fest­stellen, dass die Spuren dieses Stoffes eigent­lich bereits in fast jedem früheren Del-Toro-Film zu finden sind.

Del Toros Version erinnert vor allem daran, dass der Roman­titel, mit dem man reflex­artig Monströses asso­zi­iert, ja keines­wegs den gruse­ligen künst­li­chen Menschen bezeichnet, sondern den mensch­li­chen Wissen­schaftler, der dieses Wesen erschafft. In diesem Sinn wurde die Metapher »Fran­ken­stein« vom Kino-Publikum oft miss­ver­standen. Victor Fran­ken­stein ist selber bei weitem kein Monster, sondern eine zerris­sene, trau­ma­ti­sierte Figur. Das Kind in ihm lebt immer noch: Einer­seits in den hybriden Träumen des Wissen­schaft­lers, der seine Zunft und die Natur­ge­setze selbst heraus­zu­for­dern sucht, ande­rer­seits im fort­dau­ernden Leiden um den zu frühen Tod der innig geliebten Mutter – Del Toros Fran­ken­stein ist auch ein psychisch gequälter Charakter und damit ein Fall für den Psycho­ana­ly­tiker, ein »Fran­ken­freud«.

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»A human being in perfec­tion ought always to preserve a calm and peaceful mind, and never to allow passion or a tran­si­tory desire to disturb his tran­quil­lity.«
– Victor Fran­ken­stein in: »Fran­ken­stein«, von Mary Shelley

Die Idee eines künst­li­chen Menschen, die Vorstel­lung, den Tod zu besiegen, aus unbe­lebtem Material etwas Leben­diges zu erschaffen, faszi­nierte die Menschen schon lange vor dem Verfassen des Romans im frühen 19. Jahr­hun­dert durch Mary Shelley – dessen Entste­hungs­ge­schichte im Sommer 1816 am Genfer See Ken Russells ganz groß­ar­tiger Gothic 1985 einprägsam schil­derte.

Die britische Roman­ti­kerin Shelley war in ihrem Buch gerade nicht an modischem, post­mo­dern-»achtsamem« Vers­tändnis oder gar am heute so zeit­geist­ge­rechten »Mitleid mit dem Monster« inter­es­siert, sondern an der modernen Wissen­schaft und ihren zwei Seiten, an der Spannung dieser modernen Wissen­schaft – und »modern« heißt in diesem Fall kurz nach 1800 – zwischen Fort­schritt, Fort­schritts­glauben und der ständigen Bestä­ti­gung dieses Fort­schritts­glau­bens durch die realen objek­tiven Gescheh­nisse einer­seits, und der Hybris der Selb­stü­ber­höhung, der Über­trei­bung der Wissen­schaft.

Shelley machte aus der Figur des künst­li­chen Menschen, die zuvor in Form von Homunculi, Golems und Auto­ma­ten­men­schen durch Sagenwelt und Lite­ra­tur­ge­schichte geisterte, eine Metapher für die Wissen­schaft ihrer Zeit und deren Dialektik.

Für beides steht dieser Victor Fran­ken­stein: Ein ratio­naler Wissen­schaftler, kühl und ruhig, aber auch leiden­schaft­lich; ein genialer Arzt, der vor allem im Leben dienen möchte, aber indem er den Tod besiegt. Dieser Mensch steht im Zentrum des Films: Del Toros Fran­ken­stein ist selber trau­ma­ti­siert. Er baut an diesem künst­li­chen Wesen letzt­end­lich wahr­schein­lich vor allem deshalb, weil er unter dem als Kind hautnah erlebten frühen Tod seiner Mutter so sehr gelitten hat, dass er Ähnliches ein für allemal verhin­dern will. Als er dann begreift, dass seine Schöpfung dem Ziel zuwider läuft und dass er dieses Wesen bald nicht mehr kontrol­lieren kann, und auch die übrigen Schat­ten­seiten dieser Schöpfung erkennt, will er sie zerstören. Nur ist es dafür viel­leicht schon zu spät.

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Del Toro hat die Vorlage an einigen Stellen behutsam und geradezu zärtlich, voller Skrupel verändert, ebenfalls ohne sie zwanghaft und zeit­geis­thörig zu »aktua­li­sieren«. Es geht ihm nicht um ober­fläch­lich nahe­lie­gende Diskurse zu KI oder über Biotech­no­logie; dafür ist del Toro selbst zu roman­tisch veranlagt.

Trotz del Toros wohl­be­kannter Liebe zu Monstern handelt es sich hier auch nicht um die klas­si­sche Konfron­ta­tion zwischen Schöpfer und Geschöpf; del Toro inter­es­siert vielmehr der Schöp­fungs­pro­zess an sich und der Akt der Über­schrei­tung, den er mit einem Liebes­walzer unterlegt.

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Oscar Isaac spielt den genialen Doktor. Der Film macht deutlich, dass Fran­ken­stein ein wissen­schaft­li­cher Außen­seiter ist. Keiner glaubt an seine Forschungen, manche Kollegen spotten über sie, andere wenden sich angeekelt ab, finden es »pervers« oder »obszön«, dass Victor danach strebt, tote Körper mittels Elek­tri­zität neu zu beleben.
Weil dieser Außen­seiter Geld braucht, um seine Forschungs­ar­beit zu finan­zieren, schließt er gewis­ser­maßen einen Teufels­pakt: einen Pakt der Wissen­schaft mit der welt­li­chen Instru­men­ta­li­sie­rung der Forschung, in diesem Fall durch die Kriegs­wirt­schaft. Christoph Waltz verkör­pert diese dunkle Seite des »modernen Prome­theus«, einen deutschen Muni­ti­ons­fa­bri­kanten, der seine ganz eigenen Inter­essen verfolgt. Diese Figur kommt im Roman nicht vor; dass er zum Finanzier der wissen­schaft­li­chen Forschung eines verkannten Genies wird, hat ebenfalls persön­liche Gründe – das stellt sich aller­dings erst später im Lauf der Handlung heraus: Er ist todkrank und will sich selber das ewige Leben sichern.

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Jacob Elordi als »Kreatur« ist dagegen zu schön, zu mild und auch zu nett, um auf Augenhöhe mit der Haupt­figur zu agieren. Als harmloses Unschulds­wesen gleicht dieses Geschöpf eher einem »edlen Wilden« à la Jean-Jacques Rousseau, als dass er uns ängstigen kann. Elordi verfügt nicht über die Ambi­va­lenz, die nötig wäre, um beide Seiten dieses Monsters auszu­spielen, um die Monster-Figur wirklich zu einem ange­mes­senen Anta­go­nisten zu machen; er reicht an keiner Stelle an die ikonische Monster-Figur des berühmten Boris Karloff heran.

Mia Goth spielt eine Doppel­rolle: Sie spielt Elizabeth, in diesem Fall die Verlobte von Fran­ken­steins Bruder, die hier den Gefühls­kern des Films verkör­pert, bevor sie dann auch ein Opfer des Monsters wird. Die Schau­spie­lerin tritt aber in einigen frühen Szenen des Films auch als die Mutter Fran­ken­steins auf, eine Entschei­dung, die erkennen lässt, dass der Regisseur hier auch eine psycho­ana­ly­ti­sche Inter­pre­ta­tion der Fran­ken­stein-Figur vornimmt. Er setzt sehr stark auf die Lesart, dass Menschen ihre Liebes­partner nach elter­li­chen Vorbil­dern orien­tiert wählen.
Im Roman ist Elizabeth dagegen die halb­wüch­sige Cousine von Victor Fran­ken­stein, ein Kind, keine junge Frau.
Hier aber liebt Fran­ken­stein sie insgeheim, weil er in ihr die einzige ihm intel­lek­tuell Eben­bür­tige erkennt, eine utopisch und wagemutig denkende, kluge Frau, die ihn versteht. Und damit endlich einen Menschen, von dem er selber auch geliebt werden möchte.

Auch Elizabeth liebt Fran­ken­stein heimlich, zieht aber andere Konse­quenzen aus dieser Tatsache. Sie ist nämlich keine Roman­ti­kerin, sondern realis­tisch und verkör­pert damit das neue 19. Jahr­hun­dert, das Jahr­hun­dert der Indus­tria­li­sie­rung und Explosion tech­ni­schen Fort­schritts. Darum verab­schiedet sie sich konse­quent von der Möglich­keit, mit Victor Fran­ken­stein eine Beziehung einzu­gehen. Sie sagt ihm einfach ins Gesicht: »Das Wesen des Menschen ist, dass er frei ist und wählen kann. Ich habe gewählt.« Aus Prag­ma­tismus.

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Eine besondere Stärke des Films liegt in der Musik von Alexandre Desplat; nicht nur ihre Kompo­si­tion, aber auch, wie sie einge­setzt wird. Etwa das Walzer­stück, das man zum ersten Mal hört, als Fran­ken­stein mit Elizabeth im Café sitzt und tanzt. Man hört es dann wieder in der Phase an der Arbeit am künst­li­chen Menschen, der aus Leichen­teilen zusam­men­ge­bas­telt und mittels elek­tri­scher Stöße belebt wird. Hier hebt der Film ab und verwan­delt sich mit seinen Maschinen, Funken und hoch­haus­großen Apparaten für fünf lange Minuten in eine Steampunk-Vision des 19. Jahr­hun­derts. Wenn es so etwas geben sollte wie eine roman­ti­sche Wissen­schaft, dann wäre sie in diesem Victor Fran­ken­stein verkör­pert.

Was dagegen immer schon ein vergleichs­weise lang­wei­liger, und unter­kom­plexer Aspekt des »Fran­ken­stein«-Themas war, ist die auch hier wieder extra­va­gant insze­nierte Weiner­lich­keit des Monsters, und das Leiden dieses Monsters darunter, dass er Monster ist – das ist nicht nur ein »ausge­lei­ertes« Erzähl-Klischee, es ignoriert auch die Tatsache, dass wir im Publikum dieses Monster nur angenehm finden können, wenn wir entweder über alles Mögliche hinweg­sehen, was es im Film tut. Oder noch schlimmer: wenn man es iden­ti­täts­po­li­tisch begreift und mit der Begrün­dung entschul­digt, dies sei nun mal eben alles seine Natur. Das was zivi­li­sierten europäi­schen Menschen nicht erlaubt ist, sei den Monstern sehr wohl gestattet. Solche Mons­ter­bilder unter­for­dern die Intel­li­genz des Publikums.

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Man kann an diesem Film auch bemängeln, dass ihm gele­gent­lich die Konse­quenz fehlt. Dass der Film manchmal zu wenig heraus­ar­beitet, was er will. Dass er manchmal zu sehr Konzes­sionen an den Zeitgeist macht.

Nach den ersten drei wage­mu­tigen Akten wird das letzte Drittel des Films, das nun, wie im Buch aus der Perspek­tive des Monsters erzählt wird, zu schnell und vor allem zu konven­tio­nell erzählt und vieles gewis­ser­maßen »abgehakt«. Der Film verschenkt zudem einige seiner besten Einfälle. Etwa in den Szenen, in der die Christoph-Waltz-Figur darum bittet, mit dem Monster zu verschmelzen. Es wäre eine toll­dreiste, wunder­volle Idee gewesen, wenn diese vorher schon negativ besetzte Figur jetzt plötzlich Teile ihres Körpers und seines Bewusst­seins mitnähme in die Verwand­lung in das Monster, und als solches wieder aufer­stehen würde, wenn Fran­ken­steins Geschöpf also ein deutscher Waffen­fa­bri­kant gewesen wäre – hätte sich del Toro dazu entschlossen, dann wäre diese Mons­ter­figur auch insofern zeitgemäß und aktua­li­siert gewesen, weil man sie als Kommentar auf die »Tech-Bros« à la Elon Musk hätte verstehen können.

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Doch auch ohne ein solches Finale ist Guillermo del Toro eine moderne, stel­len­weise auch origi­nelle Neuin­ter­pre­ta­tion der »Fran­ken­stein«-Geschichte gelungen, die auf hohem Niveau unterhält.
Dies ist ein Film, der von wunder­barem Produc­tion-Design lebt, der großen Spaß dadurch macht, wie kreativ und liebevoll er mit dem 19. Jahr­hun­dert umgeht.

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»Der Schlaf der Vernunft gebiert Monster« hatte nach Goyas berühmter Zeichnung schon ganz zu Anfang die Titel­se­quenz verkündet.
Natürlich weiß del Toro auch, dass das Goya-Zitat »El sueño de la razón produce monstruos«, mit dem er den Film eröffnet hatte, auch auf andere Weise übersetzt werden kann: Nicht nur der »Schlaf«, sondern auch der »Traum« der Vernunft gebiert Monster. Hierin liegt die ganze Ambi­va­lenz der Aufklärung, die dieser Regisseur nicht verraten, sondern roman­tisch erweitern will.