Fletchers Visionen

Conspiracy Theory

USA 1997 · 137 min. · FSK: ab 12
Regie: Richard Donner
Drehbuch:
Kamera: John Schwartzman
Darsteller: Mel Gibson, Julia Roberts, Patrick Stewart, Cylk Cozart u.a.

Wer ist Schuld an Kennedys Ermordung, dem Zweiten Weltkrieg, und daran, daß Sie morgens in der S-Bahn keinen Sitzplatz bekommen? Wer hat Mozart auf dem Gewissen, hält die längst entdeckten Aliens versteckt und zieht die Fäden beim uner­klär­li­chen Erfolg von Baller­mann? Die Frei­maurer sind’s, die Rosen­kreuzer und die Templer, unter einer Decke mit geheimen Regie­rungs­or­ga­ni­sa­tionen und dem untoten Elvis!
Sie haben derzeit Konjunktur, die Verschwö­rungs­theo­rien – je abstruser, je lieber, vor allem wenn sie gleich die gesamte Mensch­heits­ge­schichte in einem Schlag erklären. Sie liefern Halt für all jene, die mit der Zufäl­lig­keit und Sinn­lo­sig­keit des gewöhn­li­chen Lebens nicht zurecht kommen; sie lassen den Alltag lesen wie einen Roman oder Film: mit Anfang und Ziel, und geplantem Sinn in jedem Detail.
Mithin ein prima Stoff für die Kunst – und die hat sich dem Thema auch schon ausgiebig ange­nommen. Es gibt jede Menge Möglich­keiten, sich diesem Sujet zu nähern, von John Fran­ken­hei­mers Klas­si­kern The Manchu­rian Candidate und Seconds über Don De Lillos gran­dioses »Libra« oder Umberto Ecos hervor­ra­gendes (und bös unter­schätztes) »Das Foucault­sche Pendel« bis zur Simpsons-Episode über die Verei­ni­gung der »Stone­cutter«. Das Thema läßt sich insze­nieren als komplexer Polit-Thriller, als paranoide Komödie, als Medi­ta­tion über den Zusam­men­hang fiktiver Plots mit realen Komplotten, als zündender Action-Reißer, als surreale Kafka-Vision.

Oder als todlang­wei­liger Liebes­film mit beliebig wirkenden Thriller-Elementen. Und leider hat sich Conspi­racy Theory für eben diese Möglich­keit entschieden. Jerry Fletcher ist Taxi­fahrer in New York, Heraus­geber eines selbst­ge­druckten Verschwö­rungs-News­let­ters und eigent­lich ein psychisch schwer gestörter Para­noiker. Aber Jerry Fletcher ist auch Mel Gibson, und deswegen ist er dann doch nur der liebens­werte Junge von nebenan mit einem kleinen Tick. Jerry ist verknallt in die Staats­an­wältin Alice Sutton (Julia Roberts schon wieder weit unter Wert verheizt), aber die ist von seinen ständigen Besuchen, bei denen er ihr seine neuesten Enthül­lungen präsen­tiert, gar nicht so begeis­tert. Aber – Über­ra­schung – alles ist wahr, SIE sind hinter Jerry her, blah, blah, blah... Alice verliebt sich in Jerry.

Die Recher­chen des Dreh­buch­au­tors Brian Helgeland zum Thema Verschwö­rungs­theo­rien sind offen­sicht­lich sehr ober­fläch­lich ausge­fallen, und so ist der Aspekt der Verschwö­rung für die eigent­liche Story nicht von sonder­li­cher Bedeutung. Das nebulöse SIE-System, das hinter allem zu stecken scheint, erspart Helgeland lediglich die Konstruk­tion eines ordent­li­chen Plots, und am Rande werden immer wieder ein paar beliebig gewählte Details präsen­tiert, die auf allerlei ominöse Komplotte verweisen. Doch im Grunde handelt es sich um eine ganz gewöhn­liche Katz-und-Hund Liebes­ge­schichte mit Hinder­nissen und einem einzelnen Bösewicht (Patrick Stewart).

Was ja immer noch in Ordnung ginge, wenn diese wenigs­tens flott und intel­li­gent insze­niert wäre – oder dann wenigs­tens, wenn sonst schon gar nichts mehr hilft, genügend Sex und Action enthielte. Aber nichts von alledem. Das Buch, das gerade mal Substanz für 45 Minuten mäßiges Fernsehen bietet, wird auf uner­träg­liche zwei­ein­viertel Stunden ausge­walzt, mit der Behä­big­keit eines Pädagogen mit extrem begriffs­stut­zigen Schülern. Alles wird wieder und wieder gesagt, bis es auch noch der Aller­letzte kapiert hat, und so braucht der Film eine Stunde für eine Expo­si­tion, die Hitchcock in fünf Einstel­lungen erledigt hätte.
Leider ist Richard Donner dann auch keiner jener jungen, an Videoclip und Werbung geschulten Regis­seuren, die mangelnde Substanz wenigs­tens durch durch­sti­li­sierten, ästhe­ti­schen Ober­flächen­reiz kurz­weilig gestalten können. Von einer kurzen, deli­rie­renden Verhörs­szene abgesehen (die aller­dings, soviel sei zuge­standen, wirklich gelungen ist) hat man es bei Conspi­racy Theory mit einem sträflich ideen­freien Film zu tun.
Als dann zum Schluß die große Enthül­lung kommt, hat man (so man überhaupt noch im Kino sitzt) vor lauter Langweile schon längst aufgehört zuzuhören – aber das macht dann gott­sei­dank auch nichts mehr aus, denn das einzig Wichtige ist ohnehin mitzu­be­kommen, daß es danach kein Hindernis für die Liebe von Jerry und Alice gibt.

Warum wir in letzter Zeit in gehäuftem Maße von Filmen heim­ge­sucht werden, die astro­no­mi­sche Budgets haben, ohne daß sich jemand vorher um ein solides Drehbuch kümmern würde, ist ein echtes Rätsel. Hat eigent­lich schon mal jemand überlegt, ob dahinter viel­leicht eine groß angelegte Verschwö­rung...?