Deutschland 2007 · 96 min. · FSK: ab 12 Regie: Rainer Kaufmann Drehbuch: Ralf Hertwig, Kathrin Richter Kamera: Klaus Eichhammer Darsteller: Ulrich Noethen, Katja Riemann, Ulrich Tukur, Petra Schmidt-Schaller u.a. |
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Erschütterung der Urlaubslangeweile |
Die Sonne scheint am Bodensee. Sie liegt schon tief, es muss ein Septembertag sein, die Apfelernte hat begonnen, und auch im Leben von Helmut Halm kündigt sich der Herbst an. Seit zwölf Jahren machen Helmut und seine Frau Sabine im immergleichen Haus im immergleichen Bodenseekaff den immergleichen Badeurlaub. Die Kinder sind längst aus dem Haus, Helmut zieht sich ins Schneckenhaus seines Innenlebens zurück und liest den Pessimismusphilosophen Schopenhauer. Sabine liegt in der Sonne und kühlt ihren Frust im Bodensee.
Martin Walsers Novelle Ein fliehendes Pferd, erschienen 1978, und seitdem über eine Million Mal verkauft, handelt von einer abgenutzten Ehe. Jetzt hat Rainer Kauffmann, einst mit seiner erfolgreichen Beziehungskomödie Stadtgespräch (1995) eine der Hoffnungen des deutschen 90er-Jahre-Kinos, inzwischen eher Experte für gehobene Fernsehspiele, den Stoff verfilmt – als gehobenes Fernsehspiel.
Die friedliche Urlaubslangweile der Halms wird jäh unterbrochen, als wie aus dem Nichts Klaus Buch auftaucht, ein eher ungeliebter Studienkamerad aus Helmuts Vergangenheit. Klaus stört den Trott des gelangweilten Paares, und mischt gemeinsam mit seiner jungen, attraktiven Gefährtin Helen die eingefahrenen Verhältnisse gehörig auf. Ulrich Tukur spielt diese Nervensäge als extrovertierten Wichtigtuer – ein wunderbarer Auftritt in einem Film, der vor allem von seinen beiden männlichen Hauptdarstellern lebt.
Im Zentrum des Buches steht die Ehe, und was die Erwartung der Gesellschaft mit ihr macht, im Zentrum des Films steht eher ein Männerzweikampf. Walser hatte Ein fliehendes Pferd einst nicht zuletzt als Portrait einer saturierten Rebellion angelegt, als sarkastische Betrachtung über die Folgen der zehn Jahre alten Revolte und als Innenschau des Bürgertums einer Wohlstandsgesellschaft, die feige und leidenschaftslos geworden, nicht wirklich etwas mit sich anzufangen weiß. Das könnte uns heute so einiges zu erzählen haben. Und allemal ist Walsers Novelle überdies ein präzises kleines historisches Soziogramm der Bundesrepublik der 70er Jahre, ein Buch, das ohne ein Gramm Fett viel von seiner Entstehungsepoche erzählt. Der Männerkampf zwischen bürgerlichem Langweiler und provokantem Freigeist, ist eine Story aus der alten Bundesrepublik, das, was man noch etwas früher eine Sittengeschichte nannte und mag aus heutiger Sicht in seiner Schematik allemal etwas Antiquiertes haben. Und auch die moralische Message: »Helmut, wann lebst Du?« bzw. »Einem Pferd, das durchgeht, darf man sich nie in den Weg stellen.« kommt etwas schlicht. Doch das wäre noch alles eine interessante Herausforderung.
Aber der Konflikt zwischen historischer oder zeitgemäßer Verortung, und die Schwierigkeit, wie man diese Story ins Heute übersetzt, werden von Kaufmann nur mit wolkiger Beliebigkeit und schlichter Bebilderung beantwortet. Etwas freizulegen versuchen Regie und Drehbuch nie. Dem Film fehlen daher Zeit und Ort; die Handlung wurde gegenüber der Novelle um manche düstere Wendung beraubt, und konsequent ins Komödiantische, zum Teil Klamottige gewendet – und damit ihren eigenen Gegenstand verrät. Das Resultat ist ein biederer, uninspirierter Film, dem es nie gelingt, irgendein Interesse für seinen 30 Jahre alten Stoff zu erzeugen, ihn für die Gegenwart zu aktualisieren – und plötzlich sieht Walsers Szenario überaus alt aus, wie steckengeblieben in einer Zeit, als Nacktbaden noch zur Chiffre gesellschaftlicher Befreiung werden konnte, und geprägt von spießig-altbackenen Herrenwitzen: »Du kennst Dich ziemlich gut aus mit Vögeln.« – »Hehe bisschen schon.«
Eine Beobachtung am Rande: Dafür dass in deutschen Filmen so viel gequasselt wird, wird an den entscheidenden Stellen immer gern geschwiegen. Die Menschen reden entweder zuviel oder dort nicht miteinander, wo im Leben und in – zum Beispiel – französischen Filmen zumindest das Offenkundige ausgesprochen wird. Und die wahren Gründe, warum auf die einzige von Stilwillen und Geschmack geprägte Kino-Ästhetik gern mit Verachtung geschaut wird, liegt wohl nicht zuletzt daran, dass dieses Schweigen des deutschen Kinos bei der »Berliner Schule« nicht so lärmend daher kommt, nicht so mit nichtssagenden Geräuschen zugekleistert wird, wie zum Beispiel hier. Man wünschte Kaufmanns neuem Film jedenfalls einen einzigen Dialog von der Genauigkeit und Prägnanz, die Christian Petzolds vergangenen Woche im Kino gestarteten Film Yella prägt, einen einzigen Moment seiner Konzentration, und ein Bild, wie es Kameramann Hans Fromm andauernd gelingt.
Aber dies ist wohl eine zu hohe Hürde, und gemessen an solchem Kino spielt Kauffmann in der Zweiten Liga – gegen den Abstieg. Stattdessen zeigt er biedermeierliches Wellness-Kino, eine Literaturverfilmung ohne Geschmack und Esprit, die ihrem Gegenstand nicht traut, ihn nur als Vorwand benutzt, um wieder mal auf Beziehungskomödie zu machen. In solchen Momenten, wenn der Ton strenger wird, und man mal nachfragt, warum es denn immer wieder gar so nichtssagend werden muss im deutschen Film, verlegen sich die Macher dann gern auf Frontbegradigung und pflegen zu antworten, sie wollten ja »nur« unterhalten. Das »nur« sagt mehr als tausend Bilder. Wetten, dass auch jetzt wieder einer antwortet, man wolle ja »nur« unterhalten? Für Kunst also sind andere zuständig. Dann fragt man sich allerdings, warum einer denn überhaupt eine Walser-Novelle verfilmt, und es nicht lieber gleich mit Ildikó von Kürthy probiert.