Österreich/D 2004 · 129 min. · FSK: ab 12 Regie: Hans Weingartner Drehbuch: Katharina Held, Hans Weingartner Kamera: Daniela Knapp Darsteller: Daniel Brühl, Julia Jentsch, Stipe Erceg, Burghart Klaußner u.a. |
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Almtraum von der besseren Welt |
Eigentlich sind sie sich ja einig in ihrem Traum von der besseren Welt: frei und zwanglos sein. Deshalb können sie ja auch gemeinsam am rohen Holztisch der entlegenen Tiroler Almhütte ihren Joint genießen, der reiche alte Knacker und die drei Jungrevolutionäre, die ihn aus seiner Berlin-Zehlendorfer Luxuswelt entführt haben. Und in revolutionären Erinnerungen schwelgen: der Alte erzählt von den glorreichen Tagen im SDS als persönlicher Freund von Rudi Dutschke. Und die Kids (Mittzwanziger zwar, aber in kindlicher Naivität) rekapitulieren den Zweck ihrer Villen-Einbrüche, bei denen sie nicht klauen, sondern Möbel verrücken und kryptische Botschaften hinterlassen. Ihre Hoffnung: die Welt lässt sich verändern, wenn die Reichen genug Angst bekommen und damit ein schlechtes Gewissen, ein Bewusstsein der Ungerechtigkeit.
Man weiß nicht viel über die drei, die, bei einem Einbruch überrascht, den Villenbesitzer entführen. Am meisten noch über Jule, die nach einem Autounfall hoch verschuldet ist – bei eben jenem Villenbesitzer Hardenberg, der sie erkennt und verraten könnte. So ganz hat sie sich eben noch nicht abgefunden mit der Idee, Lehrerin zu werden, um ihre Schulden zu zahlen, die sie mit dem Job als Kellnerin im Nobel-Restaurant nicht abstottern kann.
Aber weder über ihren
Hintergrund erfährt man etwas, noch über den ihrer Freunde, Jan und Peter – Plakate kleben die beiden bei ihren nächtlichen Ausflügen jedenfalls nicht. Aber sie sind jung, sie verzweifeln am System, sie wollen Gerechtigkeit, und sie suchen den richtigen Weg, diese zu erreichen. Und man fiebert mit Ihnen, auch wenn ihr Weg sie am Ende immer mehr in Richtung Terrorismus treibt.
Hans Weingartner, der mit Das weiße Rauschen einen beeindruckenden Erstlingsfilm vorlegte, rekapituliert in Die fetten Jahre sind vorbei seine eigene Jugend in einer Berliner WG, die eigenen Ideale und die Unsicherheit über den Weg, sie zu verwirklichen. Daniel Brühl hat Weingartner wie bei seinem ersten Film mit einer Hauptrolle bedacht, und Daniel Brühls Gesicht ist es, dass die Werbung für den Film dominiert. Die Rolle des sensiblen Aufrührers ist dem deutschen James-Dean-Widergänger geläufig, und auch seine Mitstreiter sind glänzend besetzt: Julia Jentsch zeigt sich als zarte Mischung aus Pragmatismus und Aufstand, und Stipe Ergec (im ansonsten unterirdischen Thriller-Verschnitt Such mich nicht der einzige Lichtblick) postiert seinen Peter als Grenzgänger zwischen Hedonismus und Moral. Mit dem hervorragenden Burghart Klaußner als Gegenpart Hardenberg, der den Youngsters rhetorisch Paroli bietet, um sich dann selbst als Alt-68er darzustellen, hat Weingartner ein hervorragendes Gegengewicht zu diesem gefühlsstarken Trio gefunden.
Weingartner und seine Co-Autorin Katharina Held scheinen die Sympathien ganz auf Seiten der jungen Revolutionäre zu setzen und zeichnen die »Knechte des Systems«, Polizisten und Fahrkartenkontrolleure, als brutal und gesichtslos. Von den öffentlichen Organen ist nichts zu erwarten als neue Gewalt. Doch ein Patentrezept gegen die Erkrankung der Gesellschaft wagen sie nicht mehr anzubieten. Natürlich lacht man mit den »Erziehungsberechtigten« über die Villenbesitzer, die ihre Porzellanfiguren in der Kloschüssel wiederfinden, doch ist Möbelrücken wirklich schon Revolution – oder ist es schlicht frustrierter Vandalismus. Auch der Entführung Hardenbergs (ein Industrieller? Ein Banker? Was macht er eigentlich, außer 5,4 Mio im Jahr?) fehlt letztlich die gesellschaftliche Signalwirkung. Und die Beziehungen untereinander muss das Trio erst einmal klären. Das Politische bleibt zunächst privat. Doch die Romantik des Aufstandes lebt weiter, und man tut alles, um Hardenberg zu widerlegen: »... und wer über dreißig noch links ist, dem fehlt der Verstand.«
Der seit langen Jahren erste deutsche Beitrag beim Filmfestival in Cannes wurde dort begeistert aufgenommen – und gilt den Österreichern als heimlicher Heimatbeitrag, denn Regisseur Weingartner stammt aus Tirol, und zu 20 % kommen die Produktionsmittel von der »coop99«, der man unter anderem Barbara Alberts Böse Zellen verdankt.