Es beginnt heute

Ça commence aujourd'hui

Frankreich 1999 · 117 min.
Regie: Bertrand Tavernier
Drehbuch: , ,
Kamera: Alain Choquart
Darsteller: Philippe Torreton, Maria Pitarresi, Nadia Kaci u.a.

»Du kannst die Leute lieben, aber du kannst ihnen nicht helfen.« Diesen Satz muß sich ausge­rechnet Daniel, der Idealist anhören, einer, der um seine Mitmen­schen kämpft. Die Schule, die er leitet, steht in einer nicht gerade privi­le­gierten Gegend im Norden Frank­reichs. Dort ist dieAr­beits­lo­sig­keit extrem hoch und das gesell­schaft­liche Grund­gerüst wird nur provi­so­risch aufrecht­er­halten. Die Frauen von der Fürsorge stellen ärztliche Diagnosen, weil keine Ärzte zur Verfügung stehen; Poli­zisten halten Halb­starken ausge­dehnte Moral­pre­digten, weil es sonst keiner tut; und der Schul­di­rektor verrichtet nach Feier­abend Sozi­al­ar­bei­ter­dienste. Schnelle Hilfe wäre bei vielen Familien geboten, doch die zustän­digen Stellen sind über­lastet, und die Politiker reden nur von Statis­tiken und vom schönen Erfolg des örtlichen »Buch­mo­bils«.

Schlech­tere Glas­scher­ben­viertel-Filme wandern von einem Sinnbild des Elends zum nächsten, ohne Perspek­tiven aufzu­zeigen. 'Jaja, die Welt ist schlecht' kann der Zuschauer nur versi­chern und sich schleu­nigst vom Kino in den Stehaus­schank schleppen. Bertrand Tavernier jedoch hat sich zum Mittel­punkt seiner tristen halb­do­ku­men­ta­ri­schen Produk­tion einen Schul­leiter erkoren, einen der weiter­ma­chen muß, Neues schafft, seine Schüler ermutigt, anschubst und zur Krea­ti­vität anregt.

Philippe Torreton spielt diesen leiden­schaft­li­chen Lehrer Daniel, um den uns bald Himme­langst wird, denn er lädt sich reichlich viel auf den Buckel. Zum frus­trie­renden Berufs­alltag kommen noch private Sorgen hinzu. Doch läßt der unver­dros­sene Pädagoge nicht locker und seine Schütz­linge nie im Stich.

Es mag schon sein, daß die Figur zu stili­siert ist, solche genialen Super-Teacher gab es ja bereits öfter, man denke nur an Robin Williams im Club der toten Dichter. Doch die fast beiläufig plazierten Spiel­szenen mit den Kindern geraten Torreton und seinem Regisseur sehr dicht und über­zeu­gend. Ab und zu kommt ein Rück­schlag dazwi­schen, nieder­schmet­ternde Episoden, wie jene, in der eine Mutter sich mitsamt ihren beiden Kindern umbringt. Die trost­losen Fami­li­en­ver­hält­nisse bleiben dabei völlig unge­schönt. Aber die positiven und negativen Bege­ben­heiten halten sich eini­ger­maßen die Waage, obwohl das Unglück ja in dieser Gegend Heim­vor­teil hat.

»Wenn man genau hinsieht«, sagt Bertrand Tavernier, »bin ich mehr an den Menschen inter­es­siert, die kämpfen, als an dem, wogegen sie kämpfen.« Das kann zwar stimmen, denn Daniel, der tapfere, wird von der Kamera ausgiebig liebkost und das marode System wird als ein Netz von schwachen Einzel­per­sonen gezeigt. Selbst für die Mäch­ti­geren, wie Bürger­meister und Minister, die sich auf Sach­zwänge berufen, zeigt Tavernier Vers­tändnis. Er benennt keine Schul­digen, dennoch ist der Titel Es beginnt heute keine blasse Durch­hal­te­pa­role und der Film kein »Arm, aber glücklich«-Schmus, sondern ein Plädoyer dafür, jetzt und sofort Abhilfe zu schaffen. Für dieses sanfte, aber wirkungs­volle Enga­ge­ment verzichtet Tavernier auf reiße­ri­sche Szenen, rückt statt­dessen winzige Triumphe von Fünf­jäh­rigen ins Bild. Es beginnt heute zeigt, daß Kindheit nicht nur drollig ist, und gut gemeintes Kino nicht dümmlich sein muß.