Einer nach dem anderen

Kraftidioten

Norwegen/S/DK 2014 · 117 min. · FSK: ab 16
Regie: Hans Petter Moland
Drehbuch:
Kamera: Philip Øgaard
Darsteller: Stellan Skarsgård, Bruno Ganz, Pål Sverre Valheim Hagen, Jakob Oftebro, Birgitte Hjort Sørensen u.a.
Wie wär's alternativ mit dem Titel: Zehn kleine Schneemännlein

In tödlicher Reihenfolge

Mit Film­ti­teln ist das so eine Sache. Im englisch­spra­chigen Raum findet man oft Titel, die sehr kernig klingen, aber wenig darüber verraten, um was für eine Art von Film es sich genau handelt. Das führt dazu, dass man hier­zu­lande gerne zu kreativen Titel­neu­schöp­fungen greift, die in ihrer unge­bremsten Erklä­rungswut gerne den Clou der Handlung verraten oder aber die ursprüng­liche Idee völlig sinnen­stellt wieder­geben. Bei der norwe­gi­schen Gangs­ter­gro­teske Einer nach dem anderen verhält es sich jedoch ein wenig anders. Auf der dies­jäh­rigen Berlinale lief Hans Petter Molands Film unter dem markigen Origi­nal­titel Kraf­t­idioten. Jetzt kommt das äußerst schwar­zhu­mo­rige Werk als Einer nach dem anderen in unsere Kinos. Der erste Titel war eine absurd-kreative Namens­schöp­fung, der neue ist eine bedeu­tungs­ver­armte Nach­bil­dung des inter­na­tio­nalen Titels In Order of Disap­pearance.

Dieser deutet bereits an, dass mehr als nur ein einzelner Prot­ago­nist im Verlaufe der Handlung das Zeitliche segnen wird. Zugleich ist der Titel eine lako­ni­sche Umformung des Engli­schen »in order of appearance«, mit dem im Abspann eines Films die Liste der (Neben-)Darsteller einge­leitet wird. Moland verwan­delt solch eine Auflis­tung zu einem zentralen Gestal­tungs- und Glie­de­rungs­ele­ment seines Films: Immer, wenn es wieder einen Ganoven erwischt hat, folgt eine Schwarz­blende, die eine Gedenk­schrift mit Namen und Spit­z­namen, des soeben ins Jenseits beför­derten Verbre­chers zeigt. Dies wird mit pathe­tisch-sakraler Musik untermalt. Anfangs sieht man auch noch, wie der Tote in Draht einge­wi­ckelt feierlich einen Wasser­fall hinab­ge­worfen wird. In dieser bitter­bösen Verbin­dung von bekannten Elementen aus Todes­anz­eigen mit skurillen Zwischen­tönen verdichtet sich der abgrün­dige Humor, der Einer nach dem anderen in seinen zahl­rei­chen guten Momenten ausz­eichnet.

Dabei fängt alles denkbar harmlos an. Der Schwede Nils (Stellan Skarsgård) arbeitet in einer abge­le­genen Gegend in Norwegen als Schnee­räum­wa­gen­fahrer. Der Immigrant ist voll­kommen inte­griert und wurde sogar kürzlich von seiner kleinen Gemeinde zum Bürger des Jahres ernannt. Doch Nils' sogen­freies Leben mit seiner Frau Gudrun und seinem Sohn Ingvar findet ein jähes Ende, als Ingvar mit einer Überdosis Heroin im Leibe tot aufge­funden wird. Nils glaubt nicht daran, dass sein Sohn ein Junkie war, findet jedoch keine Unter­s­tüt­zung für seine These bei der Polizei. Schließ­lich resi­gniert der gebroche Vater und will sich schon selbst das Leben nehmen, als ihm ein Freund seines Sohnes mitteilt, dass jener von Gangstern ermordet wurde. Nils' über­wäl­ti­gende Trauer verwan­delt sich in abgrund­tiefen Hass und in brutalen Rache­durst. Von einem Moment auf den aderen wird aus dem unauf­fäl­ligen Muster­bürger eine Ein-Mann-Killer-Armee und aus seinem Schnee­räu­mungs­gerät eine tödliches Kampf­gerät.

Natürlich atmet das böse Treiben im tiefen Schnee­ge­stöber den Coen-Geist von Fargo (1996). Mit zwei denkbar unter­schied­li­chen Gangs­ter­bossen, ist auch für ein angenehm skurrilen Figu­ren­in­ventar gesorgt. Zum einen wäre da der norwe­gi­sche Boss »Der Graf« (Pal Sverre Valheim Hagen), ein verweich­lichter Hipster und ein nervöser Psycho­path. Auf der anderen Seite ist da das serbische Gangster-Oberhaupt »Papa«, das Bruno Ganz als eine serbische Karri­katur eines klas­si­schen Paten spielt. Im Zentrum der Handlung befindet sich jedoch mit dem allzu gewöhn­li­chen Jedermann Nils eine Figur, die in einem Coen Film keinen Platz hätte. Stellan Skarsgård (Nympho­ma­niac) zeigt wunderbar die Verwand­lung dieses Niemands in eine stoische Kampf­ma­schine. Gerade seine Unauf­fäl­lig­keit und seine Gewis­sen­haf­tig­keit hatte den Einwan­derer zum Bürger des Jahres avan­zieren lassen. Die gleichen Eigen­schaften verwan­deln Nils nun in kürzester Zeit zum von der norwe­ge­gi­schen Unterwelt gefürch­teten »Phantom«.

Bei den Coen Brothers entwi­ckelt sich das zumeist unschöne Geschehen mit größt­mög­li­cher Zwangs­läu­fig­keit in einer von vorn­herein düsteren Welt aus den unklugen Entschei­dungen reichlich verkorkster Charak­tere heraus. Hans Petter Moland präsen­tiert in Einer nach dem anderen jedoch ein nordi­sches Idyll aus traum­haften Schnee­land­schaften und mit einem über­für­sorg­li­chen Sozi­al­staat, der selbst im Knast für eine gute kosten­lose Zahn­be­hand­lung sorgt. Das Leben erscheint so schön und so butter­weich wie eine dicke, frische Lage Neuschnee. Selbst ein Gangs­ter­boss ist hier eine Mischung aus einem marot­ten­haften Mutter­söhn­chen und aus einem über­kan­di­telten Geschäfts­mann. Auf die Spitze gestrieben wird diese absurde Behag­lich­keit, wenn ein Killer nicht genre­ge­recht eiskalt und ohne mit der fest­ge­fro­renen Wimper zu zucken seinen Auftrag ausführt, sondern lieber einen schlauen Deal aushan­delt.

In seinen guten Momenten glänzt Einer nach dem anderen durch seinen staub­trock­kenen Humor und durch seine gegen den absoluten Nullpunkt herun­ter­ge­kühlte Lakonie. Leider hapert es, sobald irgendwie »Action« in diese schock­ge­fros­tete Welt hinein­kommen soll. Da wird der Film unsicher im Tonfall und tendiert schließ­lich leider sogar immer stärker Richtung Klamauk.