Dumb Money – Schnelles Geld

Dumb Money

USA 2023 · 105 min. · FSK: ab 12
Regie: Craig Gillespie
Drehbuch: ,
Kamera: Nicolas Karakatsanis
Darsteller: Paul Dano, Pete Davidson, America Ferrera, Nick Offerman, Anthony Ramos u.a.
Die letzte noch verbleibende moralisch glaubwürdige Instanz unserer Welt: der Mittelstands-Nerd und sein YouTube-Format
(Foto: LEONINE)

Fuck the rich

Craig Gillespies wütender und wilder Film über den GameStop-Aufstand des gemeinen Volkes an der Börse ist so wichtiges wie wunderbares politisches Kino

I’m gonna fight ‚em off
A seven nation army couldn’t hold me back

Seven Nation Armee, The White Stripes

It’s just the fucking rich fucking the poor
Bribing their way through heaven’s door
Justice’s all we’re asking for
Still, the fucking rich fuck the poor

The Fucking Rich Fuck the Poor, Propa­gandhi

Das ameri­ka­ni­sche Kino hatte schon immer die Fähigkeit, über gesell­schaft­lich eher abstrakte Entitäten sehr plas­ti­sche Filme zu schaffen, die im besten Fall auch noch gleich die ganze Gesell­schaft erklären oder hinter­fragen. Ein gutes Beispiel ist der Sportfilm, ein in Deutsch­land kaum gepflegtes Genre, das von Moneyball bis Brady’s Ladies über eine Sportart die Ecken und Kanten der eigenen Kultur verortet. Ein anderes Beispiel ist der Wirt­schafts­film, der seit Oliver Stones Wall Street (1987) so richtig Fahrt aufnahm und mit Martin Scorseses The Wolf of Wall Street (2013) und schließ­lich Adam McKays The Big Short (2015) zu immer neuen und inno­va­ti­veren Ansätzen fand. Vor allem McKays Film mit seiner verbalen Reizü­ber­flu­tung und Sprengung von klas­si­schen erzäh­le­ri­schen Dimen­sionen durch brecht­sche Verfrem­dungs­ef­fekte setzte neue Dimen­sionen.

Diese neuen Dimen­sionen gelten auch für die Inhalte und die mora­li­sche Ausrich­tung, denn anders als in Stones Meilen­stein, in dem der durch Michael Douglas darge­stellte Gordon Gecko trotz seiner Verwick­lungen in illegalen Insider-Handel das System selbst nicht in Frage stellt, operiert The Big Short kritisch am offenen Herzen selbst und stellt letzt­end­lich das System Amerika mit seinem Verspre­chen des ameri­ka­ni­schen Traums so intel­li­gent wie radikal in Frage.

In diesem mora­li­schen Raum bewegt sich auch Craig Gille­spies Dumb Money – Schnelles Geld, der sich zwar nicht wie The Big Short einer wirt­schaft­li­chen Großkrise wie den Wurzeln der Banken- und Finanz­krise von 2007 annimmt, aber über eine »Klein­krise« deutlich macht, dass das »System« aus seinen Fehlern von damals nur wenig gelernt hat.

Craig Gille­spies Film basiert auf dem Sachbuch The Anti­so­cial Network: The GameStop Short Squeeze and the Ragtag Group of Amateur Traders That Brought Wall Street to Its Knees von Ben Mezrich aus dem Jahr 2021. Mezrichs Haupt­prot­ago­nist Keith Gill, auch bekannt unter seinen Pseud­onymen DeepFuck­in­gValue und Roaring Kitty, begann in seinem Youtube-Channel die Aktien von GameStop, einer US-ameri­ka­ni­schen Einzel­han­dels­kette für Compu­ter­spiele und Unter­hal­tungs­soft­ware, zu analy­sieren und schließ­lich anzu­preisen, was zu einer Neube­wer­tung der GameStop-Aktie führte und die klas­si­schen Wall­street-Handels­häuser, die auf den Ruin von GameStop gewettet hatten, zu Gegen­maß­nahmen zwang.

Gillespie, der bereits mit I, Tonya (2017) und Cruella (2021) dichte, gesell­schafts­re­le­vante Porträts schuf, gelingt auch in Dumb Money der Spagat zwischen persön­li­cher Geschichte und gesell­schafts­kri­ti­schem Überbau, ohne dabei jedoch so weit zu gehen wie The Big Short. Zwar wird auch in Dumb Money die Gier des Groß­ka­pi­tals an den Pranger gestellt, aber anders als McKay stellt Gillespie über seinen nerdigen Mittel­stands-Helden Keith Gill (Paul Dano) einen Hoff­nungs­faktor in den Raum, den es in The Big Short nicht gibt. Dort verliert der kleine Anleger alles, in Dumb Money wehrt sich das »Dumb Money« (so werden die Inves­ti­tionen der »naiven« Klein­an­leger von den Großen an der Börse bezeichnet) über einen ganz normalen Mittel­stands­ver­treter der Gesell­schaft selbst und bringt das so elitäre, selbst­ge­rechte, selbst­ver­liebte und vor allem gierige Groß­ka­pital ins Wanken.

Wie so oft in Kinder- und Jugend­filmen wird auch in Dumb Money das Narrativ des Kleinen gegen die Großen bedient, dass man, wenn man nur gemeinsam handelt, stärker als das größte Problem sein kann. Dass diese Hand­lungs­op­tion auch an den Börsen der Welt funk­tio­niert, zeigt Gillespie in so eindrück­li­chen wie span­nenden Bildern, bei denen über akkurate sozi­al­rea­lis­ti­sche Einschübe auch nicht vergessen wird, wie es bei den kleinen Leuten im heutigen Amerika aussieht, für die die Speku­la­tionen an den Börsen oft der letzte Rettungs­anker sind, um ihr Überleben zu sichern.

Sehr eindring­lich zeichnet Gillespie dann auch die Dynamik und Flexi­bi­lität von Moral und den Verkauf von mora­li­schen Werten. Dumb Money – Schnelles Geld führt nicht nur eindrück­lich vor, wie es im Finanz­sektor darum bestellt ist und dass selbst moralisch einwand­frei erschei­nende Werte wie der inno­va­tive Finanz­dienst­leister Robinhood am Ende als königs­treu und korrupt geoutet werden, und selbst »Helden« wie Keith Gill sich ständig hinter­fragen müssen, ob das System sie nicht schon klamm­heim­lich korrum­piert hat, ohne dass sie es selbst gemerkt hätten.

Am Ende kommt Dumb Money ohne die formalen Expe­ri­mente von The Big Short aus, um im Grunde eine sehr ähnliche Geschichte zu erzählen. Sie ist zwar eine Geschichte, die Hoffnung macht, dass Wider­stand immerhin möglich ist. Eine Vision, wie die Alter­na­tive zu diesem Wahn­sinns­fest der Gier aussehen könnte, bleibt aller­dings auch Dumb Money schuldig.