Deutschland/Italien 2017 · 90 min. · FSK: ab 12 Regie: Jan Zabeil Drehbuch: Jan Zabeil Kamera: Axel Schneppat Darsteller: Alexander Fehling, Bérénice Bejo, Arian Montgomery u.a. |
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Klischeelawine der Gegenmoderne |
Hoch auf dem Berg, da herrschen andere Gesetze. Da begegnen wahre Männer sich selbst, der Natur, »dem Schicksal« und jener »anderen Seite«, nach der von den Höhlenmenschen bis zu den Hippies noch jedes Zeitalter auf seine Weise gesucht hat. Gerade im deutschen Film kommen die Berge und die ihnen offenbar innewohnende »Reduktion von Komplexität« (Niklas Luhmann) gegenüber den Niederungen des modernen Lebens in der Tiefebene derzeit wieder in Mode – gerade erst schlurfte der Ötzi in Gestalt von Jürgen Vogel auf der Chronik seines angekündigten Todes als Mann aus dem Eis zwei Stunden lang dem Gletschergrab entgegen, jetzt erzählt Jan Zabeil eine Südtiroler Almhütte weiter von den Drei Zinnen.
In Drei Zinnen verschlägt es eine Patchwork-Familie in die Dolomiten. Diese Leute heißen so, wie nur Menschen in Berlin-Mitte oder im deutschen Film heißen, nämlich Aaron und Tristan. Die Frau, die im Film mal Englisch redet, und mal Deutsch, beides aber mit französischem Akzent, heißt Lea. Aaron (gespielt von Alexander Fehling) ist zwar vor allem Mamas neuester Freund, möchte aber auch ein toller, nein: der beste Stiefvater der Welt für ihren Sohn Tristan werden. Doch der kleine Ödipus macht es ihm nicht leicht.
Der erste Teil des Films geht noch – er erinnert ein bisschen an Alle Anderen, Maren Ades Paar-Selbstzerfleischungsdrama, aber statt auf Sardinien eben auf einer Berghütte und mit Kind.
Irgendwann sieht man dann eine Sexszene, und man sieht sie so, dass man daran schon erkennt, dass dies ein deutscher Film sein muss, denn so sehen Sexszenen in deutschen Filmen besonders gern (und in französischen Filmen nie) aus: Im Stehen, hart und an der Wand. Das kann man dann ja auch schöner filmen. Nicht zum Aushalten ist allerdings, dass der Regisseur dann direkt vom Geschlechtsverkehr das Bild schneidet auf – Aaron beim Sägen mit der Säge. Was man eben sonst so macht auf einer Hütte. Und dann bricht allen Ernstes das Sägeblatt. Eine tolle Metapher, und leider recht typisch für den ganzen Film.
Noch ein paar Filmminuten später gehen Aaron und Tristan dann zum Bergwandern ins Hochgebirge. Irgendwann streiten sich beide, und verlieren sich. Beim Suchen bricht auch noch Aarons Bein, und das Handy geht auch kaputt. Auf das Wiederfinden und die Jungsversöhnung am Lagerfeuer folgt neue Pein: Beide streiten sich wieder, dann verschwindet der Junge aufs Neue im Nebel. Stiefvater Aaron robbt hinterher, das Bein ist ja gebrochen.
Und man sieht einen guten, aber schlecht geführten deutschen Schauspieler, wie er mit allen Manierismen Ächzen und Stöhnen und zugleich Bedeutung spielt.
Dann steckt das Kind plötzlich in einem Eisloch, wie auch immer er da hinkam, und beim Rettungsversuch fällt auch Aaron hinein – doch dann hievt er den Jungen wie auch immer, irgendwie halt aus dem Eis – vermutlich »in einer übermenschlichen Anstrengung«, wie man das früher im Wehrmachtberichte-Deutsch in die Filmprogrammhefte der fünfziger Jahre geschrieben hätte.
Stiefvater Aaron geht dann im Eisloch unter – aber nicht für immer. Es folgt stattdessen eine minutenlange Tauchpartie bei Minustemperatur, die ein bisschen an Werner Herzogs Dokumentarfilme über die Arktis erinnert.
Auch das eiskalte Wasser und der fehlende Sauerstoff kann diesem deutschen Helden offenbar nichts anhaben, denn irgendwann bricht dieser deutsche Dickschädel durch die Eisplatte wieder an Luft und Licht – ob er überlebt, wissen wir bis zum Ende
nicht. Aber die Frau hat er da schon verloren. Denn die liebt – Blut ist dicker als Eiswasser blablabla – den Sohn mehr als den Macker, die alte Liebe mehr als die neue.
Filmisch ist das nicht gut gemacht: Es gibt mehr offene Erzählfäden als Tristan offene Schnürsenkel hat. Die Dialoge sind gestelzt und verdoppeln oder verdreifachen alles, was wir schon gesehen haben – eine wohlbekannte Schwäche deutscher Filme, die der Lakonie zu selten trauen. Als wolle Zabeil hier mit viel Geplapper ausgleichen, was seiner Erstlingsfilm-One-Man-Show Der Fluß war einst ein Mensch fehlte.
Drei Zinnen das ist deutsche Kino-Mythenlandschaft par excellence, in der die Natur nur ein Zeichen ist für Seelenzustände. In diesem Fall ist der Berg ein Metaphernhügel, die Natur zwar neoliberal gedämpft, aber immer noch Schicksalsort, harte Kulisse aus Eis und Fels, die zugleich aber zur Heimat aus Nebel-Licht und Sonnenschein romantisiert wird. Nichts ist hier heil, die allwissende Mutter Erde aber schon.
Eine derartige Klischeelawine der
Gegenmoderne hat im deutschen Kino eine lange Tradition. Schon Siegfried Kracauer schrieb über die Bergfilme der 30er Jahre, sie seien blind gegenüber substantielleren Ideen und tobten sich stattdessen in touristischen Heldentaten aus. Das lässt sich auch für den deutschen Neo-Bergfilm feststellen.
Von dem ganzen Jungs- und Muskelquatsch, dem Machokörperkram dieses Films einmal abgesehen, erzählt Drei Zinnen vor allem von der offenkundigen Unsicherheit des modernen deutschen Mannes, von Angst etwas falsch zu machen, vom Rückzug auf das Eigentliche, das in den Augen der Macher wohl der Körper ist.
Drei Zinnen hat auch etwas seltsam Maßloses, der Film nimmt sich viel zu ernst, doch gerade seine vollkommene Humorlosigkeit macht ihn unfreiwillig komisch.