3 Grad kälter

Deutschland 2005 · 104 min.
Regie: Florian Hoffmeister
Drehbuch: ,
Kamera: Busso von Müller
Darsteller: Bibiana Beglau, Sebastian Blomberg, Johann von Bülow, Meret Becker, Alexander Beyer u.a.
Treue und Verrat

Die Dagebliebenen

Einer geht weg, einfach so, und taucht nie wieder auf. Seine Freunde leben weiter, verändern sich, die Ex-Freundin heiratet irgend­wann einen anderen, ohne ihre eine große Liebe wirklich zu vergessen. Und eines Tages taucht der Verschwun­dene wieder auf, kommt einfach so durch die Tür, als wäre nichts gewesen. Das ist die Ausgangs­si­tua­tion von 3 Grad kälter, dem Regie-Debüt von dem bisher als Kame­ra­mann bekannten Florian Hoff­meister.

Solche Geschichten von Rück­keh­rern, die dann das Leben der anderen, das einfach weiter­ging, durch­ein­an­der­bringen, kennt man eigent­lich aus dem ameri­ka­ni­schen Kino, aber hier liegen die Dinge anders: Der Rück­kehrer ist, ohne dass er je denun­ziert wird, keines­wegs ein Held. Worum es eigent­lich geht, das sind die Dage­blie­benen.
Es sind ihrer viele, die Freunde und die Familie des einst spurlos verschwun­denen Jan, und darum ist 3 Grad kälter nicht zuletzt ein Ensem­ble­film und zwar ein gut austa­rierter, auch in den Neben­rollen stark besetzter. Meret Becker, Alexander Beyer, Johann von Bülow und nicht zuletzt die zu lange unter­schätzte Katharina Schüttler sind zu sehen. Das Zentrum des Films aber bildet Marie, die Verlas­sene. Bibiana Beglau spielt sie in einer konzen­trierten, ganz eigenen Mischung aus Beklem­mung und Sehnsucht, mit deren Facet­ten­reichtum Sebastian Blomberg als ihr männ­li­ches Pendant nicht ganz mithalten kann.

So geht es also in immer stärker mitein­ander verwo­benen Hand­lungs­strängen und in unter­schied­lichsten Konstel­la­tionen um Treue und Verrat, und darum, was das eigent­lich sein soll. Ist der sich treu, der sich nicht damit abfinden will, dass die Ideale seiner Jugend verblei­chen, der aber dafür die anderen, darunter den gelieb­testen Menschen glaubt, verraten zu müssen? Oder sollte man umgekehrt anderen treu bleiben, auch um den Preis des Selbst­ver­rats? Oder kann man sagen – Nietzsche hätte das so formu­lieren können –, dass man sich selbst nur treu sein kann, indem man sich selbst permanent verrät?
Der Regisseur hat im Pres­se­heft ein Zitat von Alek­sandar Tisma genannt, aus dessen »Treue und Verrat«. Das heißt: »Wir handeln, und dann bemerken wir, dass wir nichts geschaffen haben, dass sich die Wirk­lich­keit in ganz anderer Richtung bewegt, und wir müssen hinterher laufen, um sie zu vertei­digen, obwohl sie uns schon fremd ist und wir nicht daran Schuld sind.« Warum sollte man eigent­lich die Wirk­lich­keit vertei­digen? Viel­leicht ist es besser im Zwei­fels­fall darauf zu bestehen, dass, wenn die Dinge so sind »wie sie sind«, dies nur um so schlimmer ist für die Tatsachen. Auch das ist eine Frage des Films. Welchen Wert hat die Wirk­lich­keit? Erst recht, wenn Wirk­lich­keit entweder bedeutet, nicht offen und ehrlich mitein­ander zu sein, oder einander zu verletzen. Wenn sie bedeutet, dass alles banal werden muss, oder einsam oder beides.
Durch Jans Rückkehr steht Marie vor der gleichen Frage, vor der sie damals stand: Kann sie ihrem Leben den Rücken kehren? Alle Figuren – Freunde, Verwandte, Lebens­partner – stehen demnach vor einem ähnlichen Konflikt: Der Frage, was Selbst­be­trug eigent­lich ist. Etwa Jans Freund Steini, der seine Freundin Jenny, mit der er ein Kind hat, permanent betrügt. Er ist egois­tisch, klar, aber umgekehrt ist er auch strenger mit sich selbst, als andere: Er macht sich nicht vor, dass ihn eine gemein­same Zukunft mit Jenny glücklich machen würde. 3 Grad kälter begnügt sich nicht damit, in der mitunter verkrampften Glücks­suche selbst das Lächer­liche zu sehen, sich auf die Einsicht zurück­zu­ziehen, dass Glück eine Fiktion ist, oder ein Zufalls­pro­dukt. Oder dass die Suche danach ungesund ist, weil sie doch im Unglück endet.

3 Grad kälter ist ein Beispiel jener neuen Ernst­haf­tig­keit im deutschen Kino, seines Heran­tas­tens an exis­ten­ti­elle Themen. Denn es geht in diesem Film, das ist seine Stärke und sein Problem zugleich, ums ganze Leben, und darum, es nicht nur einfach zu leben, sondern ihm einen Sinn zu geben. Verquas­selt ist Hoff­meis­ters Film nie, aber manchmal liegt etwas zuviel Bedeutung in den Gesten, zuviel und dabei zu unklare Symbolik. Zum Beispiel Land­schaft und Archi­tektur: Warum das Nürn­berger Reichs­par­tei­tags­gelände ein ums andere Mal ins Bild gerückt wird, bleibt bis zum Ende unklar, es sei denn, der private Schuld und Sühne-Komplex wäre auch sozi­al­psy­cho­lo­gisch gemeint. Geglückt ist dafür, wie Leere und Kälte des Lebens der Dage­blie­benen ihre Entspre­chung haben in der Leere zwischen den öd anmu­tenden Gebäuden einer alt gewor­denen 70-er Jahre Moderne, und dem Grau des Herb­st­re­gen­wet­ters. Glück­li­cher­weise wird nie psycho­lo­gi­siert, bleiben Fragen offen. Diese Reise in die innere Vergan­gen­heit lebt vor allem von ihren Bildern, einer visuellen Kraft, die zu selten ist im deutschen Kino.