Dreaming Dogs

Ö/D 2024 · 77 min.
Regie: Elsa Kremser, Levin Peter
Drehbuch: ,
Kamera: Yunus Roy Imer
Schnitt: Elsa Kremser, Levin Peter
Dreaming Dogs
Ein radikales, poetisches und zutiefst bewegendes Kinoerlebnis...
(Foto: RFF Real Fiction)

Das Leben der russischen Hunde

Dreaming Dogs von Elsa Kremser und Levin Peter

Auch Hunde träumen. Wir alle wissen das. Aber wovon träumen sie? Viel­leicht träumen sie davon, Menschen zu sein, viel­leicht träumen sie auch Märchen­ge­schichten.

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Ein wunder­barer, traum­hafter Auftakt mit klassisch anmu­tender Filmmusik... Ein Hund namens Dingo gleitet durch die nächt­li­chen Straßen Moskaus und blickt sehn­süchtig aus dem Fenster eines Autos. Aber plötzlich befinden wir uns inmitten einer blühenden Wiese. Wir lernen nun eine eng verbun­dene Gemein­schaft kennen. Sie besteht aus streu­nenden Hunden und einer obdach­losen Frau und hält sich in den urbanen Brach­land­schaften am Rande von Moskau irgendwie über Wasser.

Dieser Ort ist ein post­in­dus­tri­elles Geflecht aus Fabrik­ruinen und Gebüsch. Wo einst Maschinen auf Hoch­touren liefen, hat sich das Tempo verlang­samt – und der Strom an Arbei­te­rinnen und Arbeitern, die den Hunden regel­mäßig Essens­reste zusteckten, ist auf ein Minimum geschrumpft: Nur noch eine alte Frau namens Nadja und sieben Hunde sind geblieben.

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In einer Kino­land­schaft, die zunehmend von lauten Bildern, algo­rith­misch-normierten Erzähl­mus­tern und kalku­lierten Dramen dominiert wird, erscheint dieser Film wie ein leises Wunder.

Der neue Film des öster­rei­chisch-deutschen Regieduos Elsa Kremser und Levin Peter ist kein Doku­men­tar­film im herkömm­li­chen Sinn. Vielmehr handelt es sich um eine poetische Medi­ta­tion über das Zeigbare und dessen Grenzen, über Erin­ne­rung, Einsam­keit, Zugehö­rig­keit, den Tod – und über die Verbin­dung zwischen Mensch und Tier inmitten einer prekär gewor­denen Zivi­li­sa­tion.

In seiner radikalen Form – kaum Dialoge, dafür Hunde im Zentrum des Gesche­hens – seiner poeti­schen Präzision und seiner Tiefe gehört Dreaming Dogs zwei­fellos zu den außer­ge­wöhn­lichsten Kino­er­fah­rungen dieses Jahres – ein Werk, das sich besser spüren, als erklären lässt.

Dieser Film ist ein Thriller, ein Aben­teu­er­film, dieser Film ist ein Film über Liebe und Freund­schaft. Ein unglaub­lich faszi­nie­rendes Stück Kino, reines Kino, dem es wirklich um die filmi­schen Bewe­gungen geht um die Bilder.

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Wie schon in ihrem Debüt Space Dogs (2019), ihrem Erfolgs­film über Moskauer Straßen­hunde und der ersten sowje­ti­schen Raum­fahrt­hündin Laika, loten Kremser und Peter in »Dreaming Dogs« die Ränder des Doku­men­ta­ri­schen aus und setzen ihr impli­zites Epos über das Leben der russi­schen Hunde im mosko­wi­ti­schen Metro­po­len­orbit fort. Auch hier ist das filmische Material hybrid: frag­men­ta­risch, traum­ver­loren, gleich­zeitig doku­men­ta­risch und fiktional.

Und doch bewegt sich Dreaming Dogs in ganz anderen Gefilden – zeitlich wie räumlich. Im Zentrum steht Nadja, eine echte »Babuschka«, die in einer abge­le­genen Hütte in einem Stadt­dschungel lebt, gemeinsam mit herren­losen Hunden. Sie spricht nur mit ihnen und mit sich selbst, hat kaum mensch­li­chen Kontakt, sie bewegt sich langsam und schwer­fällig. Aber ihren Hunden ist sie eine treue selbst­be­wusste Gefährtin.

Es geht dabei auch um ihre Erin­ne­rungen, aber nicht in einem psycho­lo­gi­schen oder narra­tiven Sinn. Die Frau erinnert nicht linear; vielmehr erscheint die Vergan­gen­heit wie ein Echo – nicht konkret, sondern atmo­sphärisch.

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Dieser Film erzählt keine Geschichte im klas­si­schen Sinn. Er entfaltet sich in Bildern, Klängen, Gesten. Vieles bleibt offen, frag­men­ta­risch, asso­ziativ.

Was Dreaming Dogs so außer­ge­wöhn­lich macht, ist die Konse­quenz, mit der der Film sich dem Kino als kontem­pla­tiver Praxis verschreibt. Kremser und Peter verzichten auf jede Form drama­ti­scher Zuspit­zung, jeder Szene liegt ein tiefes Vertrauen in den Moment und in die Bilder zugrunde.

Die Kamera, geführt von Yunus Roy Imer (hier ein Interview über die Kame­ra­ar­beit mit unge­zähmten Hunden) beob­achtet, tastet, umkreist. Sie bleibt konse­quent auf Augenhöhe mit den Hunden, verharrt in Totalen, verliert sich in Texturen: Atem in der Kälte, modriges Holz, schim­mernde Pfützen. Dabei entsteht eine neue Form der Wahr­neh­mung – eine poetische Kino-Empathie, die nicht urteilt, sondern teilnimmt. Die Tiere sind hier keine Metaphern oder Alle­go­rien. Sie sind Subjekte, Mitbe­wohner im Raum des Films.

Dies ist dabei kein esote­ri­scher oder rein beob­ach­tender Film: Kremser und Peter formen einen Raum, der erfahren wird, in dem der Zuschauer lebt. Den Regis­seuren gelingt ein radikales, poeti­sches und zutiefst bewe­gendes Kino­er­lebnis, das sich jeder einfachen Kate­go­ri­sie­rung entzieht. Aus dem man aber nicht wieder fortgehen will. Man begegnet etwas jenseits der Sprache. Es ist wie einem Traum zuzusehen.

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»Wie schon in Space Dogs enthalten sich die Filme­ma­che­rinnen jedweder Roman­ti­sie­rung; 'Dreaming Dogs' erzählt keine Geschichte über eine Gemein­schaft der Ausge­stoßenen vom Kaliber 'arm, aber glücklich'; die Gattungs­grenze, an der entlang Eigennutz, Neugier und Sympathie Spalier stehen, bleibt am Ende unüber­wunden. Dem Publikum wird schmerz­haft bewusst, dass der Sinn, den es den Bildern stiftet, bloße Hypothese bleibt.«
(Alexandra Seitz, epd Film)