Drive-Away Dolls

USA/GB 2023 · 84 min. · FSK: ab 16
Regie: Ethan Coen
Drehbuch: ,
Kamera: Ari Wegner
Darsteller: Margaret Qualley, Geraldine Viswanathan, Beanie Feldstein, Colman Domingo u.a.
Standardsituation des Road-Trips: Der Blick in den Kofferraum
(Foto: Universal)

Gib Gas, wir wollen Spaß

Ethan Coen legt mit Drive-Away Dolls eine queere Road-Trip-Komödie vor, die auch ohne Bruder unbedingten Coen-Touch hat

»Love is a sleigh ride to hell« prangt es auf dem Koffer­raum – Marian muss leider fest­stellen, dass sich das auch mit Seife nicht abwaschen lässt. Der Slogan auf dem Leihauto ist Fores­ha­dowing für den gesamten Film. Selber schuld, wer nach Talla­hassee will! Warum sie dahin wollen: Diese Frage hören Marian und Jamie auf ihrem Roadtrip von allen, denen sie begegnen. Ihre Gründe sind recht verschieden. Marian möchte ihre alte Tante besuchen, und dann viel­leicht Vögel beob­achten oder so. Jamie wurde von ihrer Freundin, der Poli­zistin Sukie, raus­ge­schmissen. Sie hat auf der Karte bereits alle namhaften Lesben-Bars auf der Route einge­zeichnet, die auch den einen oder anderen Umweg enthält. So begibt sich also das ungleiche Freun­din­nen­paar auf die Fahrt: Freigeist Jamie fährt mit der peniblen Marian einfach davon.

Was die beiden nicht wissen, ist, dass ihr Auto verwech­selt wurde und einen myste­riösen Metall­koffer an Bord hat, hinter dem recht inkom­pe­tente Gangster her sind. So beginnt die chao­ti­sche Road-trip Komödie Drive-Away Dolls von Ethan Coen. Auch wenn der andere Bruder diesmal nicht dabei ist: In vieler Hinsicht ist es auch ein Brother-Coen-Film, mit dem typischen Blick für die skurrilen Facetten des ameri­ka­ni­schen Lebens. Obwohl die Geschichte eigent­lich 1999 spielt, ließe sie sich auch sehr leicht ins zeit­genös­si­sche Amerika über­tragen, würde das Internet nicht fehlen. Der Film kommt nicht philo­so­phisch daher, eher lustig. Der Humor ist derbe und oft flach. Dabei braucht Drive-Away Dolls eine Weile, um seinen Ton zu finden. In der ersten Hälfte ist man trotz der fast schon klischee­haften Verwechs­lungs­ge­schichte oft desori­en­tiert zwischen über­zeich­neten Gangs­ter­fi­guren und Gay Bars. Margaret Qualley spielt die vom Land stammende Jamie mit einem unna­tür­li­chen breiten Südstaa­ten­ak­zent. Jedes Mal, wenn sie jemanden mit »Honey Darling« anspricht, ist die Immersion fast schon gefährdet. Die Handlung wird auch immer wieder durch farben­frohe psyche­de­li­sche Sequenzen unter­bro­chen, deren Sinn erst sehr spät im Film, aber glück­li­cher­weise doch noch aufge­deckt wird. Je länger die Freun­dinnen aber unterwegs sind, desto mehr pendelt der Ton sich ein. Sobald man sich darauf einlässt, nichts zu ernst zu nehmen, kann man mit dem Film wirklich Spaß haben.

Er ist nämlich wirklich lustig. Das ungleiche Freun­din­nen­paar ist viel­leicht keine neue Idee in Komödien, funk­tio­niert aber einfach. Margaret Qualleys Jamie ist zwar die auffäl­li­gere Figur, aber Geraldine Viswa­nathan schafft es, als die zuge­knöpfte Marian mit wenigen Worten und vielen Seiten­bli­cken mindes­tens genauso oft komö­di­an­tisch abzu­lie­fern. Die skurrile Konstel­la­tion an Neben­fi­guren, in der einige große Namen wie Matt Damon, Pedro Pascal und Miley Cyrus auftau­chen, unter­streicht das.

Marian und Jamie sind aber mehr als ein Komi­ke­rin­nenduo: In ihrer Dynamik liegt auch der emotio­nale Kern des Films, der ihn von den Genre­kli­schees, die er durchaus bedient, absetzt. Bei aller Absur­dität wird Drive-Away Dolls getragen von der tiefen Freund­schaft zwischen den beiden – oder auch Freund­schaft plus. Auf der Reise entsteht ein Band zwischen den beiden, ganz langsam. Anfangs hängt Marian noch in Hotel­lobbys rum, wenn Jamie und ihre Beglei­tungen das Zimmer belegen. Sie liest dann »Die Europäer« von Henry James und besteht darauf, dass das Buch ihr Spaß macht. Während Jamie das lesbische Playgirl reprä­sen­tiert, taucht der Film in Marians Figur kurz in queeres Coming-of-Age ein. In Traum­szenen sieht man sie als junges Mädchen, wie sie versucht, auf dem Trampolin möglichst hoch zu springen oder Löcher in den Bret­ter­zaun zu bohren, um einen Blick auf die nackt­ba­dende Nachbarin zu erhaschen.

Das ist aber nicht der Haupt­fokus des Films. Wie Darstel­lerin Beanie Feldstein in der »Kelly Clarkson Show« erklärt, geht es darum, dass queere Frauen im Film lustig, sexy und anzüglich sein können. Das wird nicht nur durch eine männliche Linse gezeigt: Neben Ethan Coen wurde das Drehbuch auch von Dreh­buch­au­torin Tricia Cooke verfasst. Obwohl diese mit Ethan Coen verhei­ratet ist, iden­ti­fi­ziert sie sich als queer und lesbisch. Für beide ist Drive-Away Dolls ein Debut, für Ethan Coen der erste Spielfilm als einzelner Coen-Bruder und für Filmedi­torin Tricia Cooke als Dreh­buch­au­torin. Bald soll es in dieser Konstel­la­tion weiter­gehen: Margaret Qualley wurde bereits neben Aubrey Plaza und Chris Evans im nächsten Projekt der beiden gecasted. Honey Don’t befindet sich aktuell in der Vorpro­duk­tion und soll der zweite Teil einer lesbi­schen B-Movie- Reihe aus dem Hause Coen werden.

Er wird sicher nicht den Geschmack aller alten Coen-Brüder-Fans treffen. Gerade auch deswegen ist Drive-Away Dolls aber ein span­nender Start­punkt für eine neue Reise. Man kann nicht sagen, dass der Markt gerade von queeren Road-Trip-Komödien über­flutet ist. Und für alle, die sich gewünscht hätten, dass Thelma und Louise (in etwa die Vorfahren von Marian und Jamie) ein Happy End und gewiss mehr Spaß hätten haben sollen, lohnt sich auf jeden Fall die Fahrt mit den »Henry James' Drive-Away Dykes«. Denn so heißen sie eigent­lich, verraten die Endcre­dits.