Donbass

D/Ukraine/F/NL/RO 2018 · 121 min. · FSK: ab 12
Regie: Sergei Loznitsa
Drehbuch:
Kamera: Oleg Mutu
Darsteller: Boris Kamorzin, Olesya Zhurakowskaja, Thorsten Merten, Irina Plesnjajewa, Wadim Dubowski u.a.
Mechanik des absurden Konflikts

Worte, Schall und Rauch

»Schreib die Wahrheit!«, sagt der russisch­spra­chige Soldat zum deutschen Jour­na­listen und nennt ihn Faschist mit Argu­menten aus einer anderen Gene­ra­tion. Überhaupt scheint der Begriff hier seiner Bedeutung enthoben. Der eigent­lich demo­kra­tisch gesinnte Schreiber reist durchs Donez­be­cken, die Indus­trie­re­gion um die russisch-ukrai­ni­sche Grenze – mit dem Auftrag, die jüngsten bewaff­neten Ausein­an­der­set­zungen zu doku­men­tieren. Mit der Hilfe eines Über­set­zers gelingt es ihm, eine Grenze zu passieren. Und sein nächster Gesprächs­partner wird erneut ein Soldat sein, der ihm als Komman­dant vorge­stellt wird. Auch dieser Mann spricht von Faschisten und meint damit diesmal die gesamte ukrai­ni­sche Bevöl­ke­rung im Westen des Landes, jenseits der beiden Regionen Donezk und Luhansk, in denen sich seit 2014 die Kämpfe abspielen. Er redet sich in Rage, denn er gehört zu einer Gruppe pro-russi­scher Kämpfer, die sich für eine Abspal­tung der beiden Regionen vom ukrai­ni­schen Staats­ge­biet einsetzt und bereit ist, dafür über Leichen zu gehen. Doch seine Wut ist ziellos: Nur kurz nach dem Beginn des Gesprächs schlagen Spreng­körper ein, Explo­sionen rollen auf die Kamera zu und in einem Augen­blick ist alles dahin. Die Menschen sind verschwunden in einer der unver­mit­telt explo­die­renden Rauch­schwaden, und vermut­lich wird der deutsche Jour­na­list so letztlich nie ein Wort schreiben über die gewalt­vollen Merk­wür­dig­keiten, die er erfahren hat.

Worte, Schall und Rauch: Sergei Loznitsa entwirft in seinem Film Donbass ein fahriges Gefühl für das Ungreif­bare, eine syste­ma­ti­sche Politik der Desin­for­ma­tion und Fehl­in­for­ma­tion, die in der ersten und letzten Sequenz durch ein Fern­seh­team gründlich breit­ge­treten wird. In der Eingangs­se­quenz schlagen, wie bei der Szene mit dem Jour­na­listen, Bomben ein, eröffnen aller­dings in diesem Fall erst die Show: Geschminkte und vorbe­rei­tete Laien­dar­stel­le­rinnen werden von einer TV-Aufnah­me­lei­terin zu einem Bus geführt, der Momente zuvor zerschossen wurde. Daneben liegen mehrere Leichen. Die Crew musste sich verste­cken während der Einschläge. Es handelt sich also, allem Anschein nach, um echte Einschläge, um echte Explo­sionen, um echte Leichen, die gefilmt und von Kommen­taren einer insze­nierten Zivil­be­völ­ke­rung mit anti-ukrai­ni­schen Ressen­ti­ments aufge­laden werden sollen. Oder sind die Einschläge doch Teil der Produk­tion? Funk­sprüche lassen darauf schließen.

Später tauchen die Aufnahmen tatsäch­lich im Fernsehen auf, im Hinter­grund einer Sequenz über geflohene Menschen in einem Zivil­bunker. Eine elegant geklei­dete Frau aus poli­ti­schen Kreisen sucht in dem Keller ihre Mutter und wirkt dabei in ihrer selbst­ge­rechten Wut ziemlich deplat­ziert. Wenn sie wie eine Furie ins Bild schreitet, von der hellen Außenwelt eine Treppe herab­stamp­fend, degra­diert sie die Kamera mit einem harschen Blick in die Linse und verbannt sie für einen Moment aus dem Geschehen. Ein Blick folgt ihr ins Dunkel des Kellers und der zermür­bende Welt­ent­wurf des Films erschließt sich für einen Moment jenseits der didak­ti­schen Kälte, die sonst Loznitsas Film dominiert, wird in seiner Absur­dität sinnlich greifbar. Die Sequenz kommen­tiert am genausten eine doku­men­ta­ri­sche Form, weil Loznitsa beim Erscheinen der Frau in der Verban­nung der Doku­men­tar­ka­mera den viel­leicht härtesten ästhe­ti­schen Bruch setzt.

Später wird es ums Lachen gehen, um zerstö­rendes Lachen. Lachen beim Schlagen eines Wehrlosen, in der Gruppe, aus einer erlit­tenen Gewalt heraus. Um das Lachen bei einer Hochzeit, in der Verle­gen­heit ebenso eine Rolle spielt wie Größen­wahn. Das über­zeich­nete Paar wirkt wie eine Karikatur, soll sich küssen, der Mob tobt und fordert Sensa­tionen und State­ments ein, stürmt die Bühne, und zwei Jungs, die gern Soldaten wären, zeigen dem Bräutigam mitten in der wilden Zeremonie ein Gewalt­video, das hier völlig fehl am Platz ist. Drei Kämpfer aus dem Publikum werden Momente später den Raum verlassen und sich aufmachen, um der Welt mit Waffen weiter ihren Stempel aufzu­drü­cken. Das Lachen beider Szenen schallt nach bis ans Ende des Films, selbst beim erneuten Sehen, weil es Loznitsa gelingt, in der Über­schrei­tung von Sozi­al­rea­lismus hin zum Surrealen ähnlich wie im Epilog von Die Sanfte ein sonder­bares Gefühl zu erzeugen. Dieses verbindet sich bei Donbass mit dem Halb­wissen der unbe­tei­ligten Welt zum Ukraine-Konflikt: Es schält sich das Gefühl eines Kontroll­ver­lusts heraus, der aus einem verlo­renen Sinn für Situa­tionen entsteht. Weil Außen­ste­hende die gesell­schafts­po­li­ti­schen Koor­di­naten und Befind­lich­keiten, die Tempe­ra­mente und Argumente dieses Konflikts schwer­lich nach­voll­ziehen können. Medial fehlt in Europa mitt­ler­weile eine gründ­liche Aufar­bei­tung, das Thema ist in den Hinter­grund gerückt.

Die einzelnen Sequenzen seines Films zeigen in ihrer Doppel­bö­dig­keit und poli­ti­schen Aufge­la­den­heit immer wieder Stell­schrauben des medialen und poli­ti­schen Insze­nie­rens auf und erfor­schen glei­cher­maßen eine Logik von Wahr­heits­emp­finden unter unwirk­li­chen Bedin­gungen. Stel­len­weise funk­tio­niert das sehr gut. Loznitsa übersetzt eine gesprengte und versprengte Gesell­schaft in ein Monta­ge­prinzip des Bruchs, der Desori­en­tie­rung und der verlo­renen Zugehö­rig­keiten. Würden die Soldaten nicht russisch sprechen, wäre ihre Zugehö­rig­keit nicht mehr zu greifen.

Die perma­nente Gegenwart von Gewalt innerhalb der Zivil­be­völ­ke­rung, die die gegen­wär­tige Situation in der Ost-Ukraine prägt, mani­fes­tiert sich dabei in den unver­mit­telten und unkom­men­tierten Explo­sionen, in frag­men­ta­ri­schen Eindrü­cken militä­ri­scher Willkür. Spät arbeitet sich Loznitsa dann doch noch weiter zum Körper vor, zu Stock­schlägen, Faust­hieben und Schüssen aus nächster Nähe. Und schließ­lich zurück zur Bruta­lität von Allianzen, in denen sich das Militä­ri­sche mit einem Medi­en­ap­parat verbindet und die Ursprünge von Tötungen jeder poli­ti­schen Ursache enthoben werden. Für die Kamera insze­nierte Morde werden als selbst­zweck­haftes Material entblößt, während die Mani­pu­la­toren – die Schau­spie­lenden, das Fernsehen, die Kamera – zu Opfern in den Händen einer unbe­kannten Macht werden.

In der Zerfa­se­rung der Erzählung ist schon angelegt: Letztlich geht es dann nicht einmal mehr um Indi­vi­duen. Am Ende genügen beschrif­tete Wägen, mitunter auch schwarze Jeeps, die immer austausch­barer werden. Das Gegenüber der sich entfer­nenden Kamera ist dann nicht mehr eine spezi­fi­sche Realität, sondern die Gewalt selbst, die sich nicht mehr durch Biogra­fien, Orte, Zeit­lich­keiten oder gar Begriffe fassen lässt, sondern nur noch durch ihre Wieder­kehr, ihre zermür­benden Rituale: Donbass wird zu einem Reso­nanz­raum des sich wieder­ho­lenden Sezierens und Abstra­hie­rens, erliegt damit aber der Gefahr des Austausch­baren, Elitären und Konzep­tio­nellen.