Diebe der Nacht

Les voleurs

Frankreich 1996 · 117 min. · FSK: ab 12
Regie: André Téchniné
Drehbuch: , ,
Kamera: Jeanne Lapoirie
Darsteller: Catherine Deneuve, Daniel Auteuil, Laurence Cote, Julien Rivière u.a.

André Téchinés neuer Film ist kein Krimi­nal­film. Zwar ist eine der drei Haupt­fi­guren ein Polizist, und am Anfang des Films steht der vorläufig unge­klärte Tod seines Bruders, eines Gangsters, aber all' dies ist nur Ober­fläche, hinter der ganz andere, grund­sätz­li­chere Vorgänge erzählt werden.
Wie immer bei Téchiné geht es um die Menschen selbst und deren Verhält­nisse. Doch Diebe der Nacht ist ein Film anderen Typs, als Meine liebste Jahres­zeit und Wilde Herzen, mit denen der Regisseur auch bei uns bekannt wurde. Denn die Struktur dieses Films ist viel radikaler, viel rück­sichts­loser gegenüber dem Zuschauer, der lange nicht weiß, was ihm da eigent­lich erzählt wird. Nichts funk­tio­niert so gradlinig, so harmo­nisch und durch­schaubar, wie in den früheren Werken die sich noch am Aufbau der Dramen des 18.Jahr­hun­derts orien­tierten.
Die Perspek­tive, aus der die Geschichte erzählt wird, wechselt ständig. Téchiné umkreist seine Gestalten. Zeit­sprünge vor und zurück im Ablauf der Geschichte zerbre­chen die Chro­no­logie, und zerteilen den Ablauf des Gesche­hens in selbst­stän­dige Kapitel. Trotzdem bleibt es immer spannend und nach­voll­ziehbar. Diebe der Nacht ist ein sehr lite­ra­ri­scher Film. Wie immer bei Téchiné wird viel gespro­chen, und im Gegensatz zu Wilde Herzen verzichten Téchinés Bilder diesmal auf allen Glanz und all Poesie.

Alex ist ein ständig mißge­launter Bulle. Eines Tages trifft er auf Juliette, eine kleine Laden­diebin. Er läßt sie laufen, und als er ihr wieder­be­gegnet, beginnen beide ein Verhältnis. Dies ist zugleich intensiv und gefühllos, denn beide lassen ihre Gefühle nicht zu, und es dauert lange, bis sie die Haltung gegen­sei­tiger Verach­tung über­schreiten, die ihnen Raum gibt, um ihre Lust auszu­leben. Juliette, die immerzu Wider­spens­tige, wird auch von Marie geliebt. Marie, eine alternde Philo­so­phie­pro­fes­sorin, sucht in Juliette ihrer eigenen Jugend und einer verlo­renen oder nie gehabten Wildheit wieder zu begegnen.
Alle drei Haupt­fi­guren haben selbst­zer­stö­re­ri­sche Züge. Bei Juliette, die sich selbst verletzt und immer wieder in gefähr­liche Situa­tionen bringt, ist das offen­sicht­lich. Alex ist fort­wäh­rend schlecht gelaunt, und im Grunde unfähig, mit Anderen in normaler Weise zu kommu­ni­zieren. Er sagt:»Ich mag die Nähe eines Menschen nicht spüren.« und wäscht sich jedesmal vor und nach dem Sex. Aber Alex ist auch derjenige, der sich am meisten verändert, als sich der scheinbar Leiden­schafts­lose plötzlich in einem leiden­schaft­li­chem Dilemma wieder­findet. Schließ­lich Marie. Sie, die am gefes­tigtsten wirkt, und deren Gefühle doch immer glaubhaft sind, offenbart ihre Verletzt­lich­keiten erst ganz zum Schluß.

Am Ende ist wenigs­tens der Krimi­nal­fall gelöst. Ansonsten bleibt vieles offen. Aber gewiß ist: das Leben wird weiter­gehen, ohne das auch nur eine Wunde geheilt wäre. Diese Personen sind zerrissen, einsam, und verloren. Denn das Leben ist sinnlos, der Einzelne wird immer scheitern, ist allein. André Téchiné ist ein schöner, und melan­cho­li­scher Film gelungen. Glück oder Trost, die man in seinen früheren Werken noch finden konnte, sucht man hier vergebens. Aber wer hat gesagt, daß man Glück und Trost im Kino finden muß ?