Großbritannien/F 2017 · 108 min. · FSK: ab 12 Regie: Armando Iannucci Drehbuch: Armando Iannucci, David Schneider, Ian Martin Kamera: Zac Nicholson Darsteller: Steve Buscemi, Simon Russell Beale, Jeffrey Tambor, Michael Palin, Paul Whitehouse u.a. |
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Totenwächter der Satire |
Politiker sind entweder damit beschäftigt, ihre Macht zu erhalten, oder inkompetent. Oder korrupt. Manchmal treffen zwei Merkmale zu. Manchmal alle drei. Auf diesen gemeinsamen Nenner kann man die großartigen Satiren des Regisseurs Armando Iannucci bringen.
Seine britische Sitcom »The Thick of It« war so erfolgreich, dass er das Angebot bekam, ein US-amerikanisches Pendant zu drehen. Das Ergebnis, »Veep – Die Vizepräsidentin«, entlarvte humorvoll den Alltag im Weißen
Haus.
Tragödien komische Seiten abzugewinnen, ist nicht nur unterhaltsam, sondern auch eine große Kunst. Kein Wunder, dass Iannucci Wunschkandidat der Produzenten war, als sie eine Satire aus der Sowjetunion auf die Leinwand bringen wollten: Fabien Nurys und Thierry Robins Graphic Novels über den Tod Stalins. Der Machtkampf um seine Nachfolge brach schon aus, als der Diktator noch im Sterben lag – darum geht es auch in The Death of Stalin.
In einer Demokratie sind die Mittel für den Kampf um die Macht reglementiert. In einer Diktatur gibt es weder Regeln noch Tabus. Willkürliche Verhaftungen, Verbannungen, Haftstrafen, Einweisungen in die Psychiatrie, sogar Exekutionen prägten den Alltag der Sowjetunion wie der Auf- und Untergang der Sonne.
Je schlimmer die Verfehlungen der Mächtigen, desto besser das Material für die Satiriker. Nach dieser Logik müsste The Death of Stalin eine geniale Satire sein.
Erst recht angesichts der Schauspielstars, die aufgeboten werden, bzw. die gegeneinander antreten: Steve Buscemi mimt den Apparitschik Nikita Chrustschow. Simon Russel Beale verbreitet als Stalins Geheimdienstchef Lawrenti Beria Angst und Schrecken. Jeffrey Tambor gibt den ehrgeizigen Bürokraten Georgi Malenkow. Michael Palin lässt Wjatscheslaw Molotow von den Toten auferstehen. Jason Isaacs genügt ein einziger furioser Auftritt, um alle vor dem cholerischen Weltkriegsgeneral Georgi Schukow zittern zu lassen.
Dank der grandiosen Darsteller sind auch die ersten Szenen grandios. Was für ein extremes Wechselbad der Gefühle! Schauer angesichts grotesker Verwicklungen, die allesamt historisch verbürgte Wahrheiten sind. Entsetzen über die Grausamkeit der Gegner. Mitleid mit ihren Opfern. Trotz der skrupellosen Machtkämpfe erwischt man sich dabei, einem Fiesling die Daumen zu drücken. Obwohl jeder lügt und betrügt, dass sich die Balken biegen. Einige gehen über Leichen – mit sadistischer Schadenfreude.
Nach diesem fulminanten Eröffnungsfeuerwerk jedoch mischt sich in die Begeisterung ein kleiner Kater. So wie man nach einer durchzechten Nacht denkt, ohne das letzte Bier wäre es schöner gewesen. Vielleicht sogar ohne die letzten zwei oder drei Biere?
Sehr schnell hat man kapiert: Jeder Charakter ist moralisch vollkommen verrottet, als wäre er ein Exponat der Sonderausstellung »Extreme Scheusale«.
Bei einer Modenschau stolzieren schöne Models in teuren Klamotten auf und ab. Bei The Death of Stalin übertrumpfen Politiker sich gegenseitig mit Intrigen und Grausamkeiten. Nach anfänglicher Faszination verfolgt man ihre Schicksale immer gleichgültiger. So wie ein verdrossenes Wahlvolk Politik über sich ergehen lässt.
Zu den Ursachen für die Schwäche gehört, dass The Death of Stalin ein Ensemble-Film ist. Wenn statt zwei eine Handvoll Charaktere gleichberechtigt agieren, bleibt kaum Raum für die Auslotung ihrer Motive, Ambivalenz oder psychologische Entwicklungen.
Als der Regisseur Armando Iannucci und seine Drehbuchautoren, David Schneider und Ian Martin, überlegten, wie die Figuren sprechen sollen, entschieden sie sich gegen einen künstlichen russischen Akzent. Das war eine gute Entscheidung. Doch die Helden der Sowjetunion sprechen so, als würden sie in einer coolen US-Krimiserie spielen. Kommunisten in Moskau fluchen wie Kriminelle in New York, das ist schade.
Eine beklemmende Relevanz bekommt die Satire über Stalins Tod 1953 durch die aktuellen, politischen Ereignisse. In den USA, Italien, der Türkei und in China. Natürlich auch in Russland, wo Stalin gerade wieder zu einem Idol umgedeutet wird. Logisch, dass The Death of Stalin dort nicht vorgeführt werden darf.
Ausgerechnet die Renaissance der Autokraten schmälert jedoch den Genuss an politischen Satiren. Ihre Übertreibungen und Zuspitzungen wirken im Vergleich zu Berlusconis, Trumps und Erdogans Skandalen wie harmlose Gutenachtgeschichten. Egal, was Satiriker sich ausdenken, die Realität erschafft schlimmere Charaktere, die größeres Unheil anrichten. Oder ist es die Schuld der Wähler, die Feinden der Demokratie ihre Stimme geben? Angesichts dieser Entwicklungen wird die schärfste Satire zu belanglosem Hintergrundrauschen. An ihrer Stelle wünscht man sich mehr Filme über Revolutionäre, Idealisten oder Poeten.
Kleiner Trost: Moralischer Bankrott ist keine Erfindung der Neuzeit. Schon der Dichter Juvenal schrieb vor über 2000 Jahren über die römische Politik: »Difficile est satiram non scribere.« – Es ist schwierig, darüber keine Satire zu schreiben.