USA 1995 · 122 min. · FSK: ab 12 Regie: Tim Robbins Drehbuch: Helen Prejean, Tim Robbins Kamera: Roger Deakins Darsteller: Susan Sarandon, Sean Penn, Robert Prosky, Raymond J. Barry u.a. |
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Susan Sarandon war es, die das auf authentischen Begebenheiten basierende Buch, welches als Vorlage zum Film diente, ihrem Mann, den Regisseur (und Schauspieler) Tim Robbins in die Hand drückte. Sie hatte die Autorin Schwester Helen Prejean bei den Dreharbeiten zu Der Klient kennengelernt und war von deren ungewöhnlicher Persönlichkeit fasziniert. So wurde aus dem Buch ein Film und Mrs. Sarandon schlüpfte in die Rolle der Schwester, um ihre Geschichte zu erzählen:
Die Geschichte einer unkonventionellen Nonne, für die ein Brief von dem zu Tode verurteilten Häftling Matthew Poncelet, der erste Kontakt mit einem Schwerverbrecher ist. Sie antwortet und besucht ihn schließlich im Staatsgefängnis von New Orleans, wo sie die Bedingungen des Strafvollzugs kennenlernt. Schockiert stellt sie fest, mit welcher Leichtigkeit über das Los von Menschen entschieden wird und versucht, Poncelets Schicksal abzuwenden. Dabei wird sie nicht nur mit der Teilnahmslosigkeit von Behörden und Politik konfrontiert, sondern lernt auch die andere Seite des Rechts kennen: die Eltern von Poncelets Opfern, die auf dessen Hinrichtung drängen. Zwischen den verschiedenen Positionen stehend und im ständigen Selbstzweifel versucht Schwester Prejean zu geben, was ihr Glaube ihr sagt: Menschlichkeit.
Der Film begeht nicht den Weg eines Gerichtsdramas, sondern spielt sich zumeist in den Dialogen der Hauptpersonen ab. So müssen deren Darsteller, Susan Sarandon und Sean Penn, auch große Teile des Films alleine tragen. Eine Aufgabe, die sie eindrucksvoll bewältigen. Tim Robbins gelingt es den Verurteilten menschlich zu zeichnen ohne die Brutalität seiner Taten in den Hintergrund zu drängen. Er demaskiert das Bild des Monsters, das die Gesellschaft für die Legitimation der Todesstrafe braucht, obwohl er sein Publikum den Tathergang des Verbrechens miterleben läßt. Ebenso beeindruckend beschreibt er die anklagenden Eltern, welche, eigentlich Opfer des Verbrechers, durch das Mittel der Todesstrafe selbst zu Tätern werden. Auch ihre Beweggründe, so widersprüchlich sie sind, werden nachvollziehbar.
So sieht der Zuschauer alle Seiten einer Tragödie, ohne dazu gedrängt zu sein Position zu ergreifen. Ein Kunstgriff, der speziell dem amerikanischen Kino nur selten gelingt. Dead Man Walking ist für den Oscar in 4 Kategorien nominiert: Hauptdarstellerin (Susan Sarandon), Hauptdarsteller (Sean Penn), Regie (Tim Robbins) und Musik (Bruce Springsteen).
Dead Man Walking gehört zu einer Kategorie Film, der man sich kaum entziehen kann. Die Geschichte einer Nonne, die einem Todeskandidaten eines Gefängnisses im Süden der USA während seiner letzten Tage seelischen Beistand gewährt. Sie will immer nur das Gute, dabei gerät sie aber zwischen die Fronten der Befürworter und Gegner der Todesstrafe. Der gute Mensch von New Orleans. Doch während Schwester Helen – gespielt und getragen von Susan Sarandon – bis über den Tod des Mörders unbefleckt strahlt, gerät der Film unter die Räder.
Tim Robbins inszeniert eigentlich den Streit von Altem und Neuem Testament in der amerikansichen Gesellschaft von heute. Hier Auge um Auge – Zahn um Zahn, dort Vergebung und Nächstenliebe. Schwester Helens seelsorgerischer Weg führt sie an Abgründe eines Rechts- und Strafvollzugssystems, das von Moral und Gerechtigkeit spricht und ihr doch nur Haß und Unmenschlichkeit vor Augen führt. Auch die Kirche fällt ihr noch in den Rücken, anstatt ihn ihr zu stärken. Ihre Position gar nicht erst rechtfertigen zu wollen, gehört zu den Stärken der Figur Helen, wie des Filmes selbst: Sprachlosigkeit kann überzeugender sein als Argumente.
Gegenüber Poncelet allerdings fehlen ihr die Worte keineswegs. Als die verschlossene, vom Haß zerfressene und von Angst hohle Figur des Mörders schließlich Reue zeigt, fließen die Tränen auf und vor der Leinwand. Schwester Helen knüpft Kontakt zu dem zu Hoffnungslosigkeit Verurteilten, indem sie Gemeinsames sucht. Beide, so bemerkt sie zu Anfang, lebten mit den Armen. Als sie ihm später erklärt, auch Jesus sei ein Rebell gewesen und deswegen gefährlich für die Regierung, muß Poncelet dies auf seine Weise mißverstehen.
Obendrein, wenn man an die Hinrichtung denkt, in der Poncelet auf ein Bett geschnallt wird, das seitlich noch Armstützen hat. Solchermaßen gekreuzigt richtet er noch ein letztes Wort an die Angehörigen der Mordopfer hinter der schützenden und trennenden Glasscheibe. Er bittet um Vergebung. Unverzeihlich. Im Zustand vollkommener Rührseligkeit übersieht man die gefährliche Botschaft hinter der frohen: mußte Poncelet sterben, um bereuen zu können? Oder aber: durch was wird seine Reue besser konserviert, als durch die unmittelbar darauffolgende Hinrichtung, der man zusammen mit den Angehörigen der Betroffenen, mit dem ach so idealtypisch herzensguten Anwalt und Schwester Helen beiwohnt, die ihm im Bewußtsein seines unmittelbaren Todes noch »I love you« zuflüstern darf, ohne sich selbst oder ihrem Gelöbnis untreu zu werden?
Die Hinrichtung selbst läuft in zwei Schritten. Zuerst wird dem Kinozuschauer die Abartigkeit der Hinrichtung sowie die der haßerfüllten Zeugen gezeigt. Um ihn aber dann an die Seite zu den guten Betrachtern zu stellen. Dann: langsames Close-up direkt vor die sich trübenden Augen des Sterbenden. Dort, wo es keiner merkt, ist Kino am obszönsten.
Die im Film strapazierte Parallele zu Jesus gewinnt hier neuen Sinn: Poncelet stirbt für alle. Für seine Tat, für den inneren Frieden der Angehörigen der Opfer, aber auch für eine wunderbar platonische Liebe, für das System und für das politsch korrekte Publikum. Gegen guten Willen scheint der Kopf machtlos.