The Deep Blue Sea

Großbritannien/USA 2011 · 102 min. · FSK: ab 0
Regie: Terence Davies
Drehbuch:
Kamera: Florian Hoffmeister
Darsteller: Rachel Weisz, Tom Hiddleston, Simon Russell Beale, Ann Mitchell, Jolyon Coy u.a.
Konsequent bis zum Ende

Kalte Farbe der Sehnsucht

Eine Frau aus der Ober­klasse; sie ist schön und leiden­schaft­lich, zu leiden­schaft­lich für ihren Gatten, einen Juristen. Und der ist zu nach­sichtig für diese Frau. Sie betrügt ihn mit einem Welt­kriegs­flieger. Warum? Weil der Gatte deutlich älter ist, und ein bisschen lang­weilig? Wo sie doch Freddy, der Kampf­pilot, nicht mal liebt? Sie weiß das auch, und muss daran zugrun­de­gehen – aber weil sie alles selbst gewählt hat, ist es auch gut so, wie es ist.

The Deep Blue Sea erzählt von einer Amour Fou; Rachel Weisz spielt jene Hester in einer Grat­wan­de­rung zwischen Stärke und Zerbrech­lich­keit. Und sie spielt sie als eine ferne Verwandte jener Lily Bart in »House of Mirth«, Terence Davies letztem, schon zwölf Jahre zurück­lie­gendem Spielfilm, der um die vorletzte Jahr­hun­dert­wende ange­sie­delt war. Lily wurde als weib­li­cher »Michael Kohlhaas in New York« (Ilse Aichinger) beschrieben. Hester ist ihr verwandt in der Unbeug­sam­keit und Würde mit der sie auf ihrem Stück vom Leben besteht, auf ihrer Freiheit.

Die spezielle Form der Leiden­schaft, um die es hier geht, hat womöglich eine Menge mit der Epoche zu tun, in der Davies' neuer Film ange­sie­delt ist. Denn alles spielt Anfang der 50er Jahre, in der briti­schen Nach­kriegs­zeit, in der sich der Brite Terence Davies besonders gut auskennt. Die Menschen haben den Krieg überlebt, aber sie tragen ihn noch in sich, die Todes­angst der Front und der Bomben­keller, so wie die Städte noch die Narben des deutschen »Blitz'«; sie tragen die Gegen­warts- und Lebens­lust, die vor allem eine Über­le­bens­lust ist, die unbe­wusste, einge­fleischte Begierde nach dem Jetzt und Hier, die aus dem Wissen entsteht, dass es jederzeit sofort vorbei sein kann. Diese Menschen der Nach­kriegs­zeit, in der Davies in Liverpool als Arbei­ter­kind aufwuchs, erscheinen in seinen Filmen zwar als Glück­liche, Befreite, Lebens­hung­rige, aber doch zugleich auch alle als Entwur­zelte, Trau­ma­ti­sierte, als Menschen, die sich von einer uner­träg­li­chen Erfahrung, die sie hilflos zurück­ließ, noch immer erholen müssen.

Blau, das ist die Farbe der Melan­cholie, der Sehnsucht, der Treue; aber es ist auch die kälteste unter allen Farben. The Deep Blue Sea basiert auf einer Thea­ter­vor­lage von Terence Rattigan aus dem Jahr 1952. Klar und streng und präzis kompo­niert sind die vom deutschen Kame­ra­mann Florian Hoff­meister gestal­teten Bilder, in denen Regisseur Terence Davies seine Geschichte erzählt. Sehr sorg­fältig hat er, trotz der Detail­treue in Szenerie und Figuren, der Atmo­s­phäre, alle nost­al­gi­schen Anklänge vermieden. Man mag der Insze­nie­rung ihre Ruhe und mitunter Manie­rismus vorwerfen, muss Davies aber gleich­zeitig zuge­stehen, dass er einer der ganz wenigen gegen­wär­tigen Filme­ma­cher ist, die eine eigene, unver­wech­sel­bare Vision vom Kino und von ihrer Arbeit erkennen lassen. Der Markt kümmert ihn so wenig, wie die Erwar­tungen, auf welche Weise man solche Geschichten zu erzählen habe.

Davies meint es ernst, in jedem Film, nicht weniger als Hester in ihrer Liebe, und darum steht er ganz auf der Seite seiner Haupt­figur, folgt ihr konse­quent bis zum Ende.