Italien/F 2022 · 86 min. · FSK: ab 18 Regie: Dario Argento Drehbuch: Dario Argento, Franco Ferrini Kamera: Matteo Cocco Darsteller: Ilenia Pastorelli, Asia Argento, Andrea Gherpelli, Maria Rosaria Russo, Mario Pirrello u.a. |
||
Ein selbstkritischer Giallo? | ||
(Foto: Alamode) |
Dark Glasses findet ein wunderbar doppelbödiges Bild für unsere Lust am Schrecken: eine Sonnenfinsternis. Zu Beginn von Dario Argentos Film stehen Menschen im Park und haben bereits voller Erwartung ihren Sichtschutz gezückt, um das unbehagliche Naturschauspiel zu verfolgen, bis sich dann endlich die Welt verdunkelt, die Tiere verrücktspielen, ein Vater sein ängstliches Kind beruhigen muss. Die Finsternis legt sich über Rom und kündigt bevorstehendes Grauen an, dem selbstverständlich auch das Publikum eines neuen Dario Argentos entgegenfiebert.
Diana, die Protagonistin des Films, eine Prostituierte, tappst zu diesem Zeitpunkt noch unbeholfen durch die staunende Menge und scheint noch gar nicht zu ahnen, was sich jeden Moment abspielen wird. Na klar, wie es sich für ein klassisches Horrorfilmopfer gehört! Es wäre ja unerhört, wenn sie ihrem Umfeld voraus wäre, denn es ist doch nur eine Frage der Zeit, bis sie von dem Unheil überwältigt wird, das irgendwo in der Stadt bereits mordend sein Unwesen treibt. Nun blickt sie mit den anderen Menschen in den sich verdunkelnden Himmelskörper, der paradoxerweise mit Licht und Schatten zugleich blendet. Wenig später wird Diana ihre Sehkraft verlieren, als sie auf der Flucht vor einem Frauenmörder einen Autounfall baut.
Dario Argento hat die Mechanismen seines Mediums nie verleugnet, in dem die Grenzen zwischen Zeugenschaft, Voyeurismus und Sadismus nicht selten zerfließen. Der italienische Kultregisseur hat dafür immer wieder eindrucksvolle Szenarien erdacht, die die eigenen Blicke thematisieren und vervielfachen, sei es das verletzende Aufsperren der Augen in seinem Meisterwerk Terror in der Oper oder auch das Ablösen der Seheindrücke einer Toten in Vier Fliegen auf grauem Samt. In Dark Glasses ist es nun die Blindheit, die das Grauen bringt. Sie dient so offensichtlich dazu, die Protagonistin zum wehrlosen Opfer zu stilisieren, dass man um die Frage kaum umhinkommt, wie ernst Argentos neue Arbeit in ihrer Lust am Quälen überhaupt gemeint ist.
Der inzwischen über 80-jährige Regisseur besinnt sich hier zurück auf seine filmischen Höhepunkte der 70er- und 80er-Jahre, auf Werke wie Suspiria, Rosso – Farbe des Todes oder Tenebrae, nachdem sein trashiges Spätwerk zuletzt überwiegend Häme erfahren hatte. Und sie sind ja alle da in Dark Glasses, die klassischen Zutaten und Versatzstücke, die jedem sofort ins Auge springen, der auch nur im entferntesten von den Stereotypen des Giallo-Genres gehört hat. Da findet man die Paranoia, die ermordeten Schönheiten, die fetischartigen Mordwerkzeuge – hier sind es etwa die ikonischen schwarzen Handschuhe, Seile, Messer – und natürlich die drastischen, lustvoll ausgeschlachteten Gewaltdarstellungen. Gleich in den ersten Minuten wird zu treibenden Elektroklängen einer Prostituierten die Kehle mit einer Cellosaite durchgesägt, dass das knallrote Blut nur so spritzt.
Doch man möchte ein wenig die Stirn runzeln, wenn man hier und da vernimmt, wie einigen Argento-Fans dieses berechnend aufgesagte Einmaleins offenbar noch einmal Freude zu bereiten scheint. Allzu nostalgisch geht es zu in dieser Hommage an ein Genre, das in gewissen Punkten nicht mehr so richtig in die Gegenwart passen will. Es ist ja nicht einmal so, als wären all die vertrauten Zutaten sonderlich aufregend arrangiert. Von dem audiovisuellen Einfallsreichtum älterer Argento-Filme ist Dark Glasses nun wahrlich weit entfernt. Zugleich wäre es unzureichend, dieses Alterswerk damit schlicht als bemühtes B-Filmchen zu den Akten zu legen. Denn da ist ja ein vorsichtiges Vorantasten zu vernehmen, ein Austesten und Probieren, ein misstrauisches Fragenstellen an die eigene Arbeit und, wer weiß, vielleicht schlummert wirklich im Verborgenen so etwas wie Zärtlichkeit, die sich Argento selbst attestiert. Einer gewissen Sensibilität im Umgang mit Gewalt und Rollenklischees, die auch das gegenwärtige Horrorkino ereilt hat, will sich Dark Glasses nicht verwehren, wenngleich er mühsam damit hadert.
Irgendwann stellt Argento seiner Protagonistin einen Jungen namens Chin an die Seite – ausgerechnet das hinterbliebene Kind, dessen Eltern bei dem Autounfall ums Leben kamen, den Diana mitverursacht hat. Mit Chin erhält die Erblindete einen Weggefährten auf der Flucht vor dem Serienmörder. Beide besitzen überhaupt keine Chemie miteinander auf der Leinwand. Weder zeugen die Darstellungen von Ilenia Pastorelli und Andrea Zhang, die das Duo spielen, von einer großen Varianz in ihren zur Schau gestellten Empfindungen noch verleiht ihnen das Drehbuch irgendein Profil, das über grobe Funktionalitäten hinausreichen würde. Sie werden allein von dem abstrus gebauten Handlungsgerüst zusammengehalten.
Doch vielleicht ist das für Dark Glasses der adäquate Ansatz, muss man dieses hölzern aufgeführte Miteinander als bewussten antiillusionistischen Kniff begreifen. Er fügt sich ja bestens ein in die Spannungsarmut, die schwülstige Dramatik, das überdeutlich vorgeführte Horror- und Thriller-Inventar. Es ist schließlich nicht so, als würde Argento noch einmal großes Rätselraten betreiben, wie sich dieses fadenscheinige Katz-und-Maus-Spiel entfalten wird und welche Reize es für sein Publikum mit sich bringt, dem Gemetzel beizuwohnen. Er legt seine Mechanismen von Anfang an offen, die sinnbildliche Konfrontation mit der Sonnenfinsternis wurde bereits beschrieben. Selbst die Auflösung am Schluss ist schockierend belanglos geraten. Da lauert kein Überraschungseffekt mehr, lediglich ein Abspulen von Routine, die mit dem Finger auf ihr versuchtes Selbstupdate zeigt.
Argento nutzt seine Mörderhatz, um von Misogynie zu erzählen, allein schon vorgeführt an den Freiern, die in diesem Film sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen, um das Gegenüber herabzuwürdigen oder das eigene Ego aufzupolieren. Das Morden erscheint in diesem Zusammenhang als wiederkehrende Extremzäsur. Mit der Prostituierten Diana begleitet Argento eine Frauenfigur, die versucht, in diesem Kreislauf bestehen zu können, auch wenn ihr Schritt für Schritt die Autonomie geraubt wird. Im finalen Akt, der einer Tour durch die Geisterbahn gleicht, wird sie unter anderem im Tümpel von grausigem Getier umschlungen: eine übergriffige Männerwelt als Schlangengrube visualisiert, warum nicht? Womöglich kann man Dark Glasses in der Tat als Dario Argentos aktualisierten Versuch werten, das Ausbeuterische seines Genres vorzuführen und aufzubrechen.
Wie konsequent ihm das gelingt, ist die andere Frage, wenn es dann weiterhin die überästhetisierten Nachtbilder des weiblichen, erblindeten Opfers gibt, das in Todesangst, aber immerhin unter wunderschön funkelndem Sternenhimmel durchs schauerromantische Naturtableau irrt. Empathie für die Betroffene und ihre Erfahrungen ist schön und gut. Jetzt muss Argento nur noch mehr einfallen, außer sie wie zahllose ähnliche Opferfiguren vergangener Jahrzehnte 90 Minuten lang vor einem Killer davonlaufen zu lassen. Ohnehin müsste sich auch die Kamera ganz anders zu ihren Subjekten verhalten, um eine solche Genrereflexion zu fokussieren. Ihr Glotzen auf die Grausamkeiten ist, auch wenn diese weitaus seltener eingestreut sind als in vergleichbaren Werken, noch immer reichlich sensationslüstern, obwohl ihre reißerischen Effekte längst Staub angesetzt haben. Ausgerechnet das Formbewusstsein fehlt diesem widersprüchlichen Film, mit dem Argento früher einmal geglänzt hat. Dark Glasses reibt sich nach dem anfänglichen, bedeutungsschweren Blick in die verdunkelte Sonne nur kurz die Augen. Dafür wirken die altbekannten Erzählwege zu bequemlich. Sein Versuch einer Selbstkritik dringt nach der Verfolgungsjagd durch Nacht und Nebel nur mäßig überzeugend ins Helle vor. Und den Umkehrschluss traut sich dieser Film ebenso wenig: konsequent zu erblinden, in Solidarität mit seiner Protagonistin.