Crimson Peak

USA 2015 · 119 min. · FSK: ab 16
Regie: Guillermo del Toro
Drehbuch: ,
Kamera: Dan Laustsen
Darsteller: Charlie Hunnam, Jessica Chastain, Tom Hiddleston, Mia Wasikowska, Doug Jones u.a.
Mehr optische als inhaltliche Facetten

Das grässliche Gesicht der Liebe

Schon der Titel verweist auf die starke Farb­dra­ma­turgie, die diese Schau­er­ro­manze zusam­men­hält. Karme­sinrot (crimson) ist der Lehm, der das imposante, aber herun­ter­ge­kom­mene Anwesen Allerdale Hale umgibt. Eine riesige Villa, die mitten im engli­schen Nirgendwo auf dem Gipfel (peak) eines Hügels über einer Mine errichtet wurde. Tiefrot ist auch das Blut, das an ausge­wählten Stellen das Bild befleckt. Der mexi­ka­ni­sche Horror­lieb­haber Guillermo del Toro demons­triert mit seiner jüngsten Regie­ar­beit einmal mehr, dass er ein visueller Virtuose ist. Mit Blick für eindrucks­volle Kompo­si­tionen und betörende Details. Crimson Peak erweist sich als ein köst­li­cher Augen­schmaus, noch bevor wir überhaupt in das besagte Grusel­haus eintau­chen.

Bereits der erste Akt, der uns in das Buffalo zu Beginn des 20. Jahr­hun­derts führt, sprüht nur so vor Opulenz und optischen Spie­le­reien. Pracht­volle Kostüme und stau­nens­werte Requi­siten wie das Minia­tur­mo­dell einer Lehm­för­der­ma­schine lassen eine längst vergan­gene Epoche wieder aufer­stehen. Fast jede Einstel­lung hält Über­ra­schungen bereit, die man auf einen Blick gar nicht in Gänze erfassen kann. Und doch stellt sich nie Ernüch­te­rung ein. Denn hier ist ein Filme­ma­cher am Werk, der das Publikum mit seiner Detail­ver­ses­sen­heit in eine andere Welt entführt. Der dem Zuschauer stilvolle Bilder schenkt und selbst­be­wusst den Zauber klas­si­scher Gothic-Horror-Arbeiten beschwört inklusive altmo­di­scher Kreis- und Schie­be­blenden.

Im Mittel­punkt von Crimson Peak steht eine schaurige Liebes­ge­schichte, die ihren Anfang in Amerika nimmt und im engli­schen Hinter­land zu einem traurigen Ende findet: Akribisch bastelt die Schrift­stel­lerin Edith Cushing (Mia Wasi­kowska) an ihrem großen Durch­bruch, während die Damen der feinen Gesell­schaft von Buffalo über die Bestre­bungen der jungen Frau belustigt herziehen. Als der britische Adelige Thomas Sharpe (Tom Hiddelston) bei ihrem Vater, dem einfluss­rei­chen Indus­trie­pio­nier Carter Cushing (Jim Beaver) um finan­zi­elle Unter­s­tüt­zung für eine selbst­ent­wor­fene Erfindung bittet, erliegt Edith dem Charme des Edelmanns und gibt schritt­weise ihre Selbst­be­stim­mung auf. Die Anziehung ist so groß, dass sie Thomas von einem plötz­li­chen Aufbruch abhält und sich auf eine Beziehung einlässt. Nachdem die neue Liebe durch den grausamen Mord an Ediths Vater über­schattet wurde, beschließt das Paar, Amerika den Rücken zu kehren und gemeinsam nach Allerdale Hall zu ziehen, auf den Fami­li­en­sitz der Sharpes, den auch Thomas‘ unter­kühlte Schwester Lucille (Jessica Chastain) bewohnt. Schon bald wird Edith hier von geis­ter­haften Geschöpfen bedrängt, die ein schreck­li­ches Schicksal verbindet.

Zeichnet das von del Toro und Koautor Matthew Robbins verfasste Drehbuch die Prot­ago­nistin zunächst als starke, eman­zi­pierte Persön­lich­keit, wandelt sich dieses Bild mit dem Auftau­chen des galanten Thomas immer mehr. Die Liebe macht Edith blind für die Gefahr, die von dem Gentleman und seiner geheim­nis­vollen Schwester ausgeht. Und mit dem Umzug in die englische Provinz begibt sie sich in eine trostlose, fremde Welt, in der das Unheil auf sie wartet. Anders als der Zuschauer, der schon früh über finstere Absichten der Shores Bescheid weiß, taumelt die Schrift­stel­lerin, den Geis­ter­er­schei­nungen folgend, durch die schumm­rigen Gänge des alten Gemäuers und muss ihre Selbst­si­cher­heit mühsam wieder­finden. Nicht zufällig rückt del Toro immer wieder die Motten und Schmet­ter­linge ins Bild, die das Herren­haus bevölkern und Ediths Ausbruch aus dem Liebes­ge­fängnis, ihrem neuen Kokon motivisch vorbe­reiten.

Nicht nur das proble­ma­ti­sche Drei­ecks­ver­hältnis der Bewohner von Allerdale Hall erzeugt eine bedrü­ckend-morbide Stimmung. Auch das Aussehen und der Zustand des gigan­ti­schen Anwesens befeuern die düstere Atmo­s­phäre. Obwohl die riesige Villa noch in der kargen Land­schaft thront, ist ihr Verfall allge­gen­wärtig. Langsam, aber beständig versinkt der Fami­li­en­sitz in der blutroten Lehmerde. Und durch ein großes Loch im Dachwerk rieseln Laub und später Schnee­flo­cken in die Eingangs­halle. Das marode Gebäude gleicht einem leben­digen Orga­nismus. Nicht zuletzt, weil sich in den Fluren und Zimmern die unheim­li­chen Erschei­nungen aus dem Toten­reich mani­fes­tieren. Ein wenig enttäu­schend ist der Umgang mit eben diesen Wesen, die del Toro letztlich nur als Spuk­ob­jekte und Hinweis­geber „ausbeutet“, anstatt Ediths lang­jäh­rige Beziehung zum Jenseits – ihre tote Mutter verfolgt sie seit der Kindheit – genauer zu beleuchten. Die von der jungen Frau anfangs aufge­stellte These, bei den Geistern handele es sich im Grunde um Metaphern, gerät schnell aus dem Blickfeld. Und auch die tragi­schen Schick­sale der gequälten Seelen von Allerdale Hall bleiben bloß eine Randnotiz.

Überhaupt ist der Inhalt des Films bei weitem nicht so facet­ten­reich wie seine optische Gestal­tung. Der Plot, den del Toro und Robbins ersonnen haben, vermengt zahl­reiche konven­tio­nelle Versatz­stücke und vertraut vor allem auf die Wirkung des Hitch­cock­schen Suspense. Nerven­kitzel wird durchaus geboten, verwun­dern muss der über­ra­schungs­arme Verlauf der Handlung aber doch, da Crimson Peak ständig so tut, als lauerten im Hinter­grund außer­ge­wöhn­liche Geheim­nisse. Am Ende fügt sich alles so zusammen, wie man es erwartet hat, ohne dass der Showdown zu einer lang­wei­ligen Farce verkommen würde. Vielmehr lässt der Regisseur dem Wahnsinn im blut­ge­tränkten Finale freien Lauf und unter­streicht auf diese Weise die zerstö­re­ri­sche Kraft der Liebe. Trotz der beschrie­benen erzäh­le­ri­schen Schwächen ist die stili­sierte Horror­ro­manze den Kino­be­such wert. Dafür sorgen ihre bild­ge­wal­tige Aufma­chung und die deutlich über dem Genre-Standard agie­renden Haupt­dar­steller, von denen insbe­son­dere Jessica Chastain einen furcht­ein­flößenden Eindruck hinter­lässt.

Alb-Träume einer Geis­ter­se­herin

»Ich will meine Augen nicht schließen, ich will sie immer offen halten.« – das sagt Edith, die Heldin, relativ früh in diesem Film. Sehen und Wegsehen, der Blick auf die Tatsachen und auf das, was nicht sofort ins Auge springt, und im weiteren Sinn, die Dialektik von Wahrheit und Täuschung, von Enthül­lung und Verhül­lung und überhaupt diverse optische Metaphern bilden ein zentrales Leitmotiv in Crimson Peak. Edith' Blick ist getrübt, darum trägt sie eine Brille, und gerade im ersten Drittel des Films sieht man die junge Einzel­gän­gern, die gebildet und begabt in der männer­do­mi­nierten Welt um 1900 als Schrift­stel­lerin reüs­sieren will, oft ihre Augen reiben, ihre Brille putzen. Einer der zwei Männer, die um sie werben, der freund­liche, stoisch-ruhige Alan McMichael ist Augenarzt; das Fami­li­en­motto des anderen, des schot­ti­schen Baronett Thomas Sharpe, das stolz über dem Kamin im Fami­li­en­stamm­sitz prangt, lautet »Zu den Bergen erheben wir unsere Augen.« Es geht demnach immer wieder um den Willen zum Hingucken, also zum Wissen, notfalls um jeden Preis, zum auch ungerührten Blick noch auf Schreck­li­ches. Dazu gehört aber das Sehen von Dingen, die anderen verborgen bleiben, von Geistern etwa. »Geister gibt es wirklich« war Edith überzeugt, seit sie als Kind die Mutter verloren hat, und in der ersten Szene des Films bekommt sie »Besuch« von der Toten. Alles Geschehen ist da in den weit aufge­ris­senen Augen des Mädchens. Die Geschichten, die sie dann später schreibt, sind Geis­ter­ge­schichten; diese Geister seien aber einfach »eine Metapher«, wird sie nicht müde zu betonen. Diese Edith, die man heute bei aller Schönheit, mit ihrer runden Brille, ihren Tinten­klecksen auf den Händen, ihrer sozialen Uner­fah­ren­heit und ihrer Bücher­schwär­merei viel­leicht als weib­li­chen »Nerd« beschreiben würde, verbindet völlig konflikt­frei den aufklä­re­ri­schen Willen zur Wahrheit mit gegen­auf­klä­re­ri­schem Geis­ter­sehen – wie viel­leicht alle »Gothic Tales«, aller Schau­er­ro­mane seit der Spät­auf­klä­rung, von Walpole und Shelley bis zu Hoffmann und Poe.

Eine solche Schau­er­ge­schichte in altem Stil ist es, die Guillermo del Toro (Pans Labyrinth, The Strain) hier erzählt. Dem mexi­ka­ni­schen Auto­ren­filmer, der das Script zu diesem Film bereits direkt nach seinem Welt­erfolg Pans Labyrinth geschrieben hat, gelingt es, den Eindruck zu erwecken, als könne die Vorlage auch aus dem späten 19. oder frühen 20. Jahr­hun­dert stammen. Der Regisseur hat selbst die Brontë-Schwes­tern als Referenz genannt. Plau­si­bler wirkt aber sein Verweis auf Daphne du Mauriers von Hitchcock verfilmten Best­seller „Rebecca“. Denn auch hier steht eine Frisch­ver­hei­ra­tete im Zentrum, die in ihrem neuen Heim auch der Vergan­gen­heit begegnet – und gar nicht ahnt, auf was sie sich einge­lassen hat.

»Das Grauen geschah um der Liebe willen. Es ist eine veritable Liebe und sie macht Monster aus uns allen.« Für die das sagt, für die von Jessica Chastain gespielte Lucille, gilt das allemal. Irgend­wann in diesem Film verfüt­tert sie einen großen Schmet­ter­ling an einen Haufen Ameisen. Die Perver­sion, die in diesem Akt liegt, kann erschre­cken, und sie kann ironisch genossen werden – allemal ist sie eine Analogie auf alles, was folgen wird. Crimson Peak vom großar­tigen Guillermo del Toro ist bombas­tisch und schön. Wie Quentin Tarantino’s Kill Bill oder Death Proof handelt es sich um eine Hommage an ein verges­senes Genre. Und wie bei Tarantino könnten jene Zuschau­er­schichten, die die Liebe des Regis­seurs zum Genre nicht teilen, die Klasse seiner Arbeit übersehen.

Der Plot ist einfach: Edith lebt als Fabri­kan­ten­tochter und angehende Schrift­stel­lerin mit ihrem Vater in Buffalo. Eines Tages taucht dort der schot­ti­sche Adelige Thomas Sharpe auf. Vorgeb­lich in Geschäften wird bald klar, dass er es auf die Hand von Edith abgesehen hat – und mit seiner char­manten gewin­nenden Art wickelt er die junge Frau um den Finger. Ihr Vater hegt zwar großes und – wie das Publikum früh weiß – begrün­detes Miss­trauen – doch nach dessen gewalt­samen, aber unauf­ge­klärtem Tod, nutzt Thomas die Gunst der Stunde, und heiratet die erschüt­terte Edith. Beide ziehen in den Stammsitz der Familie, ein herun­ter­ge­kom­menes, einsames Schloss in den Highlands, wo das Paar gemeinsam mit Thomas' unnah­barer Schwester Lucille leben soll. Doch bald entpuppt sich dieses Leben für Edith als Albtraum: Das Schloss ist unüber­sicht­lich, verwun­schen, voller Geheim­nisse und verschlos­sener Kammern und entfaltet ein düsteres Eigen­leben: Es atmet und blutet, und nachts tauchen Geister seiner Vergan­gen­heit auf und scheinen Edith zu warnen.

Daneben gibt es konkrete Gefahren: Edith geht es immer schlechter, denn der »Feuer­beeren-Tee«, den sie fort­wäh­rend zu trinken erhält, vergiftet sie allmäh­lich – denn die Geschwister planen sie zu ermorden, um an ihr Vermögen zu kommen. Zunehmend zweifelt auch Edith an ihrem Gatten, und weitere schreck­liche Geheim­nisse werden enthüllt.

In kräftige, barock übervolle Bilder taucht del Toro diese Geschichte. Alles ist satt, fett­glän­zend, überladen, es krabbelt auf den Wänden, es knarzt in ihnen, es tropft und kleckert von den Decken. Dieses liebe­volle Set-Design wird ergänzt durch ausge­klü­gelte Farb-Drama­turgie. Schwarz-Weiß-Kontraste, weiter­ge­führt in der Gegenüber­stel­lung einer blonden und einer schwarz­haa­rigen Frau, für die del Toro mit der äthe­ri­schen, kindlich-neugie­rigen, intro­ver­tiert-weichen Mia Wasi­kowska und der hand­festen, seit jeher immer eine Spur zu harten Jessica Chastain die Ideal­be­set­zung gefunden hat, sind das eine. Zentral ist die Verwen­dung der Farbe Rot. Sie steht immer wieder eher für Wärme und Leben, als für Bedrohung, doch auch der vergif­tete Tee ist schar­lachrot – dominiert aber auch den flüssigen Ton der Erde, die durch den Boden regel­mäßig in das Schloss eindringt. Dem Blut nicht ganz unähnlich ist dies wie die im Prinzip freund­li­chen Geister keine Gegenwelt, sondern reales Symbol der unauf­halt­samen Wieder­kehr des Verdrängten.

Hiervon, wie vom blutigen Reife­pro­zess einer jungen Frau, erzählt del Toro, so ruhig und gleich­mäßig, wie hier Walzer getanzt wird: Zwingend, gradlinig, ohne je die Spannung zu verlieren. Man müsse dabei eine brennende Kerzen halten können, ohne dass sie ausgeht, heißt es einmal. Dies ist ein Film, der sich komplett seinem eigenen Rhythmus unter­wirft. Im Unter­schied zu The Devils Backbone und Pans Labyrinth bleibt der Film aber auf dem vertrau­teren Terrain des »Hounted House«-Genres. Wenn auch alles eine Spur zu kontrol­liert wirkt, und zu wenig Über­ra­schungen parat hält, um ganz in Bann zu ziehen, bleiben Leiden­schaft und Empathie des Regis­seurs hier jederzeit spürbar. »Die Liebe« heißt es im Pilot zu The Strain, sei »unsre Gnade und unser Untergang«. Das trifft auch für die Haupt­fi­guren dieses Films zu.