Frankreich 2010 · 110 min. · FSK: ab 6 Regie: Marc Fitoussi Drehbuch: Marc Fitoussi Kamera: Hélène Louvart Darsteller: Isabelle Huppert, Aure Atika, Lolita Chammah, Jurgen Delnaet, Chantal Banlier u.a. |
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Mutter und Tochter in einvernehmlichem Unverständnis |
Ein flacher weißer Sandstrand, eine Uferpromenade und dahinter eine Reihe mit Blöcken aus Luxusappartements – die Copacabana, die weltbekannte Strandmeile von Rio de Janeiro, die der Titel zu verheißen scheint, ist das aber nicht, sondern der Strand vom belgischen Ostende: windig, leicht heruntergekommen und gut 20 Grad kälter.
Es ist eben nicht alles so, wie es scheint. Das gilt auch für das Mutter-Tochter-Verhältnis, das den Kern dieses Films bildet: Wild und anarchistisch, ungemein spontan und ständig offen für Neues, Erfahrungen und Experimente ist hier Babou, die Mutter, während die zwanzigjährige Tochter Esmeralda geradezu verzweifelt um bürgerliche Rituale um Sicherheit, um brave, solide, aber auch ziemlich langweilige Lebensformen kämpft. Die Mutter ist ihr nur peinlich!
Babou ist in ihren
50ern, sieht immer noch gut aus, und kleidet sich entsprechend: kurze Röcke, bunte Blusen, ein billiger Pelz und ein wildes Halstuch. Die Lippen sind knallrot geschminkt.
»Du läufst herum, wie eine Nutte«, sagt die Tochter empört. Sie sagt auch Dinge wie »benimm dich« oder »du bist verrückt« – bloß weil die Mutter voll Lebensenergie strotzt, und kein solides Beziehungsleben lebt, sondern sich ab und zu einen natürlich jüngeren Mann fürs Bett angelt – und das auch ganz offen ausspricht.
Weltstar Isabelle Huppert spielt in einer Traumrolle diese Babou, die das Wärme- und Energiezentrum des Films bildet, gemeinsam mit Lolita Chammah, Hupperts leiblicher Tochter, als Eseralda. Die wunderbare Huppert verbindet das Abrupte und Rätselhafte mit einer bestechenden Leichtigkeit. Ihre Babou ist ein altgewordener Hippie, der am Leben und an den Einstellungen ihrer Generation bis heute festhält. Sie steht über den Dingen, trägt und denkt bunt, schwärmt für Indien und Brasilien und tanzt, auch wenn kein anderer tanzt, zur Musik einer Jukebox. Ziemlich anstrengend, so eine Mutter, die sich frei fühlt von jeglichem sozialem Zwang, die sich treiben lässt und mit einer fast schon infantilen Neugier auf alles reagiert, was ihr begegnet. Und der Film leugnet auch nicht die Schattenseiten dieser Persönlichkeit, ihre Unfähigkeit, auf die emotionalen Bedürfnisse anderer einzugehen.
Tochter Esmeralda demgegenüber ist nicht weniger typisch für ihre Generation: Sie ist nicht weniger Ich-zentriert, aber viel unsicherer. Freiheit erscheint ihr gefährlich, mitunter böse. Voll insgeheimer Furcht vor der Freiheit und ihren Gefahren leistet sie sich keinerlei Ideale mehr, sondern sehnt sich nach den Wonnen der Gewöhnlichkeit, und flüchtet sich in Sicherheiten wie Ehe, Bausparvertrag und feste Anstellung und ist erst recht erschüttert, wenn sich all diese Sicherheiten als vermeintliche entpuppen.
Der Dauerkonflikt zwischen Tochter und Mutter eskaliert, als Esmeralda ihrer Mutter mitteilt, sie werde heiraten, verbunden mit der Bitte, doch der Hochzeit fernzubleiben: »Ich will nicht, dass du mich blamierst.« Esmeralda kommt gar nicht auf den Gedanken, dass sie die Mutter damit schwer verletzt. Nun versucht Babou umgekehrt, es der Tochter recht zu machen, und »solide« zu werden. Sie bekommt einen guten Job als Immobilienmaklerin und soll den Touristen am Strand von Ostende überteuerte Luxuswohnungen andrehen. Hier wagt der Film einen Seitenblick auf die Profitgier der neuen Reichen und auf die Ausbeutung von Arbeitskräften.
So entwickeln sich die Dinge weiter. Zwischen Nähe und Entfernung schwankt die Mutter-Tochter-Beziehung und über diese dramaturgische Grundachse erzählt uns diese ernsthafte Komödie und der zweite Spielfilm des Franzosen Marc Fitoussi auch viel über die Generationen: Über den Narzissmus der Hippies und den Egoismus der jungen Spießer, über zwei kaum vereinbare Lebensideale – ungezügelt und unstet gegen blass und berechenbar: der klassische Konflikt zwischen Bürger und Boheme.
Letztendlich sympathisiert der Film mehr mit seiner Hauptfigur und ihrer Freiheitsliebe – verständlicherweise, denn kleine Spießer sind wir alle. Aber wir alle verstehen auch Babous Traum von der großen Freiheit auf der anderen Seite der Erdkugel, der Copacabana zum Beispiel.