C'est la vie – So sind wir, so ist das Leben

Le premier jour du reste de ta vie

Frankreich 2008 · 112 min. · FSK: ab 12
Regie: Rémi Bezançon
Drehbuch:
Kamera: Antoine Monod
Darsteller: Jacques Gamblin, Zabou Breitman, Déborah François, Marc-André Grondin, Pio Marmaï u.a.
Familienbande

Eine Familie in fünf Tagen

»Es ist wichtig eine Familie zu haben. Euch zuzusehen wie Ihr aufwachst ist das Schönste, was ich jemals in meinem Leben erlebt habe.« Diesen Satz sagt Robert Duval (Jacques Gamblin) zu seinen drei erwach­senen Kindern Albert (Pio Marmai), Raphaël (Marc-André Grondin) und Fleur (Déborah François) im letzten Kapitel von C'est La Vie – So sind wir, so ist das Leben. In diesem Moment scheinen alle Konfron­ta­tionen und Probleme vergessen, die es im Laufe der Jahre gegeben hat. Eine sehr schöne Szene. Und ein sehr schöner Film. Regisseur Rémi Bezançon beleuchtet in seinem zweiten Spielfilm insgesamt zwölf Jahre aus dem Leben der fünf­köp­figen Familie Duval. Unter­teilt ist die unter­halt­same Tragik­komödie in fünf Kapitel. Jedes Kapitel ist einem bestimmten Fami­li­en­mit­glied gewidmet und beschreibt an einem exem­pla­ri­schen Tag seine oder ihre ganz spezi­ellen Wünsche und Sehn­süchte. Aber auch die anderen Fami­li­en­mit­glieder werden dabei nicht aus den Augen verloren. Sie sind immer präsent und mitein­ander verflochten.

Der Film beginnt im Jahr 1988 mit dem Kapitel Ein Hunde­leben. Der älteste Sohn Albert verlässt in diesem Jahr das Eltern­haus, um Medizin zu studieren. Für die Mutter Marie-Jeanne (Zabou Breitman) bricht eine Welt zusammen, denn eigent­lich möchte sie alle Fami­li­en­mit­glieder unter einem Dach versam­melt sehen. Bluts­bande, das zweite Kapitel, spielt bereits im Jahr 1993. Es ist der 16. Geburtstag von Fleur. Sie wird an diesem Tag erste schmerz­liche Erfah­rungen mit der Liebe machen. Kapitel drei heißt Magic Fingers, spielt im Jahr 1996 und schildert, wie der Träumer Raphaël auf seine große Liebe trifft. Im vierten Kapitel mit dem Namen Dreht sich die Erde, drehst du dich mit, ange­sie­delt im Jahr 1998, kämpft Mutter Marie-Jeanne mit den Problemen des Älter­wer­dens. Ist sie noch attraktiv für ihren Mann Robert? Und in Unser Vater, dem letzten Kapitel aus dem Jahr 2000, erfährt man mehr über das Fami­li­en­ober­haupt Robert, den Taxi­fahrer und Ketten­rau­cher.

C'est La Vie – So sind wir, so ist das Leben ist ein Film, bei dem alles stimmt und der trotz inten­siver Konflikte am Ende ein richtig gutes Gefühl hinter­lässt. Alle Haupt­dar­steller sind glaubhaft und sympa­thisch, die Charak­tere immer authen­tisch und die Geschichten sehr bewegend. Regisseur Rémi Bezançon trifft immer den richtigen Ton und verliert seine Haupt­fi­guren niemals aus den Augen. Er beleuchtet die richtigen Charak­tere immer zur richtigen Zeit, gibt jeder wichtigen Figur den Raum, den sie benötigt und jeder Geschichte das richtige Maß an Tiefgang, sowie ausrei­chend Humor, Tragik und Nostalgie. Dieser Mix macht dann auch die besondere Ehrlich­keit des Films aus. Die Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fläche ist riesig, denn es geht um die Höhen und Tiefen innerhalb einer Familie und um Liebe, verpasste Chancen und alte Gewohn­heiten. Zeitlose Themen, die jeder kennt. Dass Rémi Bezançon trotzdem nicht in Klischees oder Lange­weile abrutscht, macht den beson­deren Reiz seiner Insze­nie­rung aus. Außerdem fesselt der Sound­track von Anfang an und unter­s­tützt den sowieso schon hervor­ra­genden Rhythmus des Films – egal ob es gerade emotional, komisch oder verlet­zend zugeht. Kriti­sieren könnte man eigent­lich nur den Einsatz des Lou Reed-Songs Perfect Day in einer beson­deren Szene am Ende des Films, weil er viel zu sehr an Train­spot­ting erinnert. Aber selbst dieser Song hat an besagter Film­stelle seine Berech­ti­gung.

Als Einstieg in den Film dient eine Collage von Video­auf­nahmen und Bildern der Familie Duval, die Fröh­lich­keit und Ausge­las­sen­heit vermit­telt. Im Verlauf von C'est La Vie – So sind wir, so ist das Leben wird klar, dass der Film selbst auch eine Collage ist. Innerhalb der fünf Kapitel gibt es immer wieder Sprünge in die Vergan­gen­heit, um die eine oder andere Person besser zu beleuchten und viele Situa­tionen ergeben erst zusam­men­ge­fasst ein rundes Bild. Trotz dieser verschie­denen Zeit­ebenen hat Rémi Bezançon seinen Film jederzeit fest im Griff. Und die Leich­tig­keit, mit der er über­stra­pa­zierte Themen wie Vater-Sohn-Konflikte oder Mutter-Tochter-Strei­tig­keiten inter­es­sant und bewegend aufbe­reitet hat, ist wirklich faszi­nie­rend. Ein weiterer Pluspunkt ist, dass er seine Geschichte mit ganz viel Herz versehen hat. Es fällt deshalb auch so leicht, sich auf das Fami­li­en­por­trait einzu­lassen. Und es sind die kleinen Gesten und Situa­tionen, die den Film am Ende so besonders machen. Situa­tionen, wie die, als Albert sich in seiner ersten eigenen Wohnung wohl fühlt, obwohl er sich ständig den Kopf anstößt oder als die Mutter Marie-Jeanne im Wohn­zimmer tanzt und von ihrem Ehemann und ihrer Tochter zufällig beob­achtet wird. Eine ganz besondere Szene ist auch die, als die Geschwister den Film Die glor­rei­chen Sieben anschauen und auch nach Jahren noch immer die Dialoge auswendig mitspre­chen können.

Dass C'est La Vie – So sind wir, so ist das Leben so gut funk­tio­niert, liegt neben der exzel­lenten Regie auch an der großar­tigen Besetzung. Pio Marmai hinter­lässt als Albert in seinem Kinodebut einen sehr ausdrucks­starken Eindruck. Déborah François verkör­pert das Nest­häk­chen Fleur mit der nötigen Bissig­keit, aber auch mit ganz viel Gefühl. Man erkennt immer auch ihre verletz­liche Seite. Marc-André Grondin spielt Raphaël mit sehr viel Leich­tig­keit, verleiht ihm aber auch eine ernst­hafte und roman­ti­sche Seite. Déborah François und Marc-André Grondin bekamen für ihre Leis­tungen den César (der fran­zö­si­sche Oscar) in der Kategorie Beste Nach­wuchs­dar­steller. Zabou Breitman gibt der Figur Marie-Jeanne die nötige Tiefe und Glaub­haf­tig­keit. Und Jacques Gamblin fällt als Robert im ganzen Film eigent­lich gar nicht besonders auf, bis er im letzten Kapitel so richtig glänzen darf.

In Frank­reich war C'est La Vie – So sind wir, so ist das Leben ein großer Publi­kums­er­folg und wurde mit drei Césars ausge­zeichnet. Doch der Film dürfte auch außerhalb von Frank­reich funk­tio­nieren, denn er ist nicht speziell auf ein fran­zö­si­sches Publikum zuge­schnitten. Im Gegenteil. Rémi Bezançon versucht in seinem Film anhand von fünf Beispielen eine Antwort darauf zu geben, was es heißt eine Familie zu sein. Das Ergebnis ist ein außer­ge­wöhn­lich sympa­thi­scher und authen­ti­scher Film, dessen Charme man sich kaum entziehen kann. Ein Film wie dieser hat auch in Deutsch­land ein großes Publikum verdient.

Facetten des Lebens

Viele Filme verspre­chen mit ihren aufwendig gestal­teten Titel-Vorspännen mehr, als die darauf folgende Geschichte letztlich hält. Nicht so C'est La Vie – So sind wir, so ist das Leben. Eine bunte, wild bewegte Familien-Foto-Collage markiert den Anfang des Filmes, den Regisseur und Dreh­buch­autor Rémi Bezançon auch in der Folge colla­gen­artig gestaltet hat. Schon die Fotos erzählen in kurzer Zeit eine Menge und ziehen den Zuschauer sofort hinein in die Welt von Marie-Jeanne, Robert und deren Kindern Albert, Raphaël und Fleur. Und beinahe ohne es zu merken ist man plötzlich mitten drin, in der Geschichte, die eigent­lich fünf Geschichten sind.

Die Grund­struktur von C'est La Vie – So sind wir, so ist das Leben ist simpel und gut: Jedem Fami­li­en­mit­glied ist ein Kapitel gewidmet, das jeweils einen Tag aus dem Leben der Prot­ago­nisten heraus­greift, der für die- oder denje­nigen zu einem entschei­denden Wende­punkt wird. Bei Albert ist dies der Tag seines Auszugs von zuhause, bei Fleur ihr 16. Geburtstag, an dem sie ihre Unschuld verliert und Raphaël erinnert sich an seinen legen­dären Luft­gi­tarren-Auftritt und seine erste Liebe Moïra. Marie-Jeanne liest das Tagebuch ihrer Tochter und beginnt, sich mit ihrer Mutter- und Frau­en­rolle ausein­ander zu setzen und ihr Mann Robert hat einen Arzt­termin, bei dem er mit einer erschre­ckenden Diagnose konfron­tiert wird.

Bezançon gelingt es trotz dieser klaren Eintei­lung auf das Beste, Vorher­seh­bar­keit und damit Lange­weile zu vermeiden. Er verwebt die einzelnen Schick­sale so geschickt mitein­ander, dass man nach und nach das Gefühl für Raum und vor allem für Zeit verliert. Und das macht den Film spannend. Durch die Auflösung chro­no­lo­gi­scher Muster fällt es immer schwerer, die Ereig­nisse einzu­ordnen – doch genau diese nicht-lineare Machart kommt dem wirk­li­chen sich-an-vergan­gene-Zeiten-erinnern, also den realen Denk­struk­turen, viel näher als die üblichen ABC-Hand­lungs­stränge. Die Themen selbst sind zwar nicht neu, aber neu erzählt. Und darauf kommt es schließ­lich an.

In keiner Sekunde spürt man den erhobenen Zeige­finger des Regis­seurs, in keinem Moment fließt eine Wertung dessen mit ein, was die Prot­ago­nisten tun oder auch nicht tun. Sie sind einfach, wie sie sind. Die Moral von der Geschichte – wenn man denn unbedingt eine mit nach Hause nehmen will – muss man sich selbst zusam­men­reimen.

Man kann den Film aber auch einfach auf sich wirken lassen und ausnahms­weise ohne Wertungen auskommen. Ohne Emotionen dagegen kaum. Szenen der Freude und der Enttäu­schung liegen dicht beiein­ander in C'est La Vie – So sind wir, so ist das Leben und wechseln einander in schnell pulsie­rendem Rhythmus ab.

Der Film bietet viel Luft für eigene Asso­zia­tionen und Erin­ne­rungen. Wieder­finden kann man sich in jedem Fall, was zu großen Teilen dem durchwegs heraus­ra­genden und wie selbst­ver­s­tänd­lich wirkenden Spiel der Akteure zu verdanken ist.

Sowohl den Profis wie Jacques Gamblin (Die Farbe der Lüge, Holy Lola), als auch den weniger erfah­renen Schau­spie­lern ist es zu verdanken, dass man sich mitten im Leben dieser fünf Menschen wähnt und Anteil nimmt an deren Ringen um Entwick­lung, Aufmerk­sam­keit und Leben­dig­keit.

C'est La Vie – So sind wir, so ist das Leben erzählt mit großer fran­zö­si­scher Leich­tig­keit – sozusagen en passant – von ebenso großen Themen: Von Bezie­hungen und Befrei­ungs­ak­tionen, vom Kommu­ni­zieren und Kämpfen, vom Lieben, Älter­werden und Abschied nehmen.
Vom Leben eben.