| IRL/GB/CDN/USA/ROK 2025 · 119 min. · FSK: ab 16 Regie: Yorgos Lanthimos Drehbuch: Will Tracy Kamera: Robbie Ryan Darsteller: Jesse Plemons, Emma Stone, Alicia Silverstone, Stavros Halkias, Aidan Delbis u.a. |
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| Die entweiblichte CEO: Emma Stone | ||
| (Foto: Universal Pictures) | ||
Bugonia, das ist eine mythische Kulturtechnik der alten Griechen. Wenn ein Bienenvolk gestorben ist, wie es dem mythischen Hirten Aristaeus passierte, kann er einen jungen Ochsen opfern, aus dessen Blut dann Bienen entstehen. Bos-Genium ist das, die Bienenzucht aus Ochsenblut. »Man sucht ein Stierkalb… schlägt es mit Keulen tot und zerstampft und zermürbt seine Eingeweide … indes gärt der Saft, der sich in den zarten Knochen erwärmt hat, und Wesen von wunderlichem Anblick wimmeln herum, erst noch ohne Beine, doch bald sogar mit schwirrenden Flügeln.« So beschreibt Vergil das gewalttätige Ritual, das die Metamorphose einleitet.
Für den Griechen Yorgos Lanthimos, der seit The Lobster seine Filme mit englischsprachiger Besetzung realisiert, scheint der antike Terminus technicus so geläufig zu sein, dass er ihn zum Titel seines neuesten Films erhoben hat, eigentlich ein Remake der Science-Fiction-Öko-Komödie Save the Green Planet des Südkoreaners Jang Joon-hwan aus dem Jahr 2003. Lanthimos adaptiert die Vorlage zusammen mit Ari-Aster-Drehbuchautor Will Tracy in die USA der Jetztzeit – mit einer Frau in der Rolle des entführten CEO, was doch einige Folgen für die Lesart hat.
Mit dem mythischen Titel akzentuiert er überdies eine weitaus abstraktere Ebene als die vom Original mitgebrachte krude Handlung. Zentral wird das Opfermotiv, während das Bienensterben als Horizont des moralischen Handelns herhalten soll. Und damit auch die – für Lanthimos vergebliche – Frage nach der Richtigkeit unseres Tuns aufwirft. Zu Beginn füllt eine Honigbiene in Makroaufnahme die Leinwand, während sie von Blüte zu Blüte fliegt. Die Bestäubung sei wie Sex, kommentiert eine Stimme aus dem Off, nur cleverer und: »Niemand wird verletzt.« Der Ton ist gesetzt. Teddy (Jesse Plemons) ist der Urheber dieses infantilen Aufklärungsunterrichts.
Mit seinem zurückgebliebenen Cousin Don (Aidan Delbis) lebt er als Imker in einem heruntergekommenen Haus am Wald. Nicht nur die Lebensform ist alternativ, auch ihr Denken: Sie sind Anhänger einer Verschwörungstheorie, nach der angeblich Aliens aus der Andromeda-Galaxie die Menschheit auslöschen wollen. »Zuerst die Bienen, dann uns«, weiß Teddy frei nach dem Bonmot, das Albert Einstein zugeschrieben wird. Jesse Plemons gibt Teddy als Getriebenen, mit schlonzigem Haar und Madness-Blick, in seiner paranoiden Bedrängung ist er für die Außenwelt mental unerreichbar. Keine Frage: Er ist der Irre, der Kranke unserer Gesellschaft.
Eines der Aliens soll sich seiner Ansicht nach schon auf der Erde befinden: die CEO eines in die Opioid-Epidemie verwickelten Chemie- und Pharmakonzerns. Emma Stone spielt Michelle Fuller wahrlich als ein der Erde enthobenes Wesen. Im Selbstoptimierungsgestus absolviert sie harte Trainingseinheiten, bevor sie auf Louboutin-Highheels in die Vorstandsetage eilt, um Greenwashing-Videos zu drehen. Äußerlich ein perfektes Wesen, ist sie gemäß Geschäftsbericht moralisch zersetzt.
Diese Ambivalenz zwischen dem Schein und dem Sein, dem Äußeren und dem Inneren, dem Erfolg und den tugendhaften Werten inszeniert Lanthimos als Kippfigur, bei der man sich nie ganz sicher sein kann, was die Wahrheit ist und wo die Wirklichkeit beginnt sich aufzulösen. Und ob nicht die Frage nach der Realität dann doch nur an die jeweils eigene Ideologie gekoppelt ist. Das sind Social-Media-Diskussionen, die wie Flipperkugeln auf die Diskursbahn geschleudert werden, hin- und hergeflippt durch den Schlagabtausch zwischen dem Verschwörungspraktiker Teddy und der selbstbewussten Geschäftsfrau Michelle, die in ihrem ochsenblutroten Kostüm von den Imker-Cousins entführt wird. Vielmehr: zuerst gejagt, dann als Beute in den Keller verschleppt und gefoltert. Sie ist der Ochse im Bugonia-Opfer – die gewaltvollen Imker arbeiten an der rituellen Heilung des Ökosystems.
Die Enthumanisierung von Michelle als Beute (und womöglich als Alien) ist der Auftakt für ein weiteres Gesellschaftsspiel im Werk von Lanthimos, der stets an anthropologischen Versuchsanordnungen interessiert ist. In Bugonia errichtet er einmal mehr einen Raum der Gefangenschaft – das lässt auch an Dogtooth und die im Haus eingesperrten Kinder denken, oder an Poor Things und das Gefangensein der Kindfrau im erwachsenen Körper. Schließlich, in der Coda des Films, findet Lanthimos zu einem der Menschheit abdankenden Nihilismus – der aber auch ironisch unterfüttert wird.
Die schillernde Inszenierung von Emma Stone, die mit festem Blick den Angriffen auf ihren Körper und dem Hinterfragen ihrer Identität standhält, bereitet das eigentliche Vergnügen von Bugonia. Hier wird hintergründig das Wechselspiel von Mensch/Nicht-Mensch dekonstruiert wie auch der Geschlechterverhältnisse, deren vielsagenden Fixpunkt die Louboutins mit ihren roten Schuhsohlen darstellen – als Symbol des Erfolgs und als Fetisch des kapitalistischen und erotischen Begehrens. Was Michelle von ihren Füßen kickt, als sie entführt wird, um barfuß davonzulaufen, sind die Insignien des Superweibs wie auch dessen Vortäuschung. Doch dann wird sie von Teddy im Gebüsch zu Fall gebracht, während die blanken Beine hilflos aus dem geschlitzten Bleistiftrock herausragen.
Eine beklemmende Vergewaltigungsfantasie, die uns Lanthimos hier en passant serviert, nur ohne finalen Akt: die Imker-Cousins haben sich vorsichtshalber »chemisch kastriert«, wie es in einer Anfangsszene heißt. Um den erotischen Reizen nicht zu erliegen.
Es folgt nun, so könnte man es umstandslos formulieren, die Kastration des Weiblichen. Als Michelle die rosskastanienbraune Mähne abrasiert wird, verliert sie in der Vorstellung der Alien-Experten die Möglichkeit, mit ihrem außerirdischen Mutterschiff zu kommunizieren. Indem sie ihr die langen Haare stehlen, nehmen sie Michelle ihre Potenz und entweiblichen sie außerdem visuell, neutralisieren sie jedoch auch für ihren eigenen Blick. Sie muss nun anstelle des sexy Business-Looks ein unförmiges Blumenkleid der opioidkranken und abwesenden Mutter anziehen – als Büßergewand für die schlechten Taten und als Stellvertreterfigur. Die Verschwörungsangst verdankt sich der Regression ihrer Anhänger, so Lanthimos’ symbolschwere Pointe – und sagen nicht ohnehin Kinder und Narren wie Teddy die Wahrheit?
So ergibt sich der Thrill von Bugonia im gewaltvollen Spiel der Zeichen und als Zugriff auf die Integrität des weiblichen Körpers, dem die Öko-Folterer auch Schaden im Body-Horror-Ausmaß zugefügen. Dank der herausragenden Emma Stone und dem erfolgreichen Widerstand ihrer Figur gegen die Unterwerfung darf man sich jedoch am Ende sogar über einen höchst sonderbaren Strickanzug erfreuen.
»'Lies!' – 'Truth! What’s the difference?«
aus: »Bugonia«
Es wäre sehr lustig, wenn es nicht alles so furchtbar wäre: Der Boom der Verschwörungstheorien, von Menschen, die tatsächlich glauben, dass viele von uns schon längst in Echsenwesen verwandelt worden sind; oder die allen Ernstes behaupten, dass in unserem Brustkorb eine Pyramide sitzt, die unsere Gehirne durch eine Matrix manipuliert – was man aber glücklicherweise durch Meditation ganz leicht wieder loswerden kann... Und ähnliches.
Von ihnen erzählt nun auch der neue
Film von Yorgos Lanthimos, dem in Hollywood arbeitenden Griechen, der 2024 mit Poor Things einen großen internationalen Erfolg feierte und vier Oscars gewann.
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Alles beginnt mit einer ebenso lustig-absurden wie abgründig-beunruhigenden Prämisse: Zwei gesellschaftliche Loser und Außenseiter namens Teddy (Jesse Plemons) und Donny (Aidan Delbis), typische Provinzdeppen des US-amerikanischen »White Trash«, der sich vor der Welt im Wald versteckt, wenn er nicht gerade auf Maga-Demos marschiert, sind fest davon überzeugt, dass die Erde gerade von eingeschleusten Außerirdischen unterwandert und bald vernichtet werden wird. Bei der Führerin dieser »Andromeda-Wesen«, so glauben sie, handle es sich um Michelle Fuller, die Geschäftsführerin eines mächtigen Pharmakonzerns (Emma Stone). Die Alien-Prinzessin plane, durch die Vernichtung aller Bienen während einer Mondfinsternis den Planeten zu zerstören. Teddy, das muss man auch wissen, ist Imker von Beruf und träumt von der Organisation des menschlichen Lebens nach dem Vorbild eines Bienenstaats – der Titel bezieht sich auf den antiken Mythos der »Bugonie« der Bienen. Um Verhandlungen mit den Aliens herbeizupressen, entführen die zwei Spinner Michelle.
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Andromeda gegen den Bienenstaat – diese krude Prämisse, von Lanthimos in gewohnter Gratwanderung zwischen absurd-alberner Komödie und schmerzhaftem Paranoia-Thriller inszeniert, verwandelt sich von einer grotesken Komödie allmählich in eine beißende Satire, eine apokalyptische Fabel über Machtmechanismen, Klassenkampf, Manipulation und den allgemeinen Irrsinn unserer Gegenwart.
Stilistisch bedeutet Bugonia einen weiteren Schritt in die Konventionalisierung von Lanthimos’ Kino, und eine Abkehr von vielen Eigenheiten der früheren Arbeiten des Regisseurs. Lanthimos verzichtet diesmal weitgehend auf stark verzerrende Objektive und strenge Geometrie seiner Einstellungen und entscheidet sich für eine Bildsprache, die dynamischer ist, weniger affektiert, als seine vorherigen Filme und weniger in ihren »Mätzchen« und im eigenen Kunstcharakter badet.
Der Regisseur interessiert sich mehr dafür, den chaotischen, instinktgetriebenen Kosmos der Verschwörungstheoretiker zu entfalten, und lässt sich auf bemerkenswerte – und für den Rezensenten sehr kritikwürdige – Weise auf ihn ein. Bis zum Ende darf man sich fragen, ob es die Außerirdischen und die von Teddy und Donny skizzierte Andromeda-Verschwörung vielleicht wirklich gibt?
Oder, wenn man Lanthimos' zynische Grundhaltung zum westeuropäischen
Rationalismus und den Errungenschaften von Aufklärung und Wissenschaft kennt, wird man vielleicht eine der »überraschenden Wendungen« des Endes bereits ahnen.
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So ist das zentrale Thema des Films die Folgen der Überforderung vieler Menschen in einer Welt, in der Wahrheit scheinbar zerfließt, alte Gewissheiten erodieren und paranoide Fiktionen plötzlich den gesellschaftlichen Diskurs wesentlich (mit-)bestimmen – vor allem als Reaktion auf neue Techniken, unbegreifliche Fortschritte und unbequeme Veränderungen, die viele Leute nicht wahrhaben oder akzeptieren wollen.
Aber immer noch gibt es auch hier jene Lanthimos-Momente, in denen der Regisseur verzweifelt dem Publikum zuzubrüllen scheint: »Ich bin anders! Ich mache keine normalen Kommerz-Filme!! Ich mache Kuuuunst!!!«
Figuren reden zu leise und zu schnell, bewegen sich wie Roboter, ertragen Gewalt, die Menschen nicht folgenlos ertragen. Das Ergebnis ist ein hohles Kinowerk, das Exzentrik mit Substanz verwechselt.
Bugonia ist das Remake des koreanischen Films Save the Green Planet von Jang Joon-hwan aus dem Jahr 2003. Das Drehbuch des neuen Films stammt von Will Tracy, dem Autor der Serien »Succession« und »The Regime«. Er verschärft den Stoff der Vorlage zu einer triftigen Kritik unserer Gegenwartsgesellschaft. Einer Kritik, in der die Mächtigen und Privilegierten aber nicht mehr Schuld an den Verhältnissen haben als die normalen Bürger.
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Dieser Film markiert die vierte Zusammenarbeit zwischen Lanthimos und Emma Stone seit The Favourite (2018) – eine der erfolgreichsten, inspirierendsten und wagemutigsten kreativen Allianzen des zeitgenössischen populären Kinos, offenkundig geprägt von persönlicher Chemie und künstlerischer Komplizenschaft. Trotz ihres Status als eine der bekanntesten Hollywood-Stars zeigt Emma Stone auch hier wieder eine bemerkenswerte Bereitschaft, sich auf unbequeme und riskante Geschichten einzulassen, und sich mit Geist wie Körper hundertprozentig in eine Rolle zu werfen. Dass sich Stone im Lauf der Dreharbeiten eine Glatze rasieren lassen musste, ist nur das äußerliche Kennzeichen dieser Radikalität.
Aber bei aller Radikalität hat man sich an diesen ästhetischen Gesten sattgesehen.
Seien wir ehrlich: Was mit The Favourite großartig begann, und mit Poor Things künstlerisch respektabel und wirtschaftlich triumphal weitergeführt wurde, beginnt allmählich auszuleiern und in öde Wiederholungen zu münden. Alles wird eintöniger, vorhersehbar und abgestanden.
Der Lanthimos-Stone-Komplex ist von dem immerselben, betont »skurrilen«, distanzierten Tonfall und einer selbstgefälligen stilisierten Seltsamkeit geprägt. Alles ist längst keine überraschende Exzentrik mehr, sondern Rezeptur.
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Immer wieder komisch, aber dominiert von verstörenden Untertönen ist Bugonia ein unbequemer, aber auch nervtötender Film. Kein Werk, das Antworten geben will oder zeigen möchte, oder eine Frage stellt, irgendetwas sucht, aber auch kein Film, der Vergnügen bereiten möchte, sondern ein Film, der behauptet, durch Irritationen Erkenntnisse zu provozieren und unsere bescheidene Wahrnehmung der Realität infrage zu stellen. Sehr sehr zeitgeistgerechtes, eiskalt kalkuliertes, affektiertes Kunsthandwerkskino.
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Auf einen Kollegen in Venedig hat Bugonia so gewirkt, »als sei er nicht für ein normales Publikum gemacht, sondern für Oscar-Wähler und Kritiker, die alles loben, was unkonventionell erscheint.«
Dieses Kalkül wird nicht aufgehen.
Lanthimos' Film vereint schwarzen Humor mit Zynismus – getragen von der Gewissheit, dass Wahnsinn im Kino nur funktioniert, wenn er sorgfältig komponiert ist.
Dazu gehören wie immer bei Lanthimos auch hier groteske Folter-Szenen und Momente, in denen Figuren körperlich und seelisch gequält werden.
Manche würden das Kunst nennen.