Brady's Ladies

80 for Brady

USA 2023 · 99 min. · FSK: ab 12
Regie: Kyle Marvin
Drehbuch: ,
Kamera: John Toll
Darsteller: Lily Tomlin, Jane Fonda, Rita Moreno, Sally Field, Tom Brady u.a.
Stehe auf und kämpfe!
(Foto: Paramount)

Dem Tod ein Schnippchen schlagen

Kyle Marvins Sport- und Feelgood-Komödie vereint erstaunliche Extreme und ein weibliches Ü-80-Casting, von dem der deutsche Film nicht einmal träumt

Über die Ausnah­me­stel­lung des ameri­ka­ni­schen Sport­films und den dementspre­chenden Niede­rungen in Deutsch­land konnte man anläss­lich des Starts von Ben Afflecks wunder­barem Air: Der große Wurf erst vor zwei Wochen staunen. Doch es geht auch ganz anders, muss es nicht wie in Air eine wirt­schaft­liche Analyse der späten 1980er Jahre und obendrein ein Hohelied auf die kreativen Poten­tiale des Kapi­ta­lismus sein. Nein, es geht auch weniger thetisch, aber nicht weniger ideo­lo­gisch zu, wenn man statt im Saft ihrer Kraft stehender Ü40-Männer im Basket­ball-Marketing einfach 3½ Ü-80-Frauen mit dem Thema American Football kombi­niert; 3½ übrigens nur, weil einer der Haupt­dar­stel­le­rinnen, Sally Field, nicht schon über 80, sondern erst 76 Jahre alt ist.

Obgleich diese Idee wohl für die meisten Fußball-Bundes­liga- und Champions League-Fans abstruser und unglaub­wür­diger nicht klingen könnte, basiert die von Sarah Haskins und Emily Halpern geschrie­bene und von Kyle Marvins insze­nierte Geschichte tatsäch­lich auf einem realen, weib­li­chen Ü-80-Tom-Brady- und New England Patriots-Fanclub und räumt gleich in den ersten Minuten mit den üblichen Stereo­typen von Bier trin­kenden Männern vor dem Football-Fernseher auf. Denn die hier versam­melten Freun­dinnen Lou (Lily Tomlin), Trish (Jane Fonda), Maura (Rita Moreno) und Betty (Sally Field) zele­brieren die New Patriots-Spiele seit der erfolg­rei­chen Chemo­the­rapie von Lou vor 15 Jahren und dem Glauben, das mit dem ersten erfolg­rei­chen Auftritt von Tom Brady als Quar­ter­back im Jahr 2001 Lou auch ihren Krebs hat besiegen können. 15 Jahre später steht dieser Erfolg jedoch auf der Kippe, ohne das so recht klar wird, warum Lou plötzlich Ängste vor den Ergeb­nissen der letzten jähr­li­chen Routi­ne­un­ter­su­chung hat. Aber egal. Die Grund­dis­po­si­tion ist angelegt und und wird noch einmal verstärkt, da die vier Frauen beschließen, den Super Bowl nicht vor dem Fernseher, sondern live zu erleben.

Das gibt Marvin und ihrem Film nicht nur Gele­gen­heit über die aus euro­päi­scher Sicht völlig irren Marketing-Kampagnen während des Super Bowls zu erzählen, sondern auch vom Altwerden ihrer Heldinnen. Und dem Nicht­alt­werden. Denn die vier hier versam­melten Hollywood-Groß­schau­spie­le­rinnen geben ihr Bestes, die ganze Band­breite von Alters­mo­dellen darzu­bieten: vom sich schon früh­zeitig in eine Alters­re­si­denz einweisen lassen bis zur totalen Schön­heits-OP-Dramatik ist so ziemlich alles dabei und scheint gerade in Bezug auf Jane Fonda, die hier das Alter mit allen nur erdenk­li­chen „Kick-Box-Tritten“ fast schon gewalt­tätig verdrängt, mit selbst­iro­ni­schen Anspie­lungen auf das eigene Leben versetzt zu sein. Doch ähnlich wie in AIR ist diese Selbst­ironie nur ein zartes Pflänz­chen und ist gerade das Aufein­an­der­treffen mit dem realen Tom Brady und den anderen Helden des legen­dären 2017er-Finales dann doch so etwas wie eine manchmal kaum erträ­g­liche Selbst­spie­ge­lung in Sachen Erfolg und Kommer­zia­li­sie­rung des Alte­rungs­pro­zesses.

Denn so wie Brady noch einige Jahre so weiter­ma­chen wird, wie in seinem Alter niemals jemand zuvor – und dementspre­chend vermarktet werden wird und ein schon fast tragi­sches Leben aus zweiter Hand lebt, so ergeht es auch den vier Heldinnen in diesem Film. Doch so einfach ist es mit der Tragik natürlich auch nicht, denn dem Altern und damit dem Tod ein Schnipp­chen zu schlagen ist ja schon in den alten Märchen ein Thema, ist dieser Urwunsch dem Menschen gemein, seit es ihn gibt. Warum also nicht einfach weiter­ma­chen mit den Methoden und Hilfs­mit­teln, die unsere heutige Zeit bietet? Das könnte natürlich tief­sin­niger und erheblich exis­ten­tia­lis­ti­scher sein, so wie in dem letzte Woche ange­lau­fenen fran­zö­si­schen Lebens­rück­blick Im Taxi mit Madeleine, in dem eine wunder­bare 94-jährige Line Renaud die 92-jährige Madeleine verkör­pert, die einen sehr anderen Weg als die vier ameri­ka­ni­schen Football-Fans geht und den man viel­leicht im Double-Feature mit Brady’s Ladies sehen sollte, um einen weiteren wichtigen Baustein des Lebens zu erfahren, der wohl genauso wichtig wie das würde­volle Altwerden ist – das würde­volle Sterben.