Frankreich 2004 · 111 min. · FSK: ab 12 Regie: Claude Chabrol Drehbuch: Claude Chabrol, Pierre Leccia Kamera: Eduardo Serra Darsteller: Benoît Magimel, Laura Smet, Aurore Clement, Bernard Le Coq u.a. |
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Wie eine Phantasmagorie |
Man kann diesen beiden Menschen nicht in die Seele schauen. Sie sagen, sie würden sich lieben, sie seien füreinander geschaffen. Zumindest gehen sie miteinander ins Bett. Er, Philippe (Benoit Magimel), ist ein 25jähriger verschlossener Angestellter in einer Baufirma. In seiner Familie ist er Ersatzvater für seine Schwestern, Ersatzehemann für die Mutter und Versorger in finanziellen Engpässen – doch selbst zu leben, hat er anscheinend vergessen. Sein steinerner Blick, seine Distanziertheit sind fürchterlich. Man will lieber nicht wissen, was in seinem Kopf passiert. Sie, Senta (Laura Smet), wirkt manchmal beinahe wie eine Phantasmagorie von Philippe, etwa wenn er mit dem Steinkopf einer Statue im Bett liegt, weil er an ihm Ähnlichkeiten zu Senta festgestellt haben will. Oder wenn er wieder an dem seltsam verlassen wirkenden Haus klingelt, in dessen Keller Senta wohnt, und niemand öffnet.
Claude Chabrol erzählt in seinem neuen Film Die Brautjungfer, nach einem Roman von Ruth Rendell, von einer Liebe, die gefährlich zwischen Wahn und Wirklichkeit pendelt und schließlich in ein Verbrechen mündet. Er lässt sich zu Beginn des Films viel Zeit, um das unaufgeregte, banale Alltagsleben von Philippes kleinbürgerlicher Familie in der französischen Provinz zu zeigen, bevor er die eigentliche Krimi-Handlung entwickelt. Doch legt er schon am
Anfang die Grundstimmung des Films fest. Das Fernsehen berichtet von einem Mord in der Gegend, beiläufig. Es ist kalt in der Provinz, es ist kalt zwischen den Menschen. In Philippes Familie geht es in erster Linie ums Geld und um die Hoffnung auf das kleine Glück. Seine Schwester Sophie (Solène Bouton) heiratet einen netten, aber langweiligen Feuerwehrmann. Die andere Schwester (Anna Mihalcea) versumpft in alkoholisierten Nächten und Christine (Aurore Clément), Philippes
alleinstehende Mutter, sucht einen neuen Mann. Glücklos.
Erst spät, auf der Hochzeit seiner Schwester, sieht Philippe die Brautjungfer Senta zum ersten Mal. Sie wirkt grobschlächtig und ist keine Schönheit, doch Philippe ist sofort fasziniert von ihr. Wenig später taucht sie bei ihm zuhause auf, bis auf die Haut naß vom Regen, und schlüpft in sein Bett. Von da an ändert sich Philippes Leben. Es dreht sich alles nur noch um Senta. Sie ist die perfekte Projektionsfläche für Philippes
Wünsche. Sie will Gogo-Tänzerin und viel auf Reisen gewesen sein. Jetzt sei sie Schauspielerin beim Theater und beim Film. Ob sie überhaupt Senta heißt, weiß niemand außer ihr. Angeblich ändert sie jedes halbe Jahr ihren Namen. Sie taucht auf und geht, wann sie will, erzählt, was sie will und schwört dennoch: Sie habe schon immer auf ihn, Philippe, gewartet.
Es ist faszinierend, wie es Chabrol gelingt, dem Film langsam den subjektiven Blick Philippes aufzuzwingen und die Grenze zwischen Wirklichkeit und Philippes Vorstellungen beinahe unmerklich zu verschieben. Aus der anfangs grauen Senta wird bald eine attraktive Verführerin. Sie wird auch für den Zuschauer tiefgründig und geheimnisvoll. Wenn Philippe in Sentas Behausung kommt, ist es beinahe so, als ob er die Realität verlassen und in ein verbotenes Reich eintauchen würde. Ein
Reich, das man erst bewohnbar machen müsste. Die Möbel sind verhangen mit Tüchern. Manchmal tanzt Sentas Mutter Tango mit ihrem Geliebten im ersten Stock. Sentas Zimmer im Keller ähnelt einer Gruft. Hier hat man Sex – eine abgründige Welt, wie sie sich Philippe wohl immer gewünscht hat.
Bald redet Senta davon, dass man sich die gegenseitige Liebe beweisen müsse. Drei Aufgaben: ein Gedicht schreiben, gleichgeschlechtlichen Sex haben – und einen Menschen töten. Egal wen, es
geht nur um die Geste. Philippe hält das erstmal nur für eine weitere Spinnerei von Senta. Doch als sie dann tatsächlich von einem Mord erzählt und den genauen Ablauf schildert, wird ihm doch mulmig. Die Kriminalpolizei ermittelt in einem Mordfall.
Nur aus Philippes Verhalten kann man psychologische Rückschlüsse ziehen, Senta interessiert Chabrol als Mensch nicht. Bei ihr steht anstelle von Psychologie unerklärbare Leidenschaft, anstelle eines Mordmotivs der Wahn. Als Zuschauer kann man kaum verstehen, warum sie das alles tut. Man kann es glauben oder nicht. Wenn man es glaubt, dann ist der Film vor allem deshalb spannend, weil sich das böse Ende von Anfang an ankündigt, weil man jeden Schritt von Philippe ins Verderben erkennt und man trotzdem bis zuletzt hofft, dass alles gut gehen wird. Weil Senta lange Zeit eine gute Idee ist.