Blue Miracle

USA 2021 · 95 min.
Regie: Julio Quintana
Drehbuch: ,
Kamera: Santiago Benet Mari
Darsteller: Dennis Quaid, Jimmy Gonzales, Bruce McGill, Anthony Gonzalez, Raymond Cruz u.a.
Gemeinsam sind wir stark...
(Foto: Netflix)

Der alte Mann und die Waisen

Julio Quintanas Blue Miracle reaktiviert den Traum vom gemeinsamen Kampf gegen alte Gespenster und versucht auch noch ein guter Action-Film zu sein

„Ich bin ein Gewinner. So bin ich gestrickt.“ – Dennis Quaid als Wade in Blue Miracle

Es gibt diese Filme, da weiß man schon nach drei Minuten, dass das nichts wird, dass das nichts werden kann. Wie bei dieser »wahren Geschichte« um ein kleines, privat finan­ziertes Waisen­heim für Jungs. Hector (Raymond Cruz) und seine Freundin Becca (Fernanda Urrejola) führen das Heim und versuchen den Opfern aus kaputten gewalt­tä­tigen Familien und dem mexi­ka­ni­schen Kartell- und Gang­um­feld wieder eine Perspek­tive zu geben. Raymond Cruz, den wir vor allem aus seiner eindrück­li­chen Rolle als mexi­ka­ni­scher Kartell-Lord Tuco Salamanca in Breaking Bad kennen, tut dieser Seiten­wechsel sichtlich gut und schnell wird auch klar, dass er es allein schon durch sein Äußeres schafft, das Vertrauen auch des trau­ma­ti­sier­testen Kindes zu gewinnen. Damit könnte die Geschichte schon auser­zählt sein, haben Filme wie I’m No Longer Here dies auch schon und deutlich besser erzählt, aber die Realität hat nun mal in diesem Fall ein anderes Drehbuch geschrieben. Denn dem Heim droht wegen Geld­mangel die Schließung und allein die Teilnahme an einem Wett­fi­schen kann es noch retten.

Die Person des unnah­baren Retters, der die Teilnahme am Wett­fi­schen überhaupt ermö­g­licht, verkör­pert die Schau­spiel­er­le­gende Dennis Quaid, der 1991 mit The Big Easy (an der Seite der großen Ellen Barkin) und einem unnach­ahm­li­chem Grinsen eine große Karriere startete, die aller­dings nie mit einem der großen Schau­spiel­preise honoriert wurde. Quaid ist inzwi­schen sichtlich das Grinsen vergangen. Ob das an seiner Karriere oder der haar­sträu­benden Geschichte liegt (die leider nun mal wahr ist), ist schwer einzu­schätzen, da auch die schau­spie­le­ri­sche Eleganz Quaid irgendwie abhanden gekommen ist. Jede Geste, jeder mimische Ritt wirkt stili­siert, aufge­setzt, grob und holz­schnitt­artig, zuge­schnitten auf einen altge­stan­denen Preis­fi­scher, der bereits zweimal den großen Fang seines Lebens gemacht hat, dafür aber Frau und Kind hat gehen lassen müssen, so dass ihm tatsäch­lich auch nicht mehr viel zum Lachen bleibt. Erst recht nicht, als er nun auch noch mit ein paar Jugend­li­chen zum »Thera­pie­fi­schen« raus­fahren muss.

Damit stellt sich jedoch nicht nur Wade den Dämonen seiner Vergan­gen­heit, sondern auch Hector wird mit seiner Vergan­gen­heit und einem frühen Vatertod konfron­tiert. Und nicht zu vergessen die Jugend­li­chen, die im Umfeld dieser Grup­pen­the­rapie endlich lernen sollen, sich ihrem eigenen Schicksal zu stellen, so wie das ja auch am Ende von Nora Fing­scheidts System­sprenger als letzte Thera­pie­mö­g­lich­keit ange­deutet wurde. Erzäh­le­risch folgt dies sehr bekannten Mustern, die wir aus zahl­rei­chen Filmen kennen, und jeder dürfte schnell ahnen, worauf die Geschichte am Ende hinaus­läuft.

Nämlich, dass selbst das wirkliche Leben dann und wann Gnade walten und auch ein wenig Iden­ti­täts­bil­dung dabei heraus­springen lässt, wenn man sich nur wirklich Mühe gibt. Also im Grunde der erzäh­le­ri­sche Kern fast jeder großen Holly­wood­pro­duk­tion. Der wie so vieles seine Wurzeln in der ganz großen Literatur hat. So wie natürlich auch in dieser Geschichte, die von Ernest Hemingway in seinem Der alte Mann und das Meer schon einmal erzählt worden und mit Spencer Tracy 1958 sehr erfolg­reich verfilmt worden ist, und in dem ebenfalls die Jagd nach einem blauen Marlin zur vergan­gen­heits­be­wäl­ti­genden, iden­ti­täts­spen­denden Katharsis wird. Mit einem wichtigen Unter­schied, den das wirkliche Leben sehr zeitgemäß hinzu­ge­fügt hat. War das damalige »Thera­pie­fi­schen« noch eine sehr einsame Sache, wird heute auch aus Effizienz-Gründen gleich die ganze Gruppe mitge­nommen und erfolg­reich austhe­ra­piert. Und dann muss dieser Film natürlich auch als Angebot an unsere geschun­denen Corona-Seelen gesehen werden, ein Appell an uns alle, dass die Krise uns nur noch stärker macht.

Das macht natürlich weder in unserer Realität noch in Blue Miracle irgend jemanden zu einem besseren Fischer (auch der echte Hector hat nach seinem Erfolg nie wieder einen Fisch fangen können), aber wohl zu einem besseren Menschen (hat der echte Hector mit dem Geld sogar noch ein Mädchen­wai­sen­heim eröffnen können). Doch leider macht es diesen Film nicht zu einem besseren Film, der mit seinem von Anfang an schmerz­haft vorher­seh­baren Plot (aber so ist das wirkliche Leben leider nun mal), seinen aufge­setzten Action-Elementen und seinem mora­li­schen, nur allzu offen­sicht­li­chen Gestus dann doch eher als Lehrfilm für thera­pie­be­dürf­tige Jugend­liche denn als cine­philer oder immerhin unter­halt­samer Lecker­bissen taugt.

Blue Miracle ist seit dem 27. Mai 2021 auf Netflix abrufbar.