Finnland/GB/D 2014 · 91 min. · FSK: ab 12 Regie: Jalmari Helander Drehbuch: Jalmari Helander Kamera: Mika Orasmaa Darsteller: Samuel L. Jackson, Onni Tommila, Ray Stevenson, Victor Garber u.a. |
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Doppelte Sentimentaliäten |
»Der Prozess des Narbenschneidens bei den Iatmul stellt eine Phase eines längeren Initiationsverfahrens dar, das der Überführung der männlichen Jugendlichen in den Status erwachsener Männer dient. In vielen Kulturen gab und gibt es noch Reife- und Weihefeiern für Jugendliche, die in der Ethnologie allgemein als Übergangsrituale bezeichnet werden. Ihnen allen liegen einander ähnliche Vorstellungen zugrunde: Die Jugendlichen sterben einen rituellen Tod – sehr oft als Verschlingung durch ein mythisches Ahnenwesen gedacht –, um danach als fertige, sozial verantwortliche erwachsene Mitglieder der Gemeinschaft wiedergeboren zu werden.«
Eva Ch. Raabe in »Die Verwandschaft mit dem Krokodil – Initiation und Narbentatauierung bei den Iatmul in Papua-Neuguinea«, Journal Ethnologie 2006.
Initiationsriten sind meist eine schmerzhafte Angelegenheit, vor allem wenn es um den Übergang in eine neue Altersgruppe geht. Unsere Schulprüfungen sind da eher eine schale Erinnerung an das, was einmal war und woanders noch ist, etwas für Weicheier, denkt man an das, was ein Jugendlicher in Papua-Neuguinea oder Kenia auf sich nehmen muss, um vom Status eines Jugendlichen in den eines Erwachsenen aufzusteigen. Oder in Finnland.
Jalmari Halander, der sich erstmals 2010 in Rare Exports mit einer höchst originellen und subversiven Neuerzählung des Weihnachtsmann-Mythos finnischer Ethnologie angenommen hatte, integriert auch in Big Game – Die Jagd beginnt wieder ein Stück finnischer Identifikationsmythologie. Doch anders als die Ausgrabung des Weihnachtsmanns geht es in Big Game weniger um einen Mythos als um ein altes Übergangsritual, und zwar jenes, das den Jungen zum Mann und Jäger werden lässt. Weshalb es dem eher schüchternen 13-jährigen Oskari (Oskar Tommila) nicht einfach fällt, auf seine eigene Familienvergangenheit zu blicken. Denn deren männliche Linie hat das bedeutungsvolle Ritual – eine Nacht allein mit Pfeil und Bogen in den Wäldern Finnlands zu verbringen und nicht ohne eine erlegtes Tier am nächsten Tag wieder zu erscheinen – nicht nur ohne Furcht und Tadel, sondern auch mit überaus erfolgreicher Ausbeute hinter sich gebracht. Nicht nur die Fotos in der Jagdhütte erzählen davon, auch die Erwartungshaltungen des eigenen Vaters und der Dorfgemeinschaft sind unübersehbar und schüchtern Oskari gleich noch mehr ein. Diesem übermächtigen Schatten gelingt es Oskari erst Herr zu werden, als er mitten in der finnischen Wildnis dem amerikanischen Präsidenten (Samuel L. Jackson) begegnet, der auf dem Weg zum G7-Gipfel nach Helsinki durch einen von Terroristen verursachten Absturz seiner Air Force One als einziger überlebt.
Halander erzählt diese Geschichte in einer Weise, die gleich doppelte Sentimentalitäten weckt. Zum einen die über den Verlust unserer eigenen Welt der Rituale, die uns nicht nur Halt in der eigenen Gesellschaft garantiert hat, sondern grundsätzlich für die gesamtgesellschaftliche Fixierung von Moral zuständig war. Aber Halanders Film ist auch eine Zeitreise in die fast vergessene (Film-) Welt der 1980er, als der Coming-of-Age-Abenteuerfilm Hollywoods sich etablierte und Filme wie Steven Spielbergs E.T. – Der Außerirdische oder John G. Avildsen Karate Kid ein neues Genre begründeten. Halander zitiert jedoch nicht nur daraus, sondern erweitert seinen Remix mit Anteilen aus John McTiernans Die Hard und dem Taken-Franchise.
Was dabei herauskommt, ist erstklassige B-Film-Ware. Auch ohne das ganze Erinnerungs-Konvulut, das Big Game evoziert, macht Halanders Abenteuer von Anfang bis Ende Spaß, überrascht Big Game nicht nur mit einem konsequenten Plot, bissiger Ironie und einer in Bayern gefilmten finnischen Wildnis, sondern auch mit einem Samuel L. Jackson, der endlich einmal nicht mit gezückter Waffe oder irrem Wahnwitz die Welt retten (Avengers – Age of Ultron) oder zerstören (Kingsman: The Secret Service) will, sondern den besorgten, mit Gewaltpotential nicht sonderlich gut ausgestatteten Familienvater und nebenbei noch Präsidenten geben darf.