Japan 1973 · 93 min. · FSK: ab 16 Regie: Eiichi Yamamoto Drehbuch: Yoshiyuki Fukuda, Eiichi Yamamoto Musik: Daido Moriyama Kamera: Masahiko Sato |
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Vorangetragen von dunklen Popsongs und Psychedelic-Rock |
Trickfilme für Erwachsene stellen stets ein Risiko für die Produzenten dar – erst recht, wenn sie ähnlich experimentell angelegt sind wie die Entdeckung Belladonna of Sadness von 1973. Völlig neu ist die Leidensgeschichte des Bauernmädchens Jeanne in den Fängen von Feudalismus und der Kirche des 14. Jahrhunderts nicht. Der Verleih Rapid Eye Movies veröffentlichte den erotischen Anime schon 2009 als Die Tragödie der Belladonna auf DVD. Jetzt kommt der einst gefloppte psychedelische Trip in restaurierter 4K-Version zudem in unsere Kinos. In neuer Bildqualität offenbart sich, dass Regisseur Eiichi Yamamoto seinerzeit zwar ganz der Aufbruchstimmung der frühen Siebziger verpflichtet, andererseits aber seiner Zeit voraus war.
Die düstere Passionsparabel mit Anleihen beim »Jeanne d’Arc«-Stoff stellt eine Adaption des 1862 erschienenen umfangreichen Essais »La Sorcière« des französischen Historikers Jules Michelet dar. Sie bildet den Abschluss einer erotischen Trilogie der japanischen Mushi Productions – ein Studio, das Manga-Gott Osama Tetzuka zehn Jahre zuvor gründete. Bekannt wurde der populäre Comicschöpfer durch kindgerechte Abenteuerserien wie »Astro Boy« oder »Kimba, der weiße Löwe«, die als TV-Reihen ebenfalls von seinem Haus produziert wurden.
Mit den Kinofilmen wollte man neue Wege bestreiten: One Thousand And One Arabian Nights (1969) und Cleopatra (1970) interpretierten die vertrauten Stoffe wesentlich freizügiger und drastischer. Zwischen teils satirischen, teils klamaukhaften Elementen wiesen die unter Yamamoto inszenierten Arbeiten aber noch stark Tetzukas Handschrift auf. Schon der Ägypten-Ausflug, als Cleo und die tollen Römer in Deutschland weitgehend um den absurden Science Fiction-Strang beraubt, mixte munter visuelle Erzählformen. Ohne Tetzukas Mitwirkung konnte Yamamoto beim Folgeprojekt Belladonna of Sadness seiner Experimentierlust freien Raum lassen.
Am ehesten tauchten cartoonhafte Elemente noch in Form eines hämischen phallischen Teufelchens auf, das die geschändete Jeanne zu verführen sucht. Vorangetragen sowohl von dunklen Popsongs als auch von Psychedelic-Rock schildert Yamamoto zunächst in Einzelpanels, durch Zooms und Überblendungen in Bewegung gebracht, wie das Liebespaar Jeanne und Jean in die Fänge eines tyrannischen Fürsten gerät. Weil Jean nach der Heirat den geforderten Soll nicht bezahlen kann, behält der Despot dessen Braut für eine Nacht lang und überlässt sie schließlich seinen lüsternen Männern. Während ihr Leib gewissermaßen in zwei Teile zerrissen wird, färbt sich die Leinwand blutrot. Allmählich löst sich Jeannes Körper in rote Fledermäuse auf – als erstes Anzeichen für ihren späteren Pakt mit dem Bösen.
Immer wieder mischt Eiichi Yamamoto die Stilformen und verknüpft sie mit Metaphern und Zitaten. Ein Spinnrad bildet einerseits das Startkapital von Jeannes Aufbruch zur wohlhabenden Frau. Andererseits erinnert es an das Märchen vom »Rumpelstilzchen« als weitere unheilvolle Allianz, die zunächst Glück und Ansehen verspricht, später jedoch ihre Schattenseiten offenbart. Wenn sich Jeanne dem Teufel hingibt, ihm dabei allerdings noch ihre Seele verweigert, entwickeln sich die positiven Konsequenzen dieser ruchlosen Tat für sie stets nur für kurze Dauer.
Bei der titelgebenden »Belladonna« handelt es sich um eine Blume, die, von Jeanne verabreicht, der Bevölkerung in gewissen Fällen Linderung verschafft. Dies zieht sogleich den Neid der ebenso verschlagenen Fürstin auf den Plan, welche die vermeintliche Hexe aus dem Weg räumen will. Wo Jeannes fatalistischer Werdegang ursprünglich ein wesentlich negativeres Ende ohne Katharsis bereit hielt, milderte man in der finalen Fassung den Nihilismus etwas ab und stellte den Bogen zur Französischen Revolution her.
Der Plot zwischen Anti-Militarismus, Feminismus und kruder Männerfantasie, der Jean in die Trunksucht und Jeanne auf den Scheiterhaufen führt, verläuft wenig raffiniert. Vielmehr liegt die Stärke von Belladonna of Sadness in seinem visuellen Einfallsreichtum. Wo der Beginn mit Schwarzweiß-Illustrationen samt einzelner Farbflecken an italienische Comic-Künstler wie Dino Battaglia oder Sergio Toppi mit ihrer reduziert strukturierten Grafik erinnert, schlägt Yamamoto später den Weg zu surrealen Pop-Art-Gemälden im Stil von Guy Peelaert, dessen »The Adventures of Jodelle« (1966) den Stoff durchaus beeinflusst haben dürfte. Eine grelle zivilisationskritische Einlage könnte ebenfalls aus der Feder von Heinz Edelmann (»Yellow Submarine«) oder »Signor Rossi«-Schöpfer Bruno Bozzetto stammen.
Andere Einstellungen wirken in ihrer symmetrischen Anordnung am Rohrschach-Test orientiert. Dagegen kennt man die wiederholte Verwendung von Anachronismen schon aus Yamamotos früheren Werken. Jedenfalls stellt Belladonna of Sadness ein ziemlich einzigartiges Erlebnis dar, das nach seinem umstrittenen Debüt auf der Berlinale 1973 endlich seinen verdienten Einzug auf die deutschen Leinwände findet.