Becoming Nobody – Die Freiheit niemand sein zu müssen

Becoming Nobody

USA 2019 · 81 min. · FSK: -
Regie: Jamie Catto
Drehbuch:
Musik: Jamie Catto, Alex Forester
Schnitt: Ania Smolenskaia, Zachary Bennett, Karen Nourse
Protagonisten: Ram Dass
Filmszene »Becoming Nobody - Die Freiheit niemand sein zu müssen«
Die Lehren und das Lebens eines Gurus. Oder doch eines Harvard-Psychologen?
(Foto: Polyband)

Feier eines sprituellen Lehrers

Die Lehren und das Lebens eines Gurus. Oder doch eines Harvard-Psychologen? Becoming Nobody meidet die Gratwanderung und verneigt sich hingebungsvoll vor Ram Dass

Richard Alpert (1931-2019) war ein Psycho­lo­gie­pro­fessor an der Harvard­uni­ver­sität. 1967 wurde er in Indien ein Schüler des Hindu-Gurus Neem Karoli Baba. Dieser gab ihm den Namen Ram Dass (»Diener Gottes«). Nach seiner Rückkehr in die USA wurde Ram Dass ein spiri­tu­eller Lehrer und Autor von Büchern wie »Sei jetzt hier: Ein drei­tei­liges Handbuch für die Reise ins innere Zentrum«. Mit Becoming Nobody – Die Freiheit niemand sein zu müssen setzt ihm sein Schüler, der Regisseur Jamie Catto, ein Denkmal.

Zu Beginn des Films erzählt Ram Dass, wie er mit einem Raumanzug – seinem Körper – zur Welt gekommen ist. Er wurde sehr schnell sehr geschickt darin, diesen Anzug zu tragen. Dabei machte er keinen Unter­schied zwischen sich und dem Anzug. Er nennt dies ein »Jemand-Training«. Später versuchten auch seine Eltern, aus ihm was zu machen. Er sollte erfolg­reich werden und ein Sohn, auf den sie stolz sein konnten. Doch er fühlte sich mit diesem »Jemand-Sein« nicht glücklich. Dann gab ihm sein Harvard-Kollege Timothy Leary 1961 die hallu­zi­no­gene Droge Psilo­cybin. Damit erreichte er zum ersten Mal einen Zustand reinen Seins. Plötzlich nahm er auch das wahr, was ihn mit anderen verband – anstatt nur zu sehen, was ihn von anderen Menschen unter­schied. In Folge nahm er jede Substanz ein, die diesen Zustand fördern konnte. Später traf er dann seinen Guru, den er nur Maharaj-ji nennt. Der war nicht nur ein cooler Lehrer, sondern ein spiri­tu­elles Vehikel und ein Spiegel für ihn.

So berichtet Richard Alpert in Becoming Nobody – Die Freiheit niemand sein zu müssen, wie er zu Ram Dass wurde. Es sind die einzigen biogra­fi­schen Infor­ma­tionen, die der Zuschauer in dem Film zu seiner Person erhält. Nicht erzählt wird, dass Alpert und Leary 1963 aufgrund ihrer Drogen­ex­pe­ri­mente von Harvard flogen. Auch der richtige Name von Maharaj-ji und dass dieser Richard Alpert den Namen Ram Dass gab, und was dies bedeutet, wird nicht erwähnt. Auch sehen wir den Musiker und Regisseur Jamie Catto im Gespräch mit Ram Dass in dessen licht­durch­flu­teten Wohnsitz auf Maui in Hawaii. Ram Dass sitzt im Rollstuhl. Wir erfahren jedoch nicht, dass er das tut, weil er seit einem Schlag­an­fall im Jahr 1997 gelähmt ist.

Das Gespräch zwischen Ram Dass und Jamie Catto bildet eine Klammer im Film. Dieses Gespräch ist in einzelne Segmente aufge­bro­chen. Dazwi­schen zeigt Catto immer wieder Archiv­ma­te­rial aus den 1970er-Jahren, das zeigt, wie Ram Dass unter­richtet. Die Bilder sind teilweise von unter­ir­di­scher Qualität. Man sieht einen spiri­tu­ellen Lehrer, der mal mit Ober­lip­pen­bart, mal mit Vollbart und mal mit Rausche­bart auf der Bühne steht. Zusätz­lich ist der Film rhyth­mi­siert durch die Eintei­lung in einzelne Kapitel mit Namen wie »Der nächste Hinweis, den du brauchst, ist immer genau dort, wo du dich gerade befindest« und »Jeder, dem man begegnet, ist ein verklei­deter Gott«. Aufge­lo­ckert ist der Film durch asso­zia­tive Bilder­folgen, die das Gesagte unter­malen. Comic-Strips in Farbe und in Schwarz-Weiß. Hunde tollen um eine Frau herum, die auf einer Wiese sitzend meditiert. Eine alte Frau füttert eine große Traube aufflat­ternder Tauben. Ein Mann in einem Anzug geht in eine Wüste. Kinder in der Schule. Tanzende. Marschie­rende Soldaten.

Obwohl Becoming Nobody – Die Freiheit niemand sein zu müssen nur äußerst spärliche Infor­ma­tionen zu Ram Dass liefert, funk­tio­niert der Film, weil dieser spiri­tu­elle Lehrer solch eine charis­ma­ti­sche Person ist. Mit großer Klarheit und mit viel Humor erläutert Ram Dass seine Lehre von der Über­win­dung des Egos. Er erklärt, wie man von einem »jemand« zu einem »niemand« wird. Dabei muss man am Ende auch den »goldenen Käfig der Recht­schaf­fen­heit« über­winden. Dieser besteht in dem Wissen darum, was für einen hohen geistigen Stand man bereits erreicht hat. Darin besteht aber die Gefahr, sich erneut von seinen Mitmen­schen abzu­grenzen. Erst wenn man diese nicht mehr als dick oder dünn, jung oder alt, sondern als reine Seelen wahrnimmt, ist man am Ziel. Dann kann man auch die Angst vor dem Tod über­winden. Das Sterben bezeichnet Ram Dass als »das Ausziehen von einem engen Schuh«. Und er weist darauf hin, dass »dieje­nigen, die am Morgen den rechten Weg finden, am Abend freudig sterben« können.

Becoming Nobody – Die Freiheit niemand sein zu müssen ist bereits der vierte Film von Jamie Catto mit oder über Ram Dass. Der Film bietet keine kritische Ausein­an­der­set­zung mit Ram Dass und nur äußerst dürftige Infor­ma­tionen zu seinem Leben. Dafür funk­tio­niert er aber sehr gut als eine Einfüh­rung in das Denken dieses spiri­tu­ellen Lehrers.

Der Film erscheint am 29. Mai 2020 bei polyband auf DVD und ist als Stream bei verschie­denen Anbietern abrufbar.