RUS/F/I/CZ 1999 · 177 min. · FSK: ab 12 Regie: Nikita Michalkow Drehbuch: Rustam Ibragimebekow, Nikita Michalkow, Rospo Pallenberg Kamera: Pawel Lebeschew Darsteller: Julia Ormond, Oleg Menschikow, Richard Harris, Alexej Petrenko u.a. |
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»Gott schütze unseren Zaren« – minutenlang erklingt die alte Zarenhymne, die hiesigen Zuschauern möglicherweise aus verschiedenen Tschaikowski-Stücken bekannt vorkommen wird. Schmucke Kadetten paradieren, mit Pomp und Gloria feiert man Zar Alexander III., der zu Pferde die Huldigungen entgegennimmt, auf seinem Schoß sitzt der Zarewitsch, über den 1917 die Russische Revolution hereinbrechen wird – Nikita Michalkows Der Barbier von Sibirien ist selbst ein politisches Ereignis.
Russland am Ende des 19.Jahrhunderts: Die schöne Jane (Julia Ormond) aus Amerika kommt mit staunenden Augen ins Zarenreich. Schon im Zug lernt sie einen ungestümen Garde-Kadetten kennen. Der kann nicht nur Mozarts Opern singen, er spricht auch fließend Englisch – ein kunstsinniger und weltläufiger Mann eben, doch auch eine reine russische Unschuld, der gern trinkt, Späße macht, »Ich liebe den Zaren« ruft, und der abgebrühten Lebedame Hals über Kopf verfällt. Schnell zeigt sich, dass Jane neben erotischen auch handfeste kapitalistische Interessen hat. Für einen zwielichtigen amerikanischen Ingenieur soll sie Investoren herbeiflirten, um eine gigantische Holzfäller-Maschine zu finanzieren: eben den titelgebenden »Barbier von Sibirien«. Dieser soll höchst effizient die Wälder der Taiga kahl schlagen – Profitstreben trifft auf die russische Natur. Neben diesem symbolischen Kulturkonflikt kommt es zum persönlichen Drama: Jane wegen attackiert der Kadett einen Nebenbuhler und wird in Verbannung geschickt.
Mit viel Opulenz setzt Michalkow das Melodram in Szene: Feuerwerk und Kaviar, Bären und Zigeuner, Schneegestöber und wodkasaufende Offiziere – pathetisch inszenierte Bilder, die alle westlichen Klischeevorstellungen von Rußland bedienen. »Man soll sich wiedererkennen können« erklärte Michalkow bereits zur Premiere des Films. »Das muß Rußland sein.« Heute ist er bekennender Monarchist. Mit dieser teuersten russischen Produktion seit langem (40 Mio US-$, 10 Mio davon aus Jelzins Staatskasse) wollte er eigentlich seinen eigenen Präsidentschaftswahlkampf im vergangenen Jahr beflügeln. Alexander III., für die Geschichtsschreibung einer der reaktionärsten russischen Herrscher, möchte Michalkow dem Zuschauer näherbringen. Michalkow: »Ich halte ihn für einen der wahrhaftigsten russischen Herrscher. Mit all seinem Edelmut, seiner Großherzigkeit, seiner Kraft.« Auch sonst ist der Film für Michalkow ein moralisches und soziales Glaubensbekenntnis: »In meinem Film lernen Zuschauer, daß es hier Menschen gab, die sich für eine Frau duelliert haben. Es war ein Riesenland mit Regeln und Umgangsformen. Ich glaube, das die Zukunft Rußlands bestenfalls der aufgeklärte Konservativismus ist. Und nicht die Demokratie, die über uns hereingebrochen ist, wie eine Flutwelle.«
Im orientierungslosen Russland der postkommunistischen Ära wurde das verklärende Historiengemälde ein großer Erfolg. Gern flüchteten offenbar viele in die Beschwörung einer glorreichen Vergangenheit, deren Werte auf dem Weg in die Moderne abhanden gekommen sind. So läuft Der Barbier von Sibirien einem angeblich verlorenen, in Wahrheit nur erfundenen Ideal hinterher. Wenn das alles filmisch wenigstens inspiriert umgesetzt wäre, könnte man noch über manches hinwegsehen. Doch ohne Höhepunkte und Spannungsbögen werden einem die drei Stunden so lang wie »der endlose russische Winter«.
Eine der letzten Szenen zeigt noch einmal das politische Programm: Die Soldaten suchen panisch in den Wagons nach dem gescheiterten Helden. Sie stemmen sich dem Schicksal entgegen, in gemeinsamem Gesang, aufrecht und furchtlos – ein faschistisches Bild.
PS: Die wörtlichen Zitate von Nikita Michalkow stammen aus verschiedenen, bereits veröffentlichten Interviews zum Film aus Anlaß der Filmpremiere in Cannes.