Deutschland 2014 · 90 min. Regie: Walter Steffen Drehbuch: Walter Steffen Kamera: Christoph Grabner Schnitt: Johanna Czakalla |
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Bayerische Gemütlichkeit der besseren Art |
»Eigentlich ist es pure Volksmusik, […] aber weil halt der Begriff Volksmusik für die traditionelle Volksmusik schon vergeben ist, ist es halt keine Volksmusik.« Man merkt es: wenn es um Selbstdefinition geht wie bei Maxi Pongratz, dem Sänger und Akkordeonisten der Chiemgauer Gruppe Kofelgschroa in einem Interview mit DeutschlandRadio Kultur, wird sich mitunter gedreht wie’s Dirndl beim Schuahplattler.
Dabei ist der Begriff der Neuen Volksmusik alles andere als neu: Ob die Biermösl Blosn, Attwenger, Hubert von Goisern oder Haindling – bayerische und österreichische Musiker alle haben schon vor Jahrzehnten bewiesen, dass man die Stil-Schublade am besten offenlässt und mit offenem Geist in der Welt umeinanderkraxelt. Oben genannte Burschen aus Oberammergau und die Fast-EuroVision-Songcontest-Teilnehmer La BrassBanda dürften aktuell die prominentesten Vertreter dieser Entwicklung sein, die längst nicht mehr nur Trend ist.
Es gibt aber noch andere bayerische Künstler, die von ihren Reisen zurückkehrten, die Volksmusikschublade aus dem Kasterl rissen, es umdrehten und sich so eine Bühne schufen. Von ihnen erzählt der Dokumentarfilm Bavaria Vista Club von Walter Steffen. Das gleichnamige Open-Air-Festival, das im Sommer 2014 auf der Kreutalm oberhalb des Kochelsees stattfand, ist der Rahmen des Films: Sieben der auftretenden Bands werden zu Hause und on stage beim Festival porträtiert.
Bavaria Vista Club ist jedoch kein Konzert- und viel mehr als ein Musikfilm. Natürlich kommt die Volksmusik in ihren Blues-, Rock-, Rap- und Crossover-Gewändern nicht zu kurz. Doch hier sind die Musiker nicht nur Takt-, sondern vor allem auch Impulsgeber: Statt sich in Plattitüden über moderne Volksmusik zu ergehen wie der gecoachte Fußballer vor dem nächsten Championsleague-Spiel lassen sie alle das Filmteam sehr nahe an sich heran und gewähren einen tiefen Einblick, was es bedeutet, den einst so eindimensional und eng wirkenden Begriff wie Volksmusik in die eigenen Hände zu nehmen und etwas Höchstpersönliches und Offenes daraus zu machen. Wenn Franz Josef Himpsl von der Unterbiberger Hofmusik die zufällige Entstehung seines türkischen Putzfrauen-Chors beschreibt, Maria Hafner von Zwirbeldirn die Gemeinsamkeit von Sprache und Musik aufdeckt oder Bluespoet Schorsch Hampel zwischen seinen unzähligen Gitarren vom unerbittlichen Vater erzählt, sind das Bilder und Sätze, die man nicht so schnell vergisst.
So vielfältig die Volksmusik-Lesart der vorgestellten Künstler ist, so unterschiedlich sind ihre Geschichten. Dass man nach den knapp eineinhalb kurzweiligen Stunden glaubt, sie wie guade Spezln schon ewig zu kennen, ist einer der großen Verdienste von Bavaria Vista Club. Das ehrgeizige Independent-Projekt bildet den Auftakt einer ganzen Reihe, die die Vielfalt der modernen bayerischen Musik in diversen Bezirken via Konzerten und Filmen erkunden
soll.
Es geht also nicht nur um Töne, sondern um eine Geisteshaltung, die alle porträtierten Musiker verbindet. Und weil die Welt vor Bayern nicht haltmacht, wie Volkskundler Andreas Koll im Hinblick auf die Entwicklung der Musiktradition in Bavaria Vista Club sagt, ist diese Offenheit, angesichts der circa 32.000 Asylbewerber in Bayern allein in diesem Jahr, das Beste, was diesem weiß-blauen Freistaat passieren kann. Welcome to Bavaria … Vista
Club!