Ballad of a Small Player

Großbritannien/D 2025 · 101 min. · FSK: ab 12
Regie: Edward Berger
Drehbuch:
Kamera: James Friend
Darsteller: Colin Farrell, Tilda Swinton, Fala Chen, Alex Jennings, Jason Tobin u.a.
Ballad of a Small Player
Wie einst Pat und Patachon...
(Foto: Netflix)

Wenn das Licht zerbricht

Edward Bergers grotesker Spieler-Thriller ist ein Film über Sucht, der selbst süchtig nach Wirkung ist. Und einer jener Fälle, in denen die Literatur schlicht das bessere Kino bleibt

Nach dem Oscar-gekrönten Im Westen nichts Neues (2022)und der über­ra­schend konzen­trierten Adaption von Robert Harris »Konklave (2024), versucht Edward Berger mit Ballad of a Small Player erneut, Literatur in Film zu über­setzen. Basierend auf Lawrence Osbornes gleich­na­migem Roman, will Berger viel, er will Noir, er will Parabel, er will Geis­ter­ge­schichte und er will Kapi­ta­lis­mus­kritik – und verliert auf dem Weg dorthin das, was Osborne in seinem Roman so präzise gelang: die leise, schwüle Unbe­stimmt­heit, in der Glücks­spiel, Gier und Selbst­auf­lö­sung inein­ander übergehen.«

Osbornes Roman, 2014 erschienen, gilt als eines der atmo­sphärisch dich­testen Werke über das zeit­genös­si­sche China. Paul French nannte ihn in der Los Angeles Review of Books »the best novel on contem­po­rary China since Malraux«s Man’s Fate. Der Schau­platz – Macau – ist hier keine exotische Kulisse, sondern ein Spiegel kapi­ta­lis­ti­scher Exzesse, ein Ort, an dem alte portu­gie­si­sche Fassaden und neue Milli­ar­den­ströme aufein­an­der­prallen. Osborne fängt diese Spannung zwischen Verfall und Glanz mit einer Sprache ein, die an Graham Greene erinnert: die Rauchig­keit, die Müdigkeit, das unab­läs­sige Kreisen um Schuld und Schicksal.

Der Ich-Erzähler Lord Doyle, ein abge­half­terter engli­scher Hoch­stapler, treibt in den Casinos durch Nächte aus Nikotin und Neon. Er spielt nicht, um zu gewinnen, sondern um zu verlieren – aus einer maso­chis­ti­schen Lust an der Selbst­ver­nich­tung. »Losing there is easier than winning, more grati­fying. It’s more like winning than winning itself«, heißt es im Roman. Osborne zeichnet daraus kein mora­li­sches Lehrstück, sondern eine poetische Studie über Abhän­gig­keit und Identität in einer Welt, die ihr Zentrum verloren hat.

Edward Berger nähert sich dieser Vorlage mit dem Impetus des Welt­er­klä­rers. Wie schon in Im Westen nichts Neues will er große Struk­turen, Systeme und Mensch­heits­fragen mit noch größeren Bildern visua­li­sieren. Doch die Stärke von Osborne liegt gerade in der Enge, im Halb­dunkel, in der Intimität des Spiels. Berger dagegen öffnet alles – und nimmt damit den Zauber der Ambi­guität.

Sein Macau ist ein touris­ti­sches Macau so wie Woody Allens Paris in Ein Glücks­fall ein ausge­spro­chen touris­ti­sches Paris ist. Die grellen Neon­fronten, die polierten Marmor­lobbys, die flir­renden Kame­ra­fahrten vermit­teln zwar Ober­flächen­reiz, doch kaum Atmo­sphäre. Vom histo­ri­schen Macau, von dem in den 1930er-Jahren schon W. H. Auden als „wickedest city on earth“ sprach, bleibt wenig übrig. Dass diese Stadt heute, in ihren gigan­ti­schen Spiel­hallen, auch ein Brennglas der chine­si­schen Wirt­schaft ist – davon erzählt der Film nicht.

Das Drehbuch von Rowan Joffé verlagert den Akzent vom gesell­schaft­li­chen zum meta­phy­si­schen: »Ballad of a Small Player« wird zu einer chine­si­schen Geis­ter­ge­schichte. Ein Schat­ten­wesen verfolgt Lord Doyle (Colin Farrell), und Tilda Swinton spielt eine undurch­sich­tige Frau, die zugleich Erlösung und Versu­chung sein soll. Doch was im Roman flüchtig und ungreifbar bleibt, wird hier zu markant gestal­teten Überbau. Berger ersetzt Andeutung durch Allegorie – und verliert die Mehr­deu­tig­keit, die Osborne Roman so stark macht.

Colin Farrell, in den letzten Jahren zunehmend auf der Suche nach extremen Rollen, die zwischen Empfind­sam­keit und Exzess schwanken, findet hier genauso wenig Halt wie an der Seite von Margot Robbie in A Big Bold Beautiful Journey. Sein Lord Doyle ist ein Mann im Dauer­zu­stand des der Extase – verzwei­felt, schwit­zend, taumelnd. Das könnte faszi­nie­rend sein, wäre es nicht so konse­quent auf Over­ac­ting und Wieder­ho­lung ausgelegt. Wo Osborne einen innerlich zerfal­lenden Spieler beschreibt, liefert Farrell einen äußerlich zersprin­genden. Tilda Swinton wirkt dagegen, wie so oft, hyperäs­the­ti­siert, mehr Idee als Mensch.Und beide zusammen erinnern mehr an das legendäre, dänische Komi­ker­paar Pat und Patachon als an Charak­tere in einem Mystery-Thriller.

Berger, der in Konklave noch ein Gespür für kammer­mu­si­ka­li­sche, stille Momente der Präzision zeigte, überzieht hier alles mit orches­tralem Bombast. Volker Bertel­manns Score ist laut, die Bilder sind über­frachtet. Dieser visuelle und akus­ti­sche Overkill erstickt, was Osborne so meis­ter­lich beherrschte: das Schweben zwischen Sucht und Stille.

Joffés Drehbuch reduziert die innere Bewegung des Romans auf eine lineare, fast mecha­ni­sche Struktur: Fallen – Hoffnung – Erlösung – erneuter Fall. Die Wieder­ho­lung, die bei Osborne subtil psycho­lo­gisch motiviert ist, wird im Film zur Routine. Die Erschöp­fung des Spielers überträgt sich hier nicht als exis­ten­ti­elle Erfahrung, sondern als filmische Lange­weile.

Das Über­na­tür­liche, das im Roman kaum mehr als eine Ahnung ist – viel­leicht eine Projek­tion des Deliriums eines seiner Sucht verfal­lenen Spielers – nimmt im Film Gestalt an, wird erklärt, wird illus­triert. Damit verliert die Geschichte ihre Rätsel­haf­tig­keit. Das Spektakel ersetzt das Geheimnis. Dabei will Berger zugleich Parabel und Porträt, Welt­er­klärung und Charak­ter­studie sein – und ist am Ende nichts von beidem, sondern bewegt sich statt­dessen fast schon grenz­wertig in Richtung eines bizarren Klamauks.

Man kann Berger dabei keinen Mangel an hand­werk­li­cher Kontrolle vorwerfen. Alles stimmt: das Licht, der Schnitt, die Ausstat­tung und auch der Sound. Aber es ist ein Kino des Handwerks, nicht eins, das erkennt. Wo Im Westen nichts Neues seine Wucht noch aus dem Körper­li­chen zog und Konklave aus der poli­ti­schen Klaus­tro­phobie, verharrt Ballad of a Small Player in einer virtuosen Starre, an der alles Licht zerbricht.

A Chinese Ghost Story

In der Nacht der hungrigen Geister wurde auch Edward Bergers Film gefressen

Es ist ein glamouröser Ort und eine schil­lernde Welt in diesem Macao, dem Spie­ler­pa­ra­dies vor dem Hafen von Hongkong. Aus der gesit­teten Ruhe der Sixti­ni­schen Kapelle (Konklave) schleu­dert Edwards Bergers neuer Film sein Publikum in die glit­zernde Neon-Welt der Casinos von Macao.

Neben vielem anderen ist Ballad of a Small Player auch und nicht zuletzt eine Reverenz an das Hong-Kong-Kino – immerhin seit 60 Jahren eine der wich­tigsten Kine­ma­to­gra­phien und Stil­rich­tungen des Weltkinos: Bekannte Hongkong-Schau­spieler wie Deanie Ip und Anthony Wong treten hier in kleinen Neben­rollen auf, und in seiner ausufernden Bild­sprache, seiner Lust am visuellen Erzählen atmet Edward Bergers Film den Geist dieser chine­sisch-west­li­chen Film­spra­chen-Melange.

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Die Haupt­figur aller­dings ist – wie der Regisseur – ein »Guailo«, ein Fremdling, wie westliche Weiße auf Kanto­ne­sisch genannt werden. »A foreigner. Stuck forever in invi­si­bi­lity.« Eine verlorene Seele.
Colin Farell verkör­pert diesen Mann namens Doyle, einen Dandy, Spieler und sympa­thi­schen Hoch­stapler, der hier in einer 5-Sterne-Suite residiert, obwohl er kaum Geld fürs Taxi hat, sich als engli­scher Lord ausgibt, obwohl er ein irischer Klein­bürger ist, und darauf hofft, dass seine Pechsträhne reißt, und er endlich die Hotel­rech­nung bezahlen kann.
Doch immer wieder verliert er weiter... Es scheint wie verhext. Sogar die alten Spie­le­rinnen, die hier das Geld ihrer Ehemänner verspielen, und erstmal finden: »Der Guailo vermas­selt alles.« haben bald für ihn vor allem Spott und Mitleid übrig: »Not so lucky after all... You are running out of puff...›But I still have my balls.‹ – ›Yeah, you are right. Not for long...‹«

Irgend­wann sind Doyle die Schul­den­ein­treiber sogar aus England in Form der Privat­ermitt­lerin Cynthia Blithe (die allzu häufige Tilda Swinton glück­li­cher­weise nur in einem Neben­auf­tritt) auf den Fersen.

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Glück hat er immerhin in der Liebe. Denn er trifft auf so schöne wie rätsel­hafte Dao Ming (Fala Chen als charis­ma­ti­sches Zentrum des Films) eine Chinesin, die als Casi­no­ma­na­gerin arbeitet, und in dem Verzwei­felten eine gute Seele erkennt.

So könnte der Film seinen Lauf nehmen...

Tut er aber nicht. Denn Regie und Drehbuch entscheiden sich nie, ob sie einen eroti­schen Liebes­film im Geiste Wiong Kar-wais erzählen wollen, eine mora­li­sie­rende Ballade über Spiel­sucht analog zu Leaving Las Vegas, einen durch­ge­knallten Hollen­trip und Terry-Gilliam-Film a la Fear and Loathing in Las Vegas oder ein Märchen. So ist dieser Film ein bisschen von allem, aber nichts richtig.

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Nur ein Jahr nach der Premiere seines Konklave hat der deutsch-öster­rei­chisch-schwei­ze­ri­sche Regisseur Edward Berger schon wieder einen Film abgedreht, und zum dritten Mal hinter­ein­ander für den US-ameri­ka­ni­schen Streaming-Giganten »Netflix«.

In San Sebastian hatte Ballad of a Small Player, die Adaption eines Romans von Lawrence Osborne (»Am Sonntag bist du tot«) seine Premiere, die gerade von spani­schen Kriti­ker­kol­legen überaus ungnädig aufge­nommen wurde: Carlos F. Heredero, ein würdiger älterer Herr und Chef­re­dak­teur des »Caiman«, des spani­schen Pendants zur »Cahiers de Cinema« nannte »Ballad...›ein filmi­sches Martyrium‹, und schrieb von ›forma­lis­ti­scher Berech­nung‹, und ›einer bunten, selbst­zu­frie­denen und in sich verliebten leeren Hülle.‹: ›Das Ergebnis erinnert eher an das präten­tiöse und exzen­tri­sche Kino eines Paolo Sorren­tino als an die tradi­tio­nel­lere Machart seines vorhe­rigen Films‹.«

So ging es den meisten. Nur die deutschen Jubel­perser der Indus­trie­post­rille »spot-mediafilm« faselten von einer »aufre­genden Verfil­mung«, »heraus­ra­genden Sound­kostüm« und »einer immersiven Erfahrung ... wie sie nur im Kino möglich ist.«

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Obwohl der bombas­ti­sche Stil von Ballad of a Small Player im starken Kontrast zu Bergers früherer Arbeit steht, beschäf­tigt sich der Regisseur erneut mit der Zerris­sen­heit des Menschen, mit Versu­chung und Erlösung – diesmal aller­dings in Form eines knallig-opulenten Films.

Ohne Frage ist dieser Film weniger faszi­nie­rend als Konklave – und sein Thema weitaus weniger »wichtig« und »erhaben« –, doch gefällt das alles gerade in leuch­tendem Tech­ni­color, in teils psyche­de­li­schen Bildern insze­niert ist, und man sich zunehmend fragt, was hier real ist, und was im Rausch vom Bewusst­sein der Haupt­figur produ­ziert wurde.

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Die entschei­dende Frage ist nur: »Worum geht es wirklich?« Zwar wirkt der Film manchmal wie eine mora­li­sche Parabel über Spiel­sucht, dann aber wieder als deren schil­lernde Feier. Es gibt viel Humor, doch eine echte Komödie ist das sowenig, wie eine Farce oder wie ein Liebes­drama – am ehesten bleibt eine surrea­lis­ti­sche Chine­si­sche Geis­ter­ge­schichte Märchen für Erwach­sene: Elegant insze­niert, aber nie tief­gründig.

Das Ganze ist weniger als die Summe seiner pracht­vollen, aber vonein­ander völlig losgelösten Einzel­teile.

Nicht, dass Edward Bergers vorherige Filme in der Hinsicht große Hoff­nungen geweckt hätten – aber mit diesem Film wird Berger so deutlich wie nie erkennbar, als ein Regisseur mit viel hand­werk­li­chem Können, aber ohne Subjek­ti­vität, ohne irgend­eine erkenn­bare eigene Autoren­hand­schrift, ohne Stil und Thema, die das, was er tut, zusam­men­hält.