Bad Lieutenant

USA 1992 · 96 min. · FSK: ab 16
Regie: Abel Ferrara
Drehbuch: ,
Kamera: Ken Kelsch
Darsteller: Harvey Keitel, Victor Argo, Frankie Thorn, Paul Hipp, Zoe Lund u.a.
Melancholie des Bösen
(Foto: Studiocanal)

Die Nonne und der Cop

Revisited: Abel Ferraras Neo noir

In Abel Ferraras Crime-Drama Bad Lieu­tenant von 1992 ist der Titel des Films Programm. Harvey Keitel spielt einen drogen- und spiel­süch­tigen New Yorker Poli­zisten, der sich immer weiter auf den Abgrund zubewegt. Schon in den ersten fünf Minuten des Films sehen wir, wie er mehrere Nasen Kokain schnupft, nachdem er gerade seine Kinder zur Schule gebracht hat. Und an einem Tatort mit zwei ermor­deten Frauen disku­tiert er mit seinen Kollegen angeregt über Baseball-Wetten.

Im folgenden wird fast jede Filmszene zu einer Bebil­de­rung des Film­ti­tels. Wir sehen Harvey Keitel, wie er am Tatort eines Mordes einen Beutel mit einem Kilogramm Kokain klaut. Er raucht Koks und Heroin. Er verkauft Drogen­dea­lern beschlag­nahmtes Kokain. Er spritzt sich H. Er vergnügt sich mit zwei Prosti­tu­ierten und wankt anschließend nackt und mit ausge­streckten Armen wimmernd im Zimmer herum. Er nötigt zwei junge Frauen, die ohne Führer­schein im Auto des Vaters umher­fahren, dazu, ihren Hintern zu zeigen und zu demons­trieren, wie sie eine Fellatio ausführen. Dazu mastur­biert der dege­ne­rierte Cop vor dem Auto auf der Straße stehend und wilde Obszöni­täten hervor­stoßend.

Der namenlose Bad Lieu­tenant verstrickt sich immer tiefer in Spiel­schulden. Er setzt immer wieder auf die Dodgers, obwohl die bei den Play-Offs zur World Series nach drei gewon­nenen Spielen ein Spiel nach dem anderen verlieren. Über­nervös verfolgt er die Spiele im Fernsehen und im Radio. Als die Dodgers mal wieder verlieren, schießt der Bad Lieu­tenant das Autoradio kaputt, haut das Einsatz­licht aufs Wagendach und gibt Gas. Als eine Nonne verge­wal­tigt wird, setzt die katho­li­sche Kirche eine Belohnung von 50.000 Dollar auf die Ergrei­fung der Täter aus. Der marode Cop wittert seine Chance, die Schulden bei seinem mafiösen Buch­ma­cher abtragen zu können. Das Problem ist nur, dass die Nonne nicht verraten will, wer die Täter sind, weil sie diesem schon verziehen hat.

Die Nonne und der Cop bilden den größt­mö­g­li­chen denkbaren Gegensatz. Auf der einen Seite steht der Bad Lieu­tenant, der keine Gele­gen­heit auslässt, um seine Mitmen­schen auszu­nutzen und zu betrügen. Ihm gegenüber steht die unschul­dige Nonne, die aus christ­li­cher Nächs­ten­liebe selbst das Wider­wär­tige an ihr begangene Verbre­chen ungesühnt sein lassen will. Das kann der schur­ken­hafte Polizist beim besten Willen nicht verstehen. Er bettelt darum, dass die Nonne ihm die Schul­digen nennt. Er versucht sie damit zu locken, dass er für »wahre Gerech­tig­keit« sorgen werde. Aber die Nonne richtet sich keines­wegs nach dem alttes­ta­men­ta­ri­schen »Auge um Auge«, sondern nach der neutes­ta­men­ta­ri­schen Botschaft der Vergebung aller Sünden.

Die zentrale Rolle, die diese Verge­wal­ti­gung innerhalb des Gesche­hens von Bad Lieu­tenant spielt, ist optisch dadurch betont, dass diese Szene die einzige des Films ist, welche eine stärkere Stili­sie­rung ausweist. Das perfide Treiben in der Kirche wird mit roter und blauer Beleuch­tung hervor­ge­hoben. Dieses Farb­schema erinnert an Filme von Rainer Werner Fass­binder wie Lola (1981) sowie an die Fass­binder inspi­rie­renden Filme von Douglas Sirk (Was der Himmel erlaubt, 1955). Dazu ist ein Jesus am Kreuz zu sehen, der im Schmerz – nicht um sich, sondern um die Nonne – aufschreit.

Das rot-blaue Farb­schema wird später noch einmal im Film auftau­chen, und zwar in einem Club, in dem der üble Polizist sich zuerst Kokain besorgt und sich anschließend mit dem Mittels­mann seines Buch­ma­chers trifft. Jener sagt ihm, dass er keine Lust mehr habe, seine Wett­ein­sätze weiter­zu­geben und dass der Cop sich ab sofort persön­lich an den Buch­ma­cher wenden soll. Der Bad Lieu­tenant reagiert mit hyste­ri­schem Gelächter.

Von diesen zwei Szenen abgesehen ist Bad Lieu­tenant von einer äußerst nüch­ternen Attitüde geprägt. Ferraras Verzicht auf jede spezielle Ausleuch­tung geht so weit, dass sich mehrere Szenen in so dunkler Umgebung abspielen, dass kaum etwas zu erkennen ist. Einmal bleibt der Bild­schirm sogar für längere Zeit komplett schwarz, als der abge­half­terte Cop einen dunklen Raum betritt. Auch ansonsten geht Ferrara mit einer fast schon doku­men­ta­ri­schen Nüch­tern­heit vor.

Mit Bad Lieu­tenant setzt Abel Ferrara ganz auf den titel­ge­benden zentralen Charakter, den Harvey Keitel mit vollstem Einsatz verkör­pert. Der perfide Cop bellt Befehle, pöbelt herum, schreit Obszöni­täten heraus, bricht heulend zusammen, kriecht wimmernd über den Boden, windet sich nackt herum­tan­zend am Rande des Abgrunds entlang. Es ist eine Perfor­mance, für deren Mut man Harvey Keitel bewundern muss.