Großbritannien 2019 · 89 min. Regie: Mark Jenkin Drehbuch: Mark Jenkin Kamera: Mark Jenkin Darsteller: Edward Rowe, Mary Woodvine, Simon Shepherd, Giles King, Chloe Endean u.a. |
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Materialität des Verschwindens |
Analog-Film vermag in Zeiten der Digitalisierung des Kinos allein aufgrund seiner Materialität schon genügend Aufmerksamkeit zu beanspruchen, um als Kinoereignis gelten zu können. Bait, der auf der Berlinale diesen Jahres im Forum seine Weltpremiere hatte, ist mehr als ein solches Filmereignis. Mit seiner körnigen 16-mm-Ästhetik schafft er es, groben Sand in das Getriebe digitaler Hochauflösung zu streuen.
Der Schöpfer von Bait, der Brite Mark Jenkin, ist ein leidenschaftlicher Verfechter des Analog-Films. Er steht damit gar nicht mal allein, Kodak hat eine Art Showroom im Netz eingerichtet, in dem in einer schönen Galerie alle aktuellen Filme, die auf analogem Kodak-Material gedreht wurden, ausgestellt werden. Bevor demnächst The Lighthouse von Robert Eggers (mit Willem Dafoe und Robert Pattinson) auf schwarz-weißem 35mm herauskommen wird, kann man nun erstmal die großartige Independent-Produktion Bait von Mark Jenkin im Kino bewundern.
Es handelt sich dabei um einen wahrhaftigen Autorenfilm. Jenkin schrieb das Drehbuch, er führte Regie und Kamera, er hat den Schnitt selbst gemacht und auch noch die Tonspur bearbeitet. Überdies hat er aber das schwarz-weiße 16mm-Material, das er mit einer Bolex-Kamera aus dem Jahr 1976 (dem Geburtsjahr des Regisseurs) filmte, selbst im heimischen Waschbecken entwickelt: ein von ihm erfundenes spezielles Verfahren sorgt für einen phänomenal rauhen Look der Bilder. Sie wirken, als stammten sie tatsächlich aus historischen Archiven, ohne dass man den Eindruck hätte, sie wären künstlich auf alt getrimmt worden.
Alles andere als ein plumper Vintage-Effekt also, mit dem Jenkin hier aufwartet. Seine unglaublich sinnliche Material-Ästhetik steht in einem lebendigen Wechselverhältnis mit den Dingen, die er ins Bild setzt. Die traditionelle Fischerei an den Küsten Cornwalls, von denen Bait erzählt, ist nämlich genau wie das filmische Handwerk mit analogem Material vom Verschwinden bedroht. Das Ähnlichkeitsverhältnis zwischen filmischer Form und Erzählstoff entfaltet ein geradezu magisches Funkeln im schroffen Schwarz-Weiß, das sich immer wieder in kontrastreiches Grau auflöst.
In der wuchtigen Erzählgrammatik des Stummfilms und des frühen Tonfilms bietet Jenkin einen geradezu archaischen Konflikt dar. In dem Fischerdorf an der Küste Cornwalls prallen die Gegensätze zwischen den traditionellen Fischern und den neureichen Touristen in der Konstellation eines Brüderpaars aufeinander. Während Steven Ward (Giles King) mit dem väterlichen Boot Ausflugsgäste herumschippert, versucht Martin Ward (Edward Rowe) in einem gemieteten Schiff weiter die Fischerei zu betreiben. Das urtümliche Cottage der Familie Ward direkt am Hafen haben die Brüder verkaufen müssen, die poshen Londoner Sandra und Tim Leigh (Mary Woodvine und Simom Shepherd) machten es zum Zweitwohnsitz und bringen zudem Feriengäste darin unter.
Als die Londoner Familie mit ihren zwei Teenagern Katie (Georgia Ellery) und Hugo (Jowan Jacobs) wieder einmal da ist, spitzt sich das Drama zu. Der Streit entspinnt sich zunächst an der banalen Tatsache, dass der Fischer Martin wie gewohnt seinen Pickup vor dem Cottage abstellt, um zu seinem Boot im Hafen zu gelangen. Die Parkkralle, die die neuen Hauseigentümer an Martins Wagen anbringen lassen, wird zum Auslöser für lang angestaute Ressentiments und Spannungen.
Die Verwerfungen, die dabei zu Tage treten, sind nicht nur zwischen den Einheimischen und den Feriengästen spürbar, sie spalten auch die scheinbar eindeutigen Fronten untereinander auf. Die Tochter der Londoner, Katie, etwa lässt sich mit Stevens Sohn Neil (Isaac Woodvine) ein. Das missfällt wiederum ihrem snobistischen Bruder Hugo, und Wenna (Chloe Endean) aus dem Dorf rümpft eifersüchtig die Nase über die Londoner Tussi. Dass Neil dann lieber mit seinem Onkel Martin auf Fischfang geht, als seinem Vater Steven auf dem Ausflugsboot zu helfen, macht die Verhältnisse nicht einfacher.
Jenkin baut die Konflikte über eine Montage der Konfrontationen wirkungsvoll als Aufeinanderprallen der Gegensätze von Großstädtern und Dorfbewohnern auf. In emblematischen Detail- und Großaufnahmen stehen die hippen Sneaker der Jugendlichen aus London gegen die groben Gummistiefel des Fischers, steht die smarte Arroganz der neuen Cottage-Eigentümer gegen die sture und dickköpfige Wut Martins.
Die rudimentären Kollisionsmontagen lassen auch Körperteile und Gegenstände immer wieder aufeinandertreffen. Hände, die erst offen sind, sich dann zu Fäusten ballen, Billardkugeln auf dem Spieltisch, die außerhalb des Pubs dann zu Wurfgeschossen gegen die Großstädter mutieren.
Die einfach scheinende Antithetik überführt Jenkin in raffinierten Parallelmontagen jedoch in komplexe Beziehungen und Korrespondenzen, die ambivalente Allianzen erzeugen. So verhaken sich die Handgriffe des Fischers, der seine Netze für die Ausfahrt vorbereitet, und die Gesten der Londonerin, die ihre Delikatess-Einkäufe im Kühlschrank verstaut, zu einer unauflöslichen Einheit, die den Kontrast gleichzeitig markiert und überformt. Auch die kontroverse Billardpartie der jungen Leute und Martins Streitgespräch mit der Pub-Inhaberin verbinden sich so zu einer dicht verwobenen Sequenz.
Jenkin scheut nicht vor einer melodramatischen Aufgipfelung des Konflikts am Ende zurück, die in einer Art Katharsis die beiden Brüder wieder versöhnt. Eine einfache Lösung der Probleme ist das nicht, auch wenn versöhnliche Töne zwischen den Parteien für Entspannung zu sorgen scheinen.
Neorealistische Reminiszenzen, die der Stoff zuhauf bietet, hintertreibt Jenkin mit einer subtilen Irrealisierung auf der Tonspur. Die raffinierte Nachsynchronisierung des ohne Ton gedrehten Filmmaterials sorgt mit Echo- und Halleffekten für eine hypnotisch-onirische Stimmung, die an den poetischen Realismus der Flussschiffer in Jean Vigos Atalante erinnert. Auch die visuelle Gestaltung in Bait, so handgreiflich-realistisch sie auf der primären Ebene ist, weist immer geheime Verbindungen zu einem untergründigen Surrealismus auf. In den Montagesequenzen gibt es häufig irritierende Einsprengsel, die die Chronologie der Ereignisse untergraben, Einsprengsel, die dem Bewusstseinsstrom der Figuren entstammen und unterdrückte Aggressionen und aufgestaute Emotionen ausdrücken.
Jenkin schafft so einen Film, der mit seiner Thematisierung von virulenten Problemen strukturschwacher Regionen in England aktuelle Anschlussmöglichkeiten an die Brexitproblematik bietet (Radionachrichten im Film verweisen explizit darauf), auf der anderen Seite aber eine universal gültige Position eigensinniger Randständigkeit in eindringliche Bilder bannt. Und er formuliert mit diesen Bildern einen Widerstand, der sich nicht nur gegen politische Vereindeutigungen und Vereinnahmungen richtet. Die kratzige Materialität, die diese angerauhten und ausgefransten Bilder ausstrahlen, ist eine, die die Errettung der physischen Wirklichkeit, die Siegfried Kracauer dem Medium Film zuschrieb, aufs neue spürbar und greifbar macht. Eine Materialität, die sich digitalisierten Geld- und Datenströmen, in welcher Form diese auch immer auftreten mögen, beharrlich entgegenstellt.