Die Ausgrabung

The Dig

USA/GB 2021 · 112 min.
Regie: Simon Stone
Drehbuch:
Kamera: Mike Eley
Darsteller: Ralph Fiennes, Carey Mulligan, Lily James, Johnny Flynn, Ben Chaplin u.a.
Ein auf konventionelle Art gelungener Film
(Foto: Netflix)

Die Funken der Lebendigkeit

Sinn und Sinnlichkeit: Simon Stones Film Die Ausgrabung

»We all fail« – aus The Dig

Für furiose, viel­schich­tige und insgesamt sehr filmische Opern­in­sze­nie­rungen ist der britische Regisseur Simon Stone bislang bekannt. Da passt es gut, dass er nun auch einen Film gemacht hat. Eigent­lich wäre The Dig, zu deutsch: Die Ausgra­bung jetzt ins Kino gekommen. Aber dank der Corona-Eindäm­mungs­maß­nahmen sind die Kinos seit Monaten geschlossen, und Filmfans müssen sich mit Strea­ming­por­talen behelfen. Auf Netflix ist deshalb am 15. Januar 2021 Simon Stones Die Ausgra­bung ange­laufen, ein Film der 1939 spielt, kurz vor Beginn des Zweiten Welt­kriegs, und die Idylle eines großar­tigen archäo­lo­gi­schen Fundes beschwört. Carey Mulligan und Ralph Fiennes spielen die Haupt­rollen.

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Es geht um Archäo­logen, Ausgräber, zum Teil profes­sio­nelle, zum Teil aber auch eher nicht­stu­dierte Hobby-Archäo­logen, die von den »echten« Wissen­schaft­lern naserümp­fend verachtet werden.

Im Jahr 1939 kommt einer dieser archäo­lo­gi­schen Amateure namens Basil Brown (gespielt von Ralph Fiennes), auf den Landsitz der jungen reichen Witwe Ethel Pretty (gespielt von Carey Mulligan). Sie will ihn anheuern, um sonder­bare Hügel zu unter­su­chen, die auf ihrem weiten Grund gelegen sind, und die sie seit Jahren faszi­nieren. Sehr schnell hat Basil eine Ahnung, um was es sich dabei handeln könnte: »Wir dürften auf dem Friedhof von jemandem stehen. Aus der Wikinger-Zeit. Viel­leicht sogar älter.«
Es ist eine angel­säch­si­sche Grab­stätte von hohem Wert: Ein uraltes Schiff, gefüllt mit einem Schatz aus Schmuck und Edel­me­tall: – heute ist der Ort berühmt als Sutton Hoo. Es handelt sich um nicht weniger, als den bedeu­tendsten archäo­lo­gi­schen Fund in Groß­bri­tan­nien im 20. Jahr­hun­dert.

Der mürrische Basil und Edith freunden sich während der Ausgra­bung an. Beide behaupten, sich für Archäo­logie inter­es­siert zu haben, seit sie »alt genug waren, eine Kelle zu halten«. Er spricht von seinem Hunger zu studieren, und sie bedauert, dass ihr Vater ihr die Möglich­keit verwehrt habe, die Univer­sität zu besuchen. Es gibt einen klaren Klas­sen­un­ter­schied zwischen ihnen, aber auch gegen­sei­tigen Respekt. Er schätzt es, dass sie darauf besteht, dass er für seinen Fund Aner­ken­nung bekommt. Basil genießt sogar die Gesell­schaft von Ediths jungem Sohn Robert (Archie Barnes) und verspricht, dem Jungen den Kosmos durch sein Teleskop zu zeigen.

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Vor allem die Metaphern sind hier manchmal ein bisschen zu offen­sicht­lich: Verbor­genes wird zum Vorschein gebracht; Gräber und lang Vergan­genes zu neuem Leben erweckt. »Life is revealed; that’s why we dig,« sagt Basil Brown.
Und dann noch Archäo­logen als Helden – ausge­rechnet: Die Acht­sam­keit, mit der Schäu­fel­chen um Schäu­fel­chen vom Erdgrund abge­tragen wird, mit der man stun­den­lang Milli­meter für Milli­meter irgend­etwas aus dem Boden heraus­kratzt, was sich dann doch manchmal nur als eine Blech­schüssel aus dem vorigen Sommer entpuppt. Das ist nicht nur auf den ersten Blick mitunter ein bisschen lang­weilig.

Aber Regisseur Simon Stone erzählt seine Geschichte schon vom Aufbau her sehr geschickt: Denn es geht nicht nur um die zwei Haupt­fi­guren im Zentrum, und ihre sehr persön­liche Geschichte, sondern um das ganze Team. Um ein Geflecht aus Gefühlen und Riva­li­täten, aus Liebe und Neid.
Diese histo­ri­sche Ausgra­bungs-Handlung ist trotzdem fast nur die Kulisse für etwas Anderes: Für Geschichten des Sterbens und des Todes. Denn der Sommer, der hier zu Ende geht, ist der letzte vor dem Krieg. Im Radio hören wir immer wieder Nach­richten, die einen Vorschein auf das Kommende legen.

Und dann spricht eines Tages der britische Premier Neville Cham­ber­lain im Radio: Es ist die Kriegs­er­klä­rung nach Deutsch­lands mili­tä­ri­schem Überfall auf Polen. Es ist eine würde­volle Rede. Die doch zugleich die Kapi­tu­la­tion einer falschen Frie­dens­po­litik ist. Und das Ende eines bestimmten briti­schen Wegs. Auch dies ist in diesem Film präsent: Eine irgendwie nost­al­gi­sche Sehnsucht nach einer Zeit, zu der es kein Zurück gibt. Und die wenn man ganz ehrlich ist, auch irgendwie geschei­tert ist und so schön gar nicht war, dass man ernsthaft zu ihr zurück wollte. Die Ambi­va­lenz dieses Films liegt in einer falschen Nostalgie und Versöhn­lich­keit, in einer nicht ganz stimmigen Romantik.

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Der Tod ist immer ganz unmit­telbar anwesend. Manche der jungen Männer, die hier im Sommer gruben, werden nun in den Krieg ziehen. Manche werden sterben. Sterben, das ahnen wir Zuschauer, werden auch andere Figuren. Aus dieser fort­dau­ernden Präsenz des Todes schlägt der Regisseur die Funken der Leben­dig­keit. Was wirklich bleibt, sagt dieser auf konven­tio­nelle Art gelungene Film, ist die Ewigkeit kultu­reller Hinter­las­sen­schaften und die Schönheit des Augen­blicks.
Sinn und Sinn­lich­keit.
»Das Leben ist vergäng­lich, das weiß ich nur zu gut. Und es gibt Chancen, die man ergreifen sollte.«

Die Ausgra­bung ist seit dem 15. Januar 2021 auf Netflix abrufbar.