Asteroid City

USA 2023 · 106 min. · FSK: ab 12
Regie: Wes Anderson
Drehbuch:
Kamera: Robert D. Yeoman
Darsteller: Jason Schwartzman, Scarlett Johansson, Tom Hanks, Jeffrey Wright, Tilda Swinton u.a.
Puppenstuben-Ästhetik der Künstlichkeit mit klarer Botschaft...
(Foto: Universal)

Und täglich grüßt der Atombombentest

Kinderfilme für Erwachsene: Asteroid City von Wes Andersons ist ein satirischer Bilderbogen über amerikanische Komplexe – nicht nur in den 50er Jahren

»He pointed to his chest. When he turned to the Americans his voice softened again. You are fine cabal­leros, he said. You kill the barbaros. They cannot hide from you. But there is another caballero and I think that no man hides from him. I was a soldier. It is like a dream. When even the bones is gone in the desert the dreams is talk to you, you dont wake up forever.«
– Cormac McCarthy (1933-2023), »Blood Meridian«

Die Fünfziger Jahre waren »das« ameri­ka­ni­sche Jahrzehnt per se und der Gipfel des »Ameri­ka­ni­schen Jahr­hun­derts«, des kultu­rellen und poli­ti­schen Einflusses der Verei­nigten Staaten. Damals konnte man noch an die USA glauben und an den »American Dream«.
Zugleich war es eine schreck­liche Zeit: Der Höhepunkt des Kalten Krieges, des atomaren Schre­ckens, eine Zeit der Paranoia, in der man sich vor Aliens und überhaupt der Invasion aus dem Weltall, den »Bodys­nat­chers« fürchtete, vor den »Roten«, den Kommu­nisten und ihrer »Fünften Kolonne« und die Unter­wan­de­rung des braven »Land of the Free«; McCarthy instal­lierte sein Schre­ckens­re­gime über die ameri­ka­ni­sche Gesell­schaft.

In dieser Zeit spielt Asteroid City. In einer Wüsten­stadt in New Mexico strandet zufällig eine bunt zusam­men­ge­wür­felte Gruppe von Menschen.
Ober­fläch­lich beginnt alles als Fami­li­en­ge­schichte.

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Doch schon hier dominiert der Absur­dismus, der für Regisseur Wes Anderson und seinen skurrilen Humor, seine Kinder­filme für Erwach­sene, typisch ist.
Denn der Vater, der hier spricht, ein berühmter Kriegs­fo­to­graf (Jason Schwart­zman), der verwitwet ist und sich mit seinen vier Kindern auf dem Weg zum Großvater befindet, nun aber hier gestrandet ist, hat es bisher nicht über sich gebracht, den Kindern bisher vom Tod der Mutter zu erzählen.

Eine unver­hei­ra­tete Frau, eine schöne Holly­wood­dar­stel­lerin (Scarlett Johansson), macht ihm Avancen und fragt: »Are you married?« Er antwortet: »I am a widower. But don’t tell my kids.«
Das genau ist der Humor Wes Andersons, ein Humor, der erwachsen ist, schwarz und brüchig. Als der Vater den Tod der Mutter schließ­lich seinen Kindern, dem Sohn Woodrow und den Töchtern Cassio­peia, Andromeda und Cassandra beichtet, ist der Dialog folgen­der­maßen: »You are saying my mother died three weeks ago?« – »Let’s say she is in heaven. Which does not exist for me of course. But you are Epico­pa­lian.«

Solche halblus­tigen Witze sind Andersons Marken­zei­chen; genau wie die ständigen Atom­bom­ben­tests, die man im Hinter­grund regel­mäßig hört und sieht, wie im Loop einer Endlos­schleife.

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Es gibt Augen­blicke in diesem Film, da kommt einem der Gedanke, dass Anderson hier nichts anderes gemacht hat als eine »Parodie« auf Chris­to­pher Nolans »Oppen­heimer«, bevor dieser überhaupt raus­ge­kommen ist.

In jedem Fall ist dieser Film ein boshafter Bilder­bogen ameri­ka­ni­scher Komplexe, wie man ihn lange nicht gesehen hat. Er versucht, die Verwirrt­heit der Jugend sichtbar zu machen. Anderson lässt ein Feuerwerk an Gags los, die jedoch fast alle einen bitteren Nach­ge­schmack hinter­lassen. Manche Sequenzen des Films sind hart und ernst, zwischen allem Nonsens-Gequassel, das auch hier dominiert, tauchen Bruch­teile ameri­ka­ni­scher Realität auf: Gewalt, Puri­ta­nismus, Micky Mouse, Kolo­nia­lismus im eigenen Land, Kommu­nis­ten­furcht, Leis­tungs­zwang, Fernsehen, Angriffs­kriege...

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Bald nach der Ankunft des Foto­grafen und seiner Kinder geraten die Dinge restlos aus den Fugen. Denn in »Asteroid City«, jenem Wüsten­nest, das nach dem Aste­ro­iden benannt ist, der hier vor 5000 Jahren in die Erde stürzte und einen Krater hinter­ließ, der längst eine Touris­ten­at­trak­tion geworden ist, landet ein Raum­schiff mit einem Alien. Bald ist es wieder weg, weil auch Außer­ir­di­schen dieser Ort offenbar zu unat­traktiv ist, aber der US-Präsident verhängt eine Quaran­täne über den Ort. Militärs halten die eigenen Bürger gefangen. Lockdown in den 50er Jahren.

Nun entwi­ckelt sich Asteroid City endgültig zur Parodie realer Verhält­nisse: Der Film wird zu einer sehr kriti­schen Satire auf die weltweite Pande­mie­po­litik der letzten Jahre.
In den Gesprächen der hier zufällig gestran­deten Reisenden geht es darum, wie lange einen die Regierung legal fest­halten darf, wann Wider­stand gegen die Staats­ge­walt geboten ist, und derglei­chen mehr.

Dabei – keine Sorge, liebe Mill­en­nials und Risi­ko­grup­pen­ver­steher – ist Asteroid City auch eine Satire auf Verschwö­rungs­theo­rien aller Art, wie jene schon erwähnten von der Alien-Invasion, von UFOs, von einer kommu­nis­ti­schen »Fünften Kolonne«, vom Bermuda-Dreieck...

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Stilis­tisch trägt Asteroid City die unver­kenn­bare Hand­schrift des Regis­seurs: Stars im doppelten Dutzend und exakt choreo­gra­phierte, wunder­schön photo­gra­phierte Kostüme und Kulissen zusammen mit betontem Sinn­ver­zicht.

Dieser Film hat dabei mehr als fast alle Wes Anderson-Filme zuvor etwas unbe­streitbar Steriles. Die Frage ist nun vor allem, ob man darin gerade die große Meis­ter­schaft eines Regis­seurs sieht, der seine Ästhetik zur Voll­kom­men­heit entwi­ckelt hat. Oder ob man umgekehrt eine Unfähig­keit entdecken möchte, sich noch länger überhaupt mit der Welt zu connecten? Eine Unfähig­keit, die ihre Voll­endung im l’art pour l’art, in der Kunst um ihrer selbst willen findet.

Selbst wenn man aber zu dieser zweiten negativen Sicht­weise neigt, wird man in diesem Wes-Anderson-Film wieder einmal unglaub­lich viele Ideen finden, und vor allem sehr, sehr viel Humor und gute Witze.

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»What’s out there? The meaning of life. Maybe there is one.«
- Dialog­auszug

Mit Asteroid City setzt Wes Anderson auf seine Puppen­stuben-Ästhetik der Künst­lich­keit und des Manie­rismus, und verkündet eine klare Botschaft: Seine Kunst ist nicht für Aussagen da und für Relevanz-Erwar­tungen, sondern für Spaß und Vergnügen.

Aussagen über die Gegenwart finden sich in seinem Film natürlich trotzdem zuhauf: Denn Asteroid City bricht den ameri­ka­ni­schen Traum auf und enthüllt damit seinen Alptraum­cha­rakter. Er zeigt uns eine Gesell­schaft, die unter dem Joch des Kapi­ta­lismus und einer para­no­iden Regierung sich selbst entfremdet ist.
In ihr erweisen sich Künstler und Kinder als die wahren Außer­ir­di­schen, und das Publikum besteht aus Personen mit begrenzten Gefühlen und boshaftem Charakter, die nicht wissen, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen, und sich darum einfach auf das Banale und Über­flüs­sige konzen­trieren.